Der Vizekanzler und ÖVP-Chef, Reinhold Mitterlehner, absolviert die Pflicht als Wirtschafts- und Wissenschaftsminister eher nebenbei. Viel Zeit für Grundsätzliches bleibt neben Asyldebatten und Präsidentschaftswahlen nicht.
Der Jahreswechsel war nicht gerade die ruhigste Zeit des Jahres für Reinhold Mitterlehner. Nur wenige Tage vor Weihnachten sprang dem ÖVP-Chef Erwin Pröll als Präsidentschaftskandidat ab – binnen weniger Tage musste Ersatz gefunden werden. Und damit nicht genug, trat die rote Reichshälfte auch noch eine Kampagne gegen das geplante Tauschgeschäft des OMV-Konzerns mit der russischen Gazprom los.
Unter der Hand ausverkauft werde das Energieunternehmen, so ÖBB-Aufsichtsrätin Brigitte Ederer – und das alles unter schwarzen Finanz- und Wirtschaftsministern. Aus der ÖVP kam zunächst nur Schweigen. Martha Oberndorfer, die Generalsekretärin der Staatsholding Öbib, war nicht greifbar. Ihr verantwortlicher Finanzminister, Hans Jörg Schelling, verabschiedete sich in den Urlaub. Also blieb es Reinhold Mitterlehner vorbehalten, sich zur Causa zu äußern. Die Aussagen von Ederer seien „absolut unpassend“, ließ der Vizekanzler wissen. Die OMV müsse „in österreichischer Verantwortung gehalten“ werden.
Auftrag erledigt. Aber zähneknirschend, denn viel zu gewinnen gab es nicht.
Die Episode ist symptomatisch für die jüngere Geschichte des Vizekanzlers, ÖVP-Obmanns, Wirtschafts- und Wissenschaftsministers in Personalunion. Seit seinem Aufstieg hat Mitterlehner plötzlich mehr Baustellen als freie Hände. Die Folge: In seinen Stammressorts nimmt er sich etwas zurück.
In der Wirtschaft baut er weitgehend auf die altbewährte Oberösterreich-Achse mit Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl, unter dem er selbst acht Jahre lang in der Kammer gearbeitet hat. Viele Chancen zu glänzen hatte er in der Wirtschaft 2015 ohnedies nicht.
Die Unternehmer lassen keine Gelegenheit aus, sich über die Entwicklung des Standorts zu beschweren. Bei der Steuerreform schauten sie auch durch die Finger. Ein wenig Bürokratieabbau durch Mitterlehner half da wenig. Das Energieeffizienzgesetz wurde nach viel zu langen Geburtswehen doch langsam umgesetzt – und alles, was irgendwie nach Zukunft und Erfolg klingt, hat er an seinen Staatssekretär, Harald Mahrer, abgegeben.
Den neuen Schützlingen aus der Wissenschaft geht es ähnlich. Der mit Jahresende abgetretene Rektorenchef hat ganz gut auf den Punkt gebracht, wie der Wissenschaftsminister zu seinen Universitäten steht: „Ich glaube, er mag uns irgendwie“, sagte Heinrich Schmidinger mit reichlich bemühtem Lächeln im Sommer. Ob der vielen Funktionen des Ministers würden die Hochschulen aber untergehen. „Die Unis spielen in der politischen Welt eine nachgeordnete Rolle. Es ist immer etwas anderes wichtiger und aktueller.“
Auch wenn Mitterlehner die Wissenschaft wohl nicht „scheißegal“ ist – für diese nicht ganz elegant formulierte Kritik hat die Grüne Sigrid Maurer vor einiger Zeit einen Ordnungsruf im Parlament kassiert –, es hat schon Zeiten mit aktiveren Wissenschaftsministern gegeben, man erinnere sich an seinen Vorgänger Karlheinz Töchterle (ÖVP), der im Wochentakt Pressekonferenzen abgehalten hat.
Mitterlehner, der Vizekanzler, Wirtschaftsminister, ÖVP-Chef, scheint bei der Wissenschaft dagegen zunächst einmal das Pflichtprogramm abzuspulen. Und entweder haben sich die Universitäten inzwischen schon an ihre Randposition gewöhnt – oder aber er macht es so schlecht nicht. Denn die Kritik der Hochschulen könnte durchaus lauter sein. Jeder obligatorischen Klage über die schwierige finanzielle Situation der Hochschulen folgt genauso obligatorisch der Satz: Mitterlehner habe sich eh sehr für die Universitäten engagiert. „Es war sicher ein Kraftakt unseres Herrn Wissenschaftsministers, die 615 Millionen Euro unter diesen Rahmenbedingungen herauszuholen. Das rechne ich ihm auch sehr hoch an“, sagte die neue Rektorenchefin, Sonja Hammerschmid, nach ihrer Wahl im Dezember.
Tatsächlich hat Mitterlehner den Unis zuletzt zumindest das Geld herausgeholt, das sie brauchen, um zu überleben und den Status quo zu halten. Die Fachhochschulen bekommen außerdem erstmals seit Jahren mehr Geld pro Studienplatz. Neue Hürden für Fächer wie Jus dagegen musste Mitterlehner abschreiben: Da setzte sich die SPÖ durch.
In dem Gesetzespaket, mit dem die alten Schranken verlängert werden – die Verlängerung der auslaufenden Gesetze war eigentlich wieder ein Pflichtakt –, finden sich dafür einige weitere Neuerungen, von Wissenschaftlerkarrieren über die Einsicht in Aufnahmeprüfungen bis zu Obergrenzen bei den Gehältern für die Universitätsräte. Sogar die gewohnt kritischen Studierenden sahen ausnahmsweise nicht nur Schatten, sondern auch Licht.
Klar ist: Als Wissenschaftsminister handelt Mitterlehner effizient. Was vielen fehlt, sind grundsätzlichere Debatten. Auch wenn der Minister betont, dass diese sehr wohl stattfänden – nur halt ohne öffentliche Begleitmusik. Tatsächlich geht es dann doch meist um Hypo, Flüchtlinge und die Präsidentenwahl.
40.000 Jobs dank Russland
Bei seiner aktuellen Moskau-Reise, die am Dienstag begonnen hat, ist Mitterlehner jedenfalls doch ganz Wirtschaftsminister: Zusammen mit heimischen Managern will er Aufträge und Investitionen für die Zeit nach den Sanktionen anbahnen. Um „demokratiepolitische Aspekte“ gehe es diesmal kaum, wie er selbst sagte. Dafür um 40.000 Arbeitsplätze.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2016)