Petry schießt AfD mit „Schüssen auf Flüchtlinge“ ins Abseits

FILES-GERMANY-POLITICS-PARTY-AFD
FILES-GERMANY-POLITICS-PARTY-AFD(c) APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
  • Drucken

Mit heftigen Aussagen zu Grenzschutz könnte es AfD-Vorsitzende Frauke Petry zu weit getrieben haben.

Köln. Es ist nicht ganz klar, ob es Ungeschick war oder gezielte Provokation. Klar ist hingegen, dass Frauke Petrys Sager, dass die Polizei „notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen“ muss, um einen illegalen Grenzübertritt zu verhindern, die Bundesrepublik in heftige Aufruhr versetzt hat. In der Debatte, wie der Zustrom von Flüchtlingen reduziert werden könnte, setzte die AfD-Vorsitzende damit im Wettkampf der Zuspitzung die bisher radikalste Duftmarke. Denn so hart manche Forderung auch war, von Obergrenze bis Grenzzaun, so weit war bisher noch niemand gegangen. Gerade Petry, die in der DDR aufgewachsen ist, würde also an der deutschen Grenze den Schießbefehl wiederbeleben? Sogar in ihrer Selbstbeschreibung „konstruktiv mit einem gelegentlichen Hang zur Provokation“ war das ein bisher nicht da gewesener Ausritt.

Regierungssprecher Steffen Seibert wollte Petrys Äußerung gar nicht kommentieren. Er sprach von einer parteipolitischen Aussage, die sich selbst disqualifiziere. In den Parteien hielt man sich mit Kommentaren weniger diskret zurück. Von „verroht“ über „menschenverachtend“ bis zu „geisteskrank“ reichten die Urteile. „Die Äußerungen zeigen die wahre Gesinnung der AfD-Führung, ihre ganze Verachtung für die Menschen, die vor Krieg und Vertreibung bei uns Zuflucht suchen“, sagte etwa Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Es zeigt sich, dass die AfD eine zutiefst rassistische, diskriminierende und menschenverachtende Partei ist“, meinte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Und SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel forderte gar, dass der Verfassungsschutz ausrücken müsse, denn „bei der AfD gibt es massive Zweifel, ob sie auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Republik steht“.

„Nicht extremistisch“

Der Verfassungsschutz selbst nahm Gabriels Anregung nicht auf. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, der Verfassungsschutz entscheide über die Beobachtung radikaler Umtriebe in eigener Verantwortung. Und damit eben nicht auf Zuruf aus der Politik. Zuletzt hatte Behördenchef Hans-Georg Maaßen Mitte November gesagt, dass die AfD nicht als extremistisch eingeschätzt werde und keine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung darstelle.

Wie man mit der AfD umgehen sollte, war auch schon in den vergangenen Wochen, vor Petrys jüngster Aussage, ein heftig diskutiertes Thema. Darf, soll oder will man sich mit Vertretern der rechtspopulistischen Bewegung überhaupt an einen Tisch setzen, um mit ihnen zu diskutieren? Auf der einen Seite gebe es ja den demokratischen Grundsatz, mit allen zu reden. Doch will man auch mit jenen reden, die selbst so manchen demokratischen Grundwert abschaffen wollen?

Im Vorfeld der Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt am 13. März weigerte sich etwa die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, Malu Dreyer (SPD), an einer TV-Diskussion mit Beteiligung der AfD teilzunehmen. Woraufhin ein Hin und Her begann und der SWR sich zunächst entschloss, nur die im Landtag vertretenen Fraktionen einzuladen. Da die Elefantenrunde dann nur aus SPD, CDU und Grünen bestanden hätte, sprang CDU-Kandidatin Julia Klöckner ab, es wären einander also nur mehr zwei Kontrahenten gegenüber gesessen. Am Ende einigte man sich dann doch – die AfD wird dabei sein. Und auch in Baden-Württemberg, wo sich SPD und Grüne zunächst gegen eine Teilnahme der AfD quergelegt haben, werden nun doch alle vertreten sein.

Petry rudert zurück

Ein ähnliches Hü-hott-Spiel zeigte sich auch in den Tagen nach Petrys Aussage in der AfD. Und nach heftiger interner Kritik erklärte sie am Montag gemeinsam mit ihrem Ko-Chef Jörg Meuthen: „Die AfD lehnt es strikt ab, dass auf Menschen geschossen wird, die friedlich Einlass in das Bundesgebiet begehren.“ Auch strebe die Partei „keinerlei Verschärfung der diesbezüglich geltenden Rechtslage oder Praxis an“. Grenzsicherung müsse „im Rahmen der bestehenden Gesetze und streng nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit erfolgen“. Die stellvertretende AfD-Chefin, Beatrix von Storch, wiederum hat eine ähnliche Meldung nur teilweise zurückgenommen. Auf Facebook hat sie auf die Frage, ob man Frauen mit Kindern notfalls mit Waffengewalt am Grenzübertritt hindern sollte, „Ja“ geschrieben. Nun erklärte sie, die Aussage habe sich nicht auf die Kinder bezogen bezogen. „Gegen Kinder ist der Schusswaffeneinsatz richtigerweise nicht zulässig. Frauen sind anders als Kinder verständig.“

ZUR PERSON

Frauke Petry (geb. 1975) ist seit Juli 2015 Bundessprecherin der Alternative für Deutschland (AfD). Die promovierte Chemikerin kam 2013 ohne politische Erfahrungen zur Partei und bootete im Vorjahr beim Parteitag in Essen Parteigründer Bernd Lucke als Vorsitzenden aus. Bereits vorher galt sie als Vertreterin des im Osten sehr starken rechtsnationalen Parteiflügels. Petry hat aus ihrer Ehe mit einem evangelischen Pfarrer vier Kinder, inzwischen ist sie mit dem nordrhein-westfälischen AfD-Landeschef Marcus Pretzell liiert.

Anmerkung der Redaktion:Wegen massiver Verstöße gegen unsere Forenregeln musste die Kommentarfunktion zu diesem Thema deaktiviert werden. Wir bedauern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Frauke Petry: Grenzsicherung muss "im Rahmen der bestehenden Gesetze und streng nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit erfolgen."
Außenpolitik

Schusswaffen gegen Flüchtlinge? AfD-Chefin rudert zurück

Frauke Petry hatte Schusswaffeneinsatz durch Soldaten an der deutsch-österreichischen Grenze gefordert und damit harsche Kritik provoziert.
102 Einwohner: Sumte in Niedersachsen
Außenpolitik

Als in ein 102-Einwohner-Dorf 500 Flüchtlinge kamen

Anfangs war man schockiert, dann arrangierten sich die Einwohner von Sumte in Niedersachsen mit der Flüchtlingsunterkunft. Nun lebt man mit den Folgen - positiven wie negativen.
Kanzleramtschef Peter Altmaier
Außenpolitik

Berlin will kriminelle Flüchtlinge auch in Drittländer abschieben

Wenn im Heimatland Bürgerkrieg herrscht, sollen straffällig gewordene Flüchtlinge in das Land abgeschoben werden, über das sie in die EU gekommen sind.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.