Mariahilfer Straße: Nebenwirkung einer Fußgängerzone

Kein allzu teures Pflaster: die verkehrsberuhigte Mariahilfer Straße.
Kein allzu teures Pflaster: die verkehrsberuhigte Mariahilfer Straße.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Neugestaltung der Mariahilfer Straße sorgt für überraschende Effekte. Wohnungs- und Geschäftsmieten sinken – zumindest teilweise.

Wien. Die Mariahilfer Straße hat sich verändert. Damit ist nicht (nur) die optische Neugestaltung, die Umwandlung von einer stark befahrenen Einkaufsstraße in eine Fußgänger- samt Begegnungszone um 25 Millionen Euro, gemeint – die Veränderung betrifft sämtliche wirtschaftlichen Aspekte: die Entwicklung der Mieten für die rund 1000 Geschäfte (Jahresumsatz etwa eine Mrd. Euro), aber auch die Mieten für Wohnungen im Umfeld, in dem der Lärm durch die Umgestaltung teilweise sogar deutlich gestiegen ist. Es betrifft auch die Veränderung der Kaufkraft und den Trend zu günstigeren Geschäften – weg von hochpreisigen, exklusiven Shops (die sich nun fast ausschließlich in der Innenstadt konzentrieren) hin zu günstigeren Geschäften, während die Gastronomie das Erscheinungsbild der 1,8 Kilometer langen Einkaufsstraße immer stärker prägt – vor allem in Form von zahlreichen Schanigärten mitten auf der Fußgängerzone, sobald es wieder etwas wärmer wird. Die Details:

► Wohnungsmieten unter Druck. Mit der Neugestaltung war zu erwarten, dass die Wohnungsmieten rund um die Mariahilfer Straße enorm nach oben gehen – wegen der gestiegenen Lebensqualität durch die Verkehrsberuhigung. Und der damit verbundenen Steigerung der Nachfrage. „Diese Erfahrung haben wir nicht gemacht“, überrascht Sonja Kaspar, (Otto-Immobilien), die in dem Gebiet rund um die Mariahilfer Straße laufend Objekte vermittelt. Die Ursachen? „Eine Fußgängerzone hat in Hinblick auf Lärm eine eigene Dynamik“, formuliert es die Expertin: „Es kann laut werden. Vor allem, weil es nun sehr viel Gastronomie gibt.“

Das betreffe vor allem den Sommer mit den Schanigärten. Die Lärmbelästigung der Anrainer ist gegenüber den Zeiten mit dem Verkehr also nicht gesunken? „Die Lärmbelästigung ist nun anders“, meint Kaspar: „Die Probleme mit der Gastronomie (Konflikte mit der Wohnbevölkerung wegen Lärm, Verschmutzung etc.) in Wien sind bekannt – im Sommer ist es massiver.“ Sie hätte mit dem Problem auch persönliche Erfahrung, meint die Immobilienexpertin: „Ich hatte ein Büro am Graben. Da musste ich (im Sommer, Anm.) zum Teil das Fenster zumachen. Es gibt einen Basislärm, der immer da ist.“

Dazu kommt ein zweiter Punkt, weshalb potenzielle Mieter nicht bereit sind, astronomische Preise zu zahlen: „Kunden sagen mir, die Zufahrtssituation stört sie, also die Einbahnregelung (die mit der Umgestaltung bewusst kompliziert eingerichtet wurde, um den Durchzugsverkehr durch Neubau und Mariahilf zu verhindern, Anm.)“, so Kaspar: „Das ist bei Familien und größeren Wohnungen ein Thema.“ Konkret würden einige Wohnungsinteressenten bemängeln, dass man schwer die Kinder irgendwo aussteigen lassen könnte (falls man mit dem Auto unterwegs ist).

Falls man keinen eigenen Parkplatz habe, würde man keinen bekommen. Jedenfalls wird die Mariahilfer Straße nicht zu einem zweiten Karmelitermarkt, wo die Neugestaltung die Mieten derart explodieren ließ, dass die angestammte Bevölkerung verdrängt wurde. Sandra Bauernfeind, Leiterin des Wohnbereichs bei EHL Immobilien: „Die Mieten im sechsten und siebenten Bezirk waren schon vorher recht hoch.“ Auch sie hört von Kunden, welche die Verkehrserschließung („Einbahn-Wirrwarr“) abschrecken würden: „Aber für Leute ohne Auto sind die Bezirke genial – wegen der guten öffentlichen Anbindung. Höhere Mieten wegen der Neugestaltung gebe es in diesem Gebiet nur vereinzelt, ist Bauernfeinds Erfahrung. Denn es gebe auch den gegenteiligen Effekt: „Rund um den Bereich, der durch die geänderte Busführung (Linie 13A) beeinträchtigt wird, stagnieren die Mieten.“ Nachsatz: „Wir haben Kunden, die haben nun ständig den Bus vor dem Schlafzimmer.“

► Verkehr drückt Shop-Mieten. Derartige Probleme spielen nicht in den Bereich der Wirtschaft hinein. Sind also die Geschäftsmieten (Verkaufsfläche: 215.000 m2 in der Mariahilfer Straße) gestiegen – nachdem den Kunden mit der Fußgängerzone ein besseres Einkaufserlebnis geboten werden kann? Grundsätzlich nicht, lautet die Antwort von Jörg Bitzer, bei EHL für Geschäftsimmobilien zuständig.

Auch hier wirkt sich die komplizierte Einbahnregelung aus, die Autofahrer aus den Bezirken drängen soll: „Ein Drittel aller Österreicher, also rund 2,6 Millionen Menschen, liegen im Einzugsgebiet der Mariahilfer Straße. Also in einem Gebiet, das innerhalb von 30 Minuten per Auto erreichbar ist.“ Nachsatz: „Wenn ich mit dem Auto nicht mehr einfach dorthin komme, was etwas Gelerntes ist, verliere ich zumindest vorübergehend Kunden.“ Das wirke sich auf Umsätze und Geschäftsmieten aus. Dazu zeige sich auf der Mariahilfer Straße der Trend, dass große Geschäftsflächen schwer, kleinere (60-81 Quadratmeter) deutlich leichter zu vermieten sind.

► Weniger Kaufkraft. Mit der Neugestaltung verändern sich auch Kundschaft und Kaufkraft. „Die Mariahilfer Straße ist im Wandel. Teurere Marken konzentrieren sich in der City, auch wenn die Mariahilfer Straße eine Einkaufsstraße mit guter Zusammensetzung ist“, meint Alexander Fenzl (Otto-Immobilien): „Die Kaufkraft auf der Mariahilfer Straße ist gesunken. Das hängt auch damit zusammen, dass sich die Marken ändern.“ Luxusmarken würden in den ersten Bezirk gehen, günstigere Marken auf die Mariahilfer Straße.

► Gastronomie verändert Bild. Naturgemäß sorgt eine Fußgängerzone für einen Gastronomie-Boom. Bei der Mariahilfer Straße ist es nicht anders: „Eine attraktive Gastronomie ist wichtig, dass eine Einkaufsstraße funktioniert“, meint Fenzl. Dieses Konzept hätten sogar Einkaufszentren erkannt. Dort gehe ohne Grünflächen und Verweilräume nichts mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2016)

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