Wer schützt öffentliches Gut? Das Funkhaus wird es zeigen

Der ORF will einen Ort verkaufen, der nicht nur Geldwert, sondern auch kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung hat. Hoffentlich zieht noch jemand die Notbremse.

Das Grundstück trägt die Nummern 477/2, 480/2, 481/1 und 481/3 und umfasst insgesamt 11.867 Quadratmeter Grundfläche. 28.250 Quadratmeter Büro-, Lager-, Allgemein- und Freiflächen. Denkmalschutz. Derzeit bebaut mit: dem Funkhaus Wien. Was ist der Wert eines solchen Ortes? Das ist nicht so einfach zu sagen. Denn man kann ihn auf zweierlei Art messen.

Erste Möglichkeit: Man misst ihn daran, wie gut sich die Immobilie kommerziell verwerten lässt. Da ist wohl einiges drin. Immerhin ist die Lage eins a. Vierter Bezirk, Argentinierstraße, in direkter Nachbarschaft sind die Eliteschule Theresianum, die Diplomatische Akademie, zahlreiche Botschaften, das Palais Schwarzenberg, der botanische Garten, das Belvedere.

Immobilienentwickler wüssten mit so einem Objekt schon etwas anzufangen. Ein diskretes Luxushotel für saudische Touristen samt Entourage. Eine noble Zwischenabsteige für jetsettende Senioren. Anlegerwohnungen für Leute, die zu viel Geld haben und es inflationssicher investieren wollen. Apartments für Ausländer, die Familie und Vermögen in Wien sicher parken wollen, weil sie daheim Angst vor Konkurrenten, vor der Regierung oder den Steuerbehörden haben.

Zwar setzen Denkmalschutz und Bauklasse der Verwertungsfantasie einige Grenzen. Aber für ein paar Stiftungssitze wird schon Platz sein. Und manchen Firmen ist ja die gute Postkastenadresse allein schon recht viel Geld wert.

Die zweite Möglichkeit lautet: Man bemisst den Wert des Ortes danach, welchen gesellschaftlichen Auftrag er erfüllt. Welche Bedeutung er für das kulturelle Leben dieser Stadt hat, für die Qualität der medialen Auseinandersetzung, für den intellektuellen Austausch. Bei dieser Berechnung kann man auch einbeziehen, wie sich dieser Wert noch steigern ließe: Wie viel Potenzial hier noch schlummert, wenn man den Ort noch stärker öffnet, noch besser ausstattet, mit noch mehr Leben füllt. Das Ergebnis der zweiten Rechnung lässt sich, anders als das Ergebnis der ersten, nicht allein in Euro messen. Das bedeutet aber nicht, dass der Wert geringer ist.

Auf dem Grundstück Nummer 477/2, 480/2, 481/1 und 481/3 steht derzeit ein Gut mit großem Wert für die Allgemeinheit. Allein schon das Funkhausgebäude ist ein architektonisches Kunstwerk. Es beherbergt das Radiokulturhaus mit Veranstaltungsbühne, das Radiosymphonieorchester, ein Lokal, die Sender Ö1, FM4 und Radio Wien.

Man merkt den Sendungen, die hier entstehen, an, dass sie mitten aus der Stadt kommen. Man merkt, dass die Redakteure und Redakteurinnen nah dran an den Kulturorten und den interessanten Menschen dieses Landes sind, dass sie nicht weit gehen müssen, um Berichtenswertes zu erleben.

Und man kann sich kaum vorstellen, dass diese spezielle eigenwillige, störrische und gleichzeitig sehr intime Art Programm an Orten entstehen könnte, die „Newsroom“ heißen, oder „multimedialer Cluster“. Doch leider ist genau das – Verkauf des Funkhauses, Absiedlung der Sender und deren Zusammenlegung in einem multimedialen Cluster auf dem Küniglberg – von der ORF-Führung geplant.

Öffentlich-rechtliche Information braucht Öffentlichkeit. Genau diese Öffentlichkeit hat sich jetzt eingemischt – und für die Grundstücke Nr 477/2, 480/2, 481/1 und 481/3 ein Kaufanbot gelegt. Radiohörer und Radiohörerinnen, Kulturschaffende, alle, denen dieser Ort und dieses wunderbare Medium etwas bedeuten, können sich an der Bietergemeinschaft beteiligen – 1,5 Millionen Euro an Zusagen sind schon zusammengekommen, ohne dass man bisher viel Werbung gemacht hätte.

Ein öffentliches Gut vor der Privatisierung und Zerstörung bewahren, indem man es kauft – bisher kennt man diese Methode nur aus dem Regenwald. Hoffentlich funktioniert sie in der Argentinierstraße ebenfalls. Seit der Wiener Gemeinderat vergangene Woche eine Bausperre verhängt hat, gibt es diese Chance.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2016)

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