Toni Faber: "Nie hat es eine Wurstsemmel gegeben"

INTERVIEW: DOMPFARRER TONI FABER
INTERVIEW: DOMPFARRER TONI FABERAPA/HERBERT NEUBAUER
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Dompfarrer Toni Faber spricht über seine arme Kindheit, die Kritik an seiner Dachterrassenwohnung und seinen Privilegien – und erzählt, warum ihm seine Mutter anfangs nicht zutraute, Priester zu werden.

Die Presse: Sie kommen aus einer Arbeiterfamilie. Wie hat Sie das geprägt?

Toni Faber: Sehr. Ich bin im Gemeindebau in Wien in einer Mehrkindfamilie groß geworden. Meine Mutter war Alleinerzieherin, und mein Vati – Gott hab ihn selig, er ist vor einigen Jahren gestorben – hat sich finanziell nicht sehr um uns gesorgt, um es vornehm auszudrücken. Unsere Mutter hat uns vier Kinder mit viel Mühe durchgebracht. Es hat mich damals traurig gestimmt, dass ich der Ärmste in der Klasse und in Versuchung war, anderen zu neiden, was sie hatten: Haus oder Taschengeld, das ich nie bekommen habe. Dafür kann ich jetzt alles, was ich mir leisten kann, so genießen, als hätte ich es nicht.

Was ist Ihnen da abgegangen?

Zum Beispiel eine Wurstsemmel. Ich habe Marmelade- und Butterbrote bekommen, aber nie hat es eine Wurstsemmel gegeben. Die erste Jeanshose, die ich bekommen habe, war aus einem Kleider- und Lebensmittelhilfspaket von der Pfarre. Das war natürlich sehr zum Genieren, aber im Nachhinein hat es mich aufmerksam gemacht: Wo ist versteckte Not, wo kann ich helfen ohne viel Aufhebens? Ich bin da sehr aufmerksam bei den Jungscharkindern, Ministranten und Firmlingen, ob sich jemand etwas nicht leisten und ob man diskret helfen kann.

Ließen die anderen Kinder Sie spüren, dass Sie weniger hatten?

Das nicht, aber ich hatte einfach weniger. Die anderen hatten Markenkleidung, ich musste von meinem größeren Bruder das Gewand übernehmen. Ich habe im Gemeindebau gewohnt, die anderen im Villenviertel. Manchmal haben mich Freunde mit Swimmingpool zu sich eingeladen; das war für mich ein Riesengeschenk. Aber spüren lassen haben sie es mich nicht. Kürzlich habe ich ein Volksschultreffen organisiert. Da konnte ich meine ehemaligen Klassenkameraden aus der Volksschule in den Dom zu einer Führung einladen und in meine Wohnung mit Dachterrasse.

Für diese Dachterrassenwohnung sind Sie heftig kritisiert worden. Hat Sie das geärgert?

Ich habe das ehrlich gesagt scheinheilig gefunden, weil es zwar eine sehr schöne Wohnung – wohlgemerkt eine Dienstwohnung – ist, aber keine protzige. Mein Fehler war, eine Homestory zu machen, während Papst Franziskus im Marta-Gästehaus auf 60 Quadratmetern lebt und nachdem Bischof Tebartz-van Elst in Deutschland bei der Renovierung seiner Residenz so viel Geld vernichtet hatte.

Verlangt man nicht zu Recht von der Kirche, die immer predigt, man solle solidarisch sein, dass sie selbst nicht reich ist?

Die Kirche darf nicht reich sein im Sinne von protzen. Aber sie darf sich ihrer Kulturschätze bedienen, um in diesem Rahmen konsequent für eine Kirche der Armen einzutreten. Diejenigen, die sagen, die Kirche muss auf alles verzichten, aus jedem Palais heraus und alles verkaufen, haben sich Gott sei Dank nicht durchgesetzt. Ich bewundere aber den Lebensstil von Papst Franziskus. Ich kenne diese Lebensform, zu viert in einem Raum mit zwei Stockbetten zu schlafen. Ich weiß, was es heißt, auf dem Boden zu schlafen. Ich besuche Sozialprojekte in Indien oder Äthiopien, und ich habe Patenkinder, die ich finanziell unterstütze. Wenn ich mit meinen Möglichkeiten und meinem Gehalt nichts machen würde, müsste ich ein schlechtes Gewissen haben, in einer 100-Quadratmeter-Wohnung zu leben.

Würde eine arme Kirche nicht weniger Angriffsfläche bieten?

Ich glaube nicht, dass die Kirche stärker würde, wenn alle Mitglieder einem strengen Armutsgelübde huldigten. Ein großer Teil des Ertrages unseres Domkapitels aus Immobilien wird für sozial-caritative Zwecke der Kirche verwendet. Das ist besser, als wenn alle auf alles verzichten. Aber in dieser Spannung stehen wir auch im Bild der Öffentlichkeit.

Könnten Sie sich von Ihrem Gehalt auch diese Kunstwerke leisten, die in Ihrem Büro hängen?

