Flüchtlinge: "Europas Elite bejubelte die Anarchie"

Gergely Gulyás
Gergely Gulyás(c) Privat
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Ungarns Vize-Parlamentspräsident Gulyás rudert beim umstrittenen „Terror-Notstand“ etwas zurück. Mit dem Liberalismus in der EU hat er ein Problem. Er vermisst Kohl und Thatcher.

Die Presse: Ausgangssperren, Menschen umsiedeln, Kommunikation abdrehen und das für 60 Tage ohne parlamentarische Zustimmung. Geht die geplante „Notsituation wegen Terrorgefahr“ nicht zu weit, die Sie in die Verfassung schreiben wollen?
Gergely Gulyás: Es gibt eine neue Form des Terrors, und darauf müssen Europa und Ungarn reagieren. Was wir nun vorgeschlagen haben, ist fast wortgleich mit einer der fünf Notstandssituationen, die es bereits in der Verfassung gibt, der sogenannten „Gefahrensituation“. Und darüber gab es keine Kontroverse.

Ein Unterschied ist, dass die Regierung den „Terror-Notstand“ ohne Zustimmung des Parlaments für 60 Tage in Kraft setzen kann. Im Falle einer „Gefahrensituation“ sind es nur 15 Tage.
Wir sind gesprächsbereit. Auch 15 Tage könnten genug sein. Wir brauchen für die Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit. Die Jobbik-Partei hat gesagt, sie ist mit allem einverstanden, nur nicht mit den 60 Tagen. Sie wollen drei Tage. Ein Kompromiss könnte dazwischen liegen. Es kann aber keine Debatte darüber geben, dass die Regierung bei einer Terrorgefahr allein entscheiden muss, also nicht auf das Parlament warten kann.
Aber eine so vage Formulierung wie Terrorgefahr öffnet doch Missbrauch Tür und Tor.
Alle Regelungen kann man missbrauchen. Die juristischen und politischen Folgen wären im Falle eines Missbrauchs aber enorm.

In welchen Situationen würden Sie den „Terror-Notstand“ ausrufen? Es gab Berichte, wonach die Tumulte an der Grenze mit Flüchtlingen schon als ein solcher Fall angesehen würden?
Nein, das ist etwas anderes. Aber Brüssel ist ein Beispiel, wo wegen Terrorgefahr unter anderem die Menschen in zwei Bezirken nicht mehr auf die Straße gehen durften. Oder Hannover, wo ein Fußball-Länderspiel wegen Terrorgefahr kurzfristig abgesagt wurde.

Ich frage auch, weil Terrorgefahr und Flüchtlingsstrom in Ungarn gern vermischt werden.
Juristisch ist das zu trennen. Aber Europa hat einen Riesenfehler gemacht. Die europäische politische Elite jubelte darüber, dass Anarchie herrschte, dass das Schengen-Abkommen gar nicht funktioniert. Wenn wir unkontrolliert Millionen Leute nach Europa hereinlassen, dann sind darunter Flüchtlinge, Wirtschaftsmigranten, aber auch Terroristen. Das ist nach den Anschlägen von Paris doch keine Frage mehr.

Die ungarische Regierung hat in Warschau einen neuen Unterstützer auf Regierungsebene gewonnen. Was hat es bedeuten, wenn die neue Pis-Regierung "Budapest" als Vorbild nennt?
Wir wissen natürlich, dass die ungarische Regierung bei der neuen Regierung in Polen populär ist. Aber es gibt auch Unterschiede, unsere Schwesterpartei in Polen ist ja die gemäßigte PO und nicht die nun regierende PiS.

Eine Gemeinsamkeit ist aber, dass die neue polnische Regierung das Verfassungsgericht entmachtet, wie das in Ungarn schon geschehen ist.
Das ist eine unwahre Legende. Im Gegenteil: Wir haben die Befugnisse des ungarischen Verfassungsgerichts noch ausgebaut. Wir haben eines der stärksten Verfassungsgerichte in Europa.

Derzeit wird über die Besetzung von vier Verfassungsrichtern diskutiert. Sie haben aber keine Zweidrittel-Mehrheit mehr. Sehen sie die Chance auf einen Kompromiss?
Mit den Sozialisten kann man keinen Kompromiss finden, weil sie sich dem Dialog verwehren. Bleiben also noch Jobbik und die Grünen. Derzeit sieht es so aus, als wäre ein Kompromiss mit den Grünen am wahrscheinlichsten.

Sie haben im Herbst gesagt, alte Parteien würden unter die Räder kommen, weil sie nicht mehr den Willen der Mehrheit vertreten. Sehen Sie sich hheute darin bestärkt?
Ich hoffe nicht auf das Ende der alten Parteien. Ich möchte ein Europa mit Politikern wie Helmut Kohl und Margarete Thatcher, mit Politikern also, die eine starke Wertorientierung haben. Das ging in den letzten beiden Jahrzehnten verloren. In Europa gibt es keine Leadership mehr, nur Bürokratie und eine Form des Liberalismus, mit der wir ein Problem haben: Man darf Wahrheiten nicht mehr ansprechen. Vor acht Monaten haben wir gewarnt, dass durch die Aufnahme von Migranten aus Kriegsgebieten die Terrorgefahr steigt. Mit so einer Meinung durfte man aber am „guten politischen Salon“ in Brüssel erst gar nicht teilnehmen.

Sie sprechen von europäischen Werten. Dazu zählt auch, nicht gegen Menschen wegen ihrer Religion Stimmung zu machen. Das geschieht aber in Ungarn.
Wir achten die muslimische Welt und haben sehr gute Kontakte dorthin. Aber ich habe ein Recht, darüber zu sprechen, dass ich in Europa das Christentum als Wertorientierung möchte. Das ist ein legitimer konservativer Standpunkt.

Das Christentum ist doch nicht in Gefahr, wenn Ungarn ein paar Tausend Flüchtlinge über die Quote aufnimmt.
Natürlich könnten wir 2000 Flüchtlinge integrieren. Keine Frage. Aber wenn wir uns nicht darauf konzentrieren, die Grenzen zu kontrollieren und stattdessen die Flüchtlinge nach einer Quote aufteilen, dann ist das ein Ruf an alle, nach Europa zu kommen.

Anderes Thema: Österreichs Vizekanzler Reinhold Mitterlehner hat die Russland-Sanktionen scharf kritisiert. Freut Sie das?
Ja, wir dachten schon immer, dass die Sanktionen gegen Russland für Europa nicht sinnvoll sind. Aber wir haben sie eingehalten. Ungarn ist in einer speziellen Lage. Auch wenn wir uns schon immer um Diversifikation bemühen: Ohne russisches Gas könnte unser Staat nicht funktionieren.

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