Wo der globale Jihad (noch) warten kann

Damage is seen inside a school, due to what activists said was an air strike carried out yesterday by the Russian air force in Injara town, Aleppo countryside, Syria
Damage is seen inside a school, due to what activists said was an air strike carried out yesterday by the Russian air force in Injara town, Aleppo countryside, SyriaREUTERS
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Syriens al-Qaida-Ableger Jabhat al-Nusra ist längerfristig eine weitaus größere Bedrohung als der IS. Auf öffentliche Auspeitschungen verzichtet er.

Al-Qaida ist viel intelligenter als der Islamische Staat“, sagt Bernhard Falk, der ehemalige deutsche Linksterrorist, der zum radikalen Islamisten mutierte. „Bei al-Qaida schneidet man keine Köpfe am Fließband zur öffentlichen Belustigung ab, da hat alles Hand und Fuß.“ Mit „al-Qaida“ meint der 48-jährige Islamist Jabhat al-Nusra, eine der größten Rebellengruppen in Syrien.

Dieser offizielle Ableger des internationalen Terrornetzwerks agiert tatsächlich klüger als der IS. Denn die Nusra-Front weiß sich anzupassen und ihre wahren, totalitären Intentionen zurückzustecken. Dies ist einer der Gründe, der sie so gefährlich macht, wie das amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington in einem jüngst veröffentlichen Bericht feststellte.

Die syrische al-Qaida-Gruppe sei längerfristig eine weitaus größere Bedrohung als der IS. „Jabhat al-Nusra hat die moderate Opposition so umfassend geschwächt und unterwandert“, schreiben die Autoren dieser Studie, „dass sie am meisten von der Zerstörung des IS und dem Sturz des Assad-Regimes profitieren wird.“ Mit großer Wahrscheinlichkeit sei in Syrien ein Emirat der Nusra-Front zu erwarten – als zentraler Knotenpunkt im weltweiten Netzwerk al-Qaidas.

Untergang programmiert. Noch ist der IS nicht besiegt, und schon erscheint das nächste Gespenst am Himmel. Dabei dürfte Politikern, Militärs und Experten längst klar gewesen sein, was da im medialen Schatten des sogenannten Islamischen Staates in den letzten beiden Jahren herangewachsen ist. Der IS mit seiner apokalyptischen Vision war nie ein nachhaltiges Projekt. „Je mehr Gegner, desto besser“, lautet seine Philosophie, um in einer letzten Schlacht den jüngsten Tag einzuleiten. Eine fatale Fehlkalkulation, wie man heute sieht: Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem es zu viele Gegner und keine Chance mehr gibt. Der Untergang ist programmiert.

Von der Nusra-Front hat die Öffentlichkeit bisher wenig mitbekommen. Die ganze Aufmerksamkeit galt dem blutigen Treiben des IS. Die Nusra-Front ging in den beiden letzten Jahren auch nicht mit Auspeitschungen, Steinigungen und Enthauptungen medial hausieren. Als Propaganda setzte sie auf ihre militärischen Erfolge. 2012 war das noch anders gewesen. Damals wurden brutale Exekutionsvideos ins Internet gestellt. Aber die syrische Terrorgruppe lernte schnell, dass damit auf Dauer keine populären Sympathien zu gewinnen waren.

Stille Morde. Heute werden Andersdenkende und vermeintlich Ungläubige möglichst im Stillen und ohne laufende Kamera gemordet. Die Nusra-Front lässt sich auch die Millionen aus dem Kidnapping-Business nicht entgehen. Die Entführungen von Krankenschwestern, Journalisten und NGO-Mitarbeitern werden nicht an die große Glocke gehängt, und Lösegeldverhandlungen finden im Geheimen statt.

Mit der Bevölkerung versuchten sich die Islamisten möglichst gut zu stellen. Ein großer Pluspunkt war der „saubere Anstrich“ der Organisation. Die meisten anderen syrischen Rebellengruppen wirtschafteten in die eigene Tasche. Die Nusra-Front stellt Korruption und Vetternwirtschaft unter Strafe. Zusammen mit den militärischen Erfolgen ihrer in Afghanistan und im Irak erprobten Kämpfer ergab das eine attraktive Mischung, die großen Zulauf bescherte.

Zu den Hauptsponsoren sollen bis heute Saudiarabien und Katar gehören, das kleine Golfemirat, das selbst seinen TV-Nachrichtenkanal al-Jazeera für Propagandazwecke einspannte. Rund um ein Exklusivinterview mit dem al-Nusra-Führer Abu Mohammed al-Julani wurde eine Show inszeniert, die es für eine international gelistete Terrorgruppe wohl noch nie im Fernsehen gegeben hat.