Einige schon, aber nicht alle. Ich kriege nicht so viel Gehalt wie ein Gymnasialprofessor, habe allerdings keine Mietkosten, und wir leisten uns zu zehnt den Luxus einer Pfarrersköchin. Ich kenne aber genug Leute in der Innenstadt, die über all das milde lächeln können. Ich bin trotzdem froh, dass ich nicht die Last mancher Firmenchefs tragen muss, die das Zehnfache oder Hundertfache ihrer kleinsten Mitarbeiter verdienen und das verteidigen müssen.

Sparen Sie auf Möbelstücke oder Kleidung?

Nicht wirklich. Ich mache keine Schulden. Wenn ich alle paar Jahre Kleidung und ein neues Auto kaufe, geht sich das aus. Ich bekomme vieles geschenkt, weil ich Kleidungs- und Schuhgeschäfte eröffne und segne. Ich habe so viele Schuhgeschäfte eröffnet, dass ich keine Schuhe mehr kaufen brauche. Das ist natürlich ein Privileg.

Sie haben in Ihrer Pfarre sowohl mit reichen als auch mit armen Menschen zu tun. Gibt es einen anderen Zugang zum Glauben?

Die menschlichen und religiösen Grundbedürfnisse sind gleich. Ich habe mit Wirtschaftsbossen, hohen Politikern, tollen Schauspielern, mit Obdachlosen, mit Kindern, mit ganz normalen Menschen zu tun. Wenn jemand stirbt, krank ist, ein Fest feiert, ein Kind bekommt – immer sind die Bedürfnisse die gleichen. Ob ich ein Luxushotel, ein Bankenlogo, einen Würstelstand oder die Wohnung eines schwulen Paares segne, das ist genau dasselbe. Sie wollen das, was ihnen anvertraut ist, im Bewusstsein der Dankbarkeit vor Gott benützen.

Als Sie Priester geworden sind, haben Sie sich gedacht, dass Sie einmal in so hohen Politik- und Wirtschaftskreisen verkehren?

Nein, ich habe nicht gedacht, dass ich einmal so viele Kontakte mit Politikern und Wirtschaftsbossen habe und sie auch seelsorglich betreue. Ich nütze diese Kontakte aber auch, um mich für andere einzusetzen, etwa für Flüchtlinge. Wenn ich das nicht täte, wäre es eine Vergeudung von Möglichkeiten. Und ich habe nicht nur diese Kontakte, ich habe auch jährlich meine hundert Erstkommunionkinder, habe Taufen, Firmungen, Hochzeitspaare, Begräbnisse, ich habe mit geschiedenen, in Trennung befindlichen, traurigen Menschen zu tun.

Warum sind Sie eigentlich Priester geworden?

Ich habe mit 17 bei einer Gesundenuntersuchung erfahren, dass ein Nierenversagen droht. Die Ärztin wollte eine Biopsie machen und, dass ich mit meiner Unterschrift die Verantwortung übernehme. Ich habe gemeint, sie soll sich ein anderes Versuchskaninchen suchen. Sie hat aber gesagt: „Herr Faber, wenn der schlimmste Fall eintritt, haben Sie vielleicht nur mehr zwei, drei Jahre zu leben.“ Wenn du als 17-Jähriger hörst, dass das Leben begrenzt ist, was machst du mit dem Geschenk deines Lebens? Ich war kirchlich sozialisiert, war ein Gschaftelhuber, war Oberministrant. Ich habe zu meiner Mutter gesagt: „Ich lebe jetzt arm, ich werde nie mehr Kleidung besitzen, als in einen Schrank reingeht.“ Wenn sie jetzt zu mir kommt und den einen Kleiderschrank mit den Talaren sieht und den anderen mit den Anzügen und den anderen mit den Schuhen, sagt sie: „Weißt du noch, was du damals gesagt hast?“ Ich fühle mich seit damals berufen, Gott zu dienen.

Sind Sie noch immer zufrieden mit Ihrem Beruf?

Ich war nie unzufrieden, hatte nie Zweifel an meiner Berufung, wohl aber oft an der Art, wie ich den Aufgaben nachkomme.

Was hat Ihre Mutter gesagt, als Sie Priester werden wollten?

Das erste Wort aus ihrem Bauchgefühl war: „Das geht nicht, dafür hast du schon zu viele Sünden.“ Inzwischen ist sie dankbar und stolz. [ Pauty ]

ZUR PERSON

Anton Faber (* 1962) ist Dompfarrer der Domkirche St. Stephan in Wien. Er wuchs in Wien-Liesing auf, studierte Theologie und wurde 1988 zum Priester geweiht. Ein Jahr später wurde er erzbischöflicher Zeremoniär bei Kardinal Hans Hermann Groër und dann dessen Nachfolger Erzbischof Christoph Schönborn. Seit 1997 ist Faber Dompfarrer von St. Stephan und Dechant des ersten Wiener Gemeindebezirks, seit November 2000 Domkapitular.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2016)

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