Nachforderungen. Bei der Wirtschaftskammer Wien häufen sich die Fälle von Selbstständigen, die rückwirkend und gegen ihren Willen in ein Angestelltenverhältnis versetzt wurden. Das ist mit saftigen Nachzahlungen verbunden.
Sein Geschäftsmodell funktionierte viele Jahre. Johannes Rath, Geschäftsführer von PPC-Training, akquirierte Aufträge und besetzte sie mit Trainern aus seinem Pool. Diese, allesamt Freiberufler, rechneten ihre Stunden mit ihm ab. Er verrechnete die Aufträge mit seinen Kunden.
Bis eines Tages die Gebietskrankenkasse einen seiner Trainer besuchte und in der Folge dessen rückwirkende Versetzung in ein Angestelltenverhältnis durchsetzte – auch vor Gericht. Es half nichts, dass der Trainer seine Selbstständigkeit beteuerte, für die er gute Gründe hatte. Auch seine Argumente, sein Werkvertrag würde keines der Merkmale einer Anstellung erfüllen (etwa Arbeitsplatz beim Auftraggeber, Verwendung von dessen Betriebsmitteln, kein Vertretungs- und Ablehnungsrecht), drangen nicht durch.
Zittern vor der Prüfung
Auftraggeber Rath wurde zu 93.000 Euro Nachzahlung verdonnert, davon 30.000 Euro Zinsen (zum bemerkenswerten Zinssatz von 8,38 Prozent). Sein Trainer kämpfte um Rückerstattung seiner bei der SVA einbezahlten Beiträge als Selbstständiger – vergeblich, denn sie argumentierte, „ihn ja versichert gehalten zu haben“. Jetzt zittert er vor der nächsten Steuerprüfung, weil Abschreibungen und Vorsteuerabzug nicht mehr passen.
Fazit: doppelt bezahlte Beiträge und ein Auftraggeber, der versichert, „sich so etwas kein zweites Mal mehr leisten zu können“.
Aufträge wandern ins Ausland
In der WKW-Fachgruppe Ubit (Unternehmensberatung und Informationstechnologie) häufen sich Hilferufe von Mitgliedern, aber auch Konkurse wegen Nachforderungen. Obmann Martin Puaschitz wehrt sich „gegen die Bevormundung von Selbstständigen. In unseren Branchen ist kein Lohndumping zu befürchten. Wer mit dem Kopf arbeitet, soll arbeiten können, wie er will.“
Auftraggebern blieben derzeit nur zwei Auswege. Der skurrile: Rückstellungen zu bilden, deren Gegenwert sie den Selbstständigen vom Honorar abziehen und – wenn alles gut geht – sieben Jahre später ausbezahlen. Oder die realistische: gleich im Ausland zu bestellen.
"Scheinselbstständigkeit" oder unnötige Hürde?
In der WGKK gibt man sich auf „Presse“-Anfrage wenig begeistert. „Ein ewiger Vorwurf der Ubit“, sagt eine Sprecherin, „wir hören das seit Jahren.“ Die weitere Stellungnahme erfolgt schriftlich und ist sehr allgemein. Man begrüße es, dass sich Menschen selbstständig machen, habe aber feststellen müssen, dass sie in vielen Branchen (etwa Callcenter, Werbung, Promotion, Medien und Erwachsenenbildung) nur in eine Scheinselbstständigkeit gedrängt würden. Aus ihr würden dem Arbeitgeber große finanzielle Vorteile durch Kostenersparnisse und durch die Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Bestimmungen entstehen. Zu Einzelfällen wolle man nicht Stellung nehmen.
„Zarter Hoffnungsschimmer“
Offenherziger gibt sich Alexander Herzog, stv. Obmann der SVA. Im Hintergrund liefen intensive Gespräche, meint er. Auch Lösungsmodelle lägen schon auf dem Tisch, etwa die Beitragsverrechnung der Kassen untereinander: „Es gibt einen zarten Hoffnungsschimmer, aber noch keinen zeitlichen Horizont.“ Bis dahin rät die Ubit vor allem Einpersonenunternehmen (EPU, 6000 der 20.000 Mitglieder), vorsorglich alles zu tun, um echte Selbstständigkeit zu belegen:
► Für viele Auftraggebern tätig sein und sich nicht von einem einzigen abhängig machen.
► Eigene Büroräumlichkeiten und -ausstattung vorweisen können (schwierig für die mobile junge Generation, die mit Laptop und Smartphone auskommt).
► Eine eigene Homepage pflegen, auf der alle Auftraggeber als Referenzen angeführt sind.
► Keine Arbeitsmittel, Telefonanschluss, Visitenkarten etc. des Auftraggebers akzeptieren.
► Möglichst nicht physisch in seinem Unternehmen tätig sein (was etwa die Tätigkeit eines Hochsicherheitsprogrammierers ad absurdum führt).
► Vertretungs- und Auftragsablehnungsrecht vertraglich festhalten und mit Beispielen belegen.
All diese Maßnahmen helfen, eigene Selbstständigkeit zu belegen. Eine hundertprozentige Garantie sind sie nicht.