UNO: Syriens Konfliktparteien töten systematisch Häftlinge

Mitglieder der Untersuchungskommission für Syrien in Genf.
Mitglieder der Untersuchungskommission für Syrien in Genf.REUTERS
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Der Horror der Festnahmen habe ganz Syrien paralysiert, sagt eine Kommission. Tausende Menschen sind in Haftlagern von Regime und Islamisten verschwunden.

Tausende von Menschen sind in Gefängnissen des Assad-Regimes sowie Haftlagern extremistischer Gruppen in Syrien gequält und getötet worden, heißt es in einem Bericht der Vereinten Nationen. Folter, Vergewaltigungen, Morde und weitere Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien dort tägliche Praxis, erklärte die vom UNO-Menschenrechtsrat berufene Untersuchungskommission für Syrien am Montag in Genf. Viele andere Häftlinge seien durch Krankheiten infolge unhygienischer Zustände sowie die Verweigerung medizinischer Hilfe ums Leben gekommen.

Zehntausende Menschen seien im März 2011 rund um die Anti-Regierungs-Proteste von Sicherheitskräften des Regimes unter Präsident Bashar al-Assad inhaftiert worden, vor allem Männer und männliche Jugendliche von etwa 15 Jahren an. Für Verhaftungen reiche dem Regime schon ein Verdacht, dass jemand mit der Opposition sympathisiere. Tausende seien seit ihrer Festnahme bis heute "verschwunden", stellt die Kommission in einem umfangreichen Bericht zur Tötung Gefangener in Syrien fest.

Der Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) und der radikal-islamischen Al-Nusra-Front werfen die Ermittler willkürliche Massenhinrichtungen von Soldaten sowie Exekutionen von Gefangenen nach Todesurteilen durch illegale Gerichte vor. Auch einige der eher gemäßigten Rebellengruppen hätten gefangene Soldaten nach