Die EU erlaubt den Briten offenbar, Sozialleistungen für zugewanderte EU-Ausländer zu kürzen, meldet die britische Regierung.
London/Brüssel. Von einem „Durchbruch“ sprach die britische Seite, von „intensiver Arbeit in den nächsten 24 Stunden“ die EU. Klar war am gestrigen Montag: Die Verhandlungen über eine Neuordnung der britischen Mitgliedschaft befinden sich nach einem Arbeitsessen zwischen dem britischen Premierminister, David Cameron, und dem EU-Ratspräsidenten, Donald Tusk, in der entscheidenden Phase.
Großbritannien reklamiert Zugeständnisse der EU-Partner bei der kritischen Frage des Zugangs von ausländischen Personen zu Sozialleistungen. Nach Medienberichten sollen die Briten eine „Notbremse“ bekommen, mit der sie unter dem Hinweis auf eine „Notlage“ den Anspruch für EU-Ausländer verweigern dürfen. „Die EU-Kommission hat zugestimmt, dass die gegenwärtigen Verhältnisse in Großbritannien die Anwendung einer derartigen Maßnahme rechtfertigen“, sagte eine Regierungssprecherin. Über ein Ziehen der Bremse sollen die Briten demnach selbst verfügen können und nicht die Kommission. Zudem soll die Maßnahme sofort nach der Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft des Landes zur Anwendung kommen können – und keiner weiteren Zustimmung der EU-Partner oder -Institutionen bedürfen. Die Einschränkung der Sozialleistungen für EU-Ausländer ist einer der Punkte, mit denen der britische Premier seine Landsleute zum Verbleib in der EU bewegen will.
Vor allem aber handelt es sich um Theaterdonner. Ausländer zahlen mehr in das britische Sozialsystem ein als sie herausbekommen, und billige Arbeitskräfte aus den neuen EU-Staaten treiben die Wirtschaft an. Das Gesundheits- und Sozialwesen ist auf sie angewiesen. Die Empfehlung des Premierministers wird bei der EU-Volksabstimmung aber „bis zu zehn Prozentpunkte wert sein“, sagt Meinungsforscher Andrew Cooper der „Presse“. Schwerer wird es ihm wohl fallen, seine eigene Partei zu überzeugen. „70 Tory-Abgeordnete (von 330) haben sich bereits entschlossen, gegen den Verbleib in der EU zu stimmen“, berichtete der „Daily Telegraph“ gestern. „Wir wollen keine Notbremse. Wir wollen das Steuerrad zurück in die Hand nehmen“, reagierte der Europaabgeordnete Daniel Hannan.
Verständnis für Forderungen
In den streng geheimen Verhandlungen auf Ebene der hochrangigen Verhandlungsführer in Brüssel soll es aber auch noch andere offene Punkte geben. Zwar gebe es Verständnis für die Forderungen der Briten, dass Eurostaaten die Nicht-Eurostaaten in Fragen des gemeinsamen Marktes nicht überstimmen dürften. Umgekehrt verlange Frankreich, dass Großbritannien kein Vetorecht bekommt.
Einig sind sich beide Seiten, dass man das leidige Thema der britischen EU-Mitgliedschaft so rasch wie möglich vom Tisch haben möchte. Beim Gipfel Mitte Februar soll eine Einigung erzielt werden. In Großbritannien ist dem Vernehmen nach der 23. Juni als Termin für das Referendum im Regierungskalender angestrichen.
Um seine Landsleute zu überzeugen, muss Cameron den Eindruck erzeugen, den EU-Partnern Zugeständnisse abgerungen zu haben, während keine substanziellen Veränderungen erfolgen. Die Anti-EU-Gruppe Vote Leave spottete gestern, selten sei so viel Theater über so wenig Substanz gemacht worden. (gar)
(APA/dpa/Reuters)