Appell an die Bürgerlichen

Bei der Debatte um die Vermögenssteuer zeigt sich: Institutionen wie Raiffeisen oder die Industriellenvereinigung sind jederzeit bereit, ihre Interessen gegen empirische Fakten auszuspielen.

Mein Großvater (*1922) ist einer jener Nachkriegsunternehmer, die von der Stunde null an zum Wiederaufbau beigetragen haben. Sein Mittelbetrieb wuchs bis in die 1980er-Jahre zum größten Schotterproduzenten Österreichs. Die Begeisterung ob der Tatsache, dass sein Enkel ein Volkswirt sozialdemokratischer Gesinnung ist, hält sich in Grenzen. Zumindest können wir uns meist über die sozialstatistischen Fakten einigen, entlang derer wir politisch diskutieren. Diese prinzipielle Sachlichkeit in der Debatte setzt bei ihm jedoch in einer Frage aus: Das Thema Vermögenssteuern wird stets zur emotionalen Kontroverse. Er sieht dabei sein Lebenswerk, alles, womit er sich identifiziert, von neiderfüllten Staatsbürokraten bedroht. Empirische Daten werden plötzlich sekundär.

Kapitaleinkommen steigen

„Tun wir nicht so, als ob es in Österreich Verteilungsungerechtigkeit gäbe!“, tönte Josef Pröll am 19. Mai im 2009 im Nationalrat. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Thinktanks „Berlinpolis“ gibt Pröll auf den ersten Blick recht. Wir liegen bei der Einkommensverteilung in der EU auf Platz neun von 25, für die Vergleichsdimension Raum kein dramatischer Wert. Doch die Dimension Zeit relativiert die räumliche Mittelposition drastisch: Am 30. Dezember 2008 hieß es in der „Presse“, dass die Schere innerhalb der Lohneinkommen aufgeht. Das unterste Zehntel erzielte nur noch 88 Prozent seines Realeinkommens von 1998, während das oberste Zehntel real um fünf Prozent zulegte. Überdies ist der Anteil der Löhne am Volkseinkommen laut „Presse“ vom 22. September 2007 von 72 Prozent Mitte der 70er-Jahre auf aktuell 57 Prozent gesunken, stärker als in fast allen anderen EU-Staaten. Die Kapitaleinkommen stiegen entsprechend. Der sinkende Lohnanteil bringt eine Reihe von Finanzierungsproblemen mit sich, weil sich die Sozialversicherungen über die SV-Beiträge der Löhne speisen. Wenn der Anteil der Kapitaleinkommen markant gestiegen ist, wäre es dann nicht fair, diese in die Finanzierung der Sozialsysteme einzubeziehen? Das Gegenteil ist der Fall: Am 13. Juli 2007 wurde in der „Presse“ die OECD zitiert: Vermögensbezogene Steuern betragen in Österreich nicht einmal eineinhalb Prozent des Steueraufkommens, im OECD-Schnitt sei deren Anteil viermal so hoch.

Ökonomen mit einem Fokus auf soziale Fragen betonen die Ungleichheit, werden aber trotz ihrer wissenschaftlich einwandfreien Arbeit als Ideologen wahrgenommen. In der Tat sagen die Wahl des Forschungsfeldes sowie die Schlussfolgerungen viel über eigene Werte aus. Das Zusammentragen der empirischen Daten, also der technische Teil zwischen Themenwahl und Interpretation, steht jedoch innerhalb der volkswirtschaftlichen Community außer Streit. Karl Aiginger, der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), ist kein Linker, doch er weiß, dass seine Verteilungsexperten technisch korrekt arbeiten. Bei diesen handelt es sich keineswegs nur um Rote, auch Christen und Sozialliberale verschließen die Augen vor der Faktenlage nicht und fordern steuerliche Gegenmaßnahmen. Weil genau das ihren Interessen widerspricht, werden sich Industriellenvereinigung und Raiffeisen künftig aus der Finanzierung des Wifo zurückziehen.

Es gibt auch Kräfte, die die Bevölkerung bewusst in die Irre führen, allen voran die „Kronen Zeitung“ und die ÖVP-Führung. Christoph Matznetter brachte 2004 die Idee auf, die Kapitalertragssteuer (eine einheitliche Steuer auf Zinserträge) einkommensabhängig für Niedrigverdiener zu reduzieren und für Menschen mit hohem Einkommen anzuheben. Als Sparbuchsteuer, unter der die kleine Pensionistin zu leiden hätte, wurde dies von der „Krone“ skrupellos gebrandmarkt. Laut „Presse“ vom 20. März 2007 wurde 2006 die Hälfte des Erbschaftssteueraufkommens von den obersten 1,3 Prozent der Erbfälle bezahlt, 2/3 aller Erben zahlten hingegen im Schnitt 181 Euro. So stellt man sich eine treffsichere Reichensteuer vor. Trotzdem wird die Erbschaftssteuer von der ÖVP-Führung beinhart als Mittelstandssteuer dargestellt. Die ÖVP ist eine große Partei mit einer sehr heterogenen Klientel, die es geschickt versteht, Interessen sozial zu konstruieren. 80 Prozent ihrer Wähler würden von einer „linken Steuerreform“ profitieren. Mittlerweile hat Werner Faymann die ÖVP-Mittelstandslüge übernommen und stellt sich gegen eine Wiedereinführung der Erbschaftssteuer. Faymann ist in Verteilungsfragen schlicht und ergreifend nicht unabhängig. Im Interesse eines Medienoligarchen hilft er bei der Verschleierung empirischer Fakten.

Natürlich berücksichtigen viele Bürgerliche bei ihrer politischen Urteilsbildung neben ihrer Steuererklärung auch gesellschaftspolitische Fragen und wissen beispielsweise den sozialen Frieden und die geringe Kriminalität in Österreich zu schätzen. Wenn man sich durch Abschaffung aller Vermögenssteuern und durch Stiftungskonstruktionen völlig aus der gesellschaftlichen Verantwortung stiehlt, wird die soziale Polarisierung auf Perspektive aber zunehmen. Spiderman ist nicht nur ein Comic-Held, sondern auch ein kleiner Philosoph. Sein Motto „Große Kraft heißt große Verantwortung“ ist ein Ethos, das vor allem das bürgerliche Lager von den Vermögenden einfordern sollte. Die ÖVP, als seine politische Vertretung, tut das schiere Gegenteil.

Keine Enteignung

An die Leser der „Presse“ sei folgender Appell gerichtet: Schalten Sie beim Verteilungsthema nicht automatisch auf Konfrontationsmodus; interpretieren Sie den Vorschlag einer Vermögensbesteuerung nicht als Ansage einer Enteignung; behaupten Sie nur dann, dass Unternehmerkinder ihren Betrieb ob der Erbschaftssteuer verkaufen müssten, wenn Ihnen ein einziges reales Beispiel einfällt; bringen Sie die Vermögenssteuer nicht in Zusammenhang mit dem Mittelstand; behaupten Sie nicht, Vermögenssteuern würden den Wirtschaftsstandort schwächen, wenn Sie nicht selbst bereit wären, Ihr Sommerhaus von Altaussee ins OECD-Ausland zu verlegen; wenn Sie aus persönlichen Interessen Vermögenssteuern ablehnen, dann behaupten Sie nicht, Ihr Partikularinteresse entspräche dem Interesse der gesamten Gesellschaft; instrumentalisieren Sie nicht die Angst der wenig informierten Menschen für Ihre Zwecke; argumentieren Sie redlich!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2009)

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