Freunde machen. Heute ist die Nusra-Front Teil der „Armee der Eroberer“, eines heterogenen, aber überwiegend aus islamistischen Gruppen bestehenden Militärbündnisses. Statt Feinde will man sich Freunde machen. „Andere gut zu behandeln und über ihre Fehler hinwegzusehen“ – das sei die Basis im Umgang mit anderen Rebellengruppen, sagte al-Julani. Das klingt gut, aber ganz so viel Toleranz wird dann doch nicht aufgebracht. Ende 2014 vernichteten sie die beiden letzten, halbwegs an Demokratie interessierten, größeren Rebellengruppen, die die USA unterstützt hatten. „Agenten des Auslands“ könnten unter keinen Umständen toleriert werden.

Der Pragmatismus der al-Qaida-Truppe ist nur temporär. Denn ideologisch gibt es zum IS keinen Unterschied. Die Nusra-Front will ebenfalls ein Kalifat und den globalen Jihad. Sobald ein Territorium und die Herrschaft des islamischen Rechts in Syrien gesichert sind, soll der Krieg gegen die Ungläubigen losgehen. Zuerst sollen alle korrupten muslimischen Staaten gestürzt werden, dann kommt der Rest der Welt.

Das Nusra-Front-Modell hatte ursprünglich IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi in Auftrag gegeben. Er sandte al-Julani im August 2011 nach Syrien, und dieser baute mit al-Baghdadis Geld eine neue Organisation auf. 2013 verweigerte al-Julani jedoch die Angliederung an den IS. Seitdem sind beide Terrororganisationen verfeindet. Vermittlungsversuche von tschetschenischen Mitgliedern schlugen fehl. Al-Baghdadi lässt nur folgende Alternativen: Unterwerfung oder Tod.

„Eine wirkliche Bedrohung ist Jabhat al-Nusra nicht“, sagte Dr. Zakaria Malahefsi von der Schami-Front in Aleppo stellvertretend für andere Rebellenführer. Sobald Assad gestürzt sei, stünde die Nusra-Front allein gegen den großen Rest der Opposition. „Dann sind sie eine Minderheit, isoliert und haben militärisch keine Chance.“ Ein Wunschtraum, könnte man sagen. Denn dazu gibt es in Syrien viel zu viele radikal-islamistische Gruppen, und diese werden ihre muslimischen Brüder nicht im Stich lassen. Der nächste Bürgerkrieg ist programmiert.

Nach einem baldigen Sturz Assads sieht es derzeit ohnehin nicht aus. Die erfolgreiche Offensive der syrischen Armee mit russischer Luftunterstützung im Norden Syriens ist ein bitterer Schlag für die Rebellen – ganz besonders für Jabhat al-Nusra, die an verschiedenen Frontabschnitten immer wieder Verstärkung geschickt hatte. Die al-Qaida-Truppe gilt als Elitetruppe der Rebellen, die als eine Art Feuerwehr eingesetzt wurde – auch das ein Grund, der sie so populär und zu einer akzeptablen Alternative zum IS machte. Nun haben die Regimetruppen nördlich von Aleppo weiter an Boden gewonnen. Mit Unterstützung der russischen Luftwaffe soll der letzte offene Korridor in die ehemalige Industriemetropole geschlossen werden. Zehntausende Menschen warteten am Wochenende an der Grenze zur Türkei, um ins sichere Nachbarland gelassen zu werden.

Zu den Friedensverhandlungen in Genf, die in der vergangenen Woche scheiterten, war die Nusra-Front nicht eingeladen. Dafür nahm Mohammed Alloush von Jaysh al-Islam als Chefverhandler der syrischen Opposition teil. Die „Armee des Islams“ gilt als gemäßigte Miliz, ist aber eine der vielen ungeklärten Variablen Syriens. Angeblich soll es dem syrischen Volk überlassen werden, ob sie einen islamischen Staat wollen oder nicht. Was aber, wenn sich die Mehrheit für einen säkularen Staat ausspricht? Die Nusra-Front wird mit Sicherheit gegen Demokratie in den Krieg ziehen. Die Frage ist dann, wie sich die Armee des Islam und alle anderen Islamistengruppen verhalten werden – ob sie klein beigeben oder sich an dem Kampf für eine von Allah angeblich gesandte Ordnung beteiligen.

Fakten

Jabhat al-Nusra ist der offizielle Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida in Syrien. Ursprünglich hat der heutige Anführer der Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS), Abu Bakr al-Baghdadi, die Schaffung der Gruppe in Auftrag gegeben. Heute sind die beiden Terrororganisationen verfeindet.

Hauptsponsoren der Nusra-Front sollen bis heute unter anderem Saudiarabien und Katar sein. Experten befürchten, dass die Gruppe von einer Zerstörung des IS und einem Sturz des Assad-Regimes profitieren und in Syrien eine al-Qaida-Hochburg errichten könnte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2016)

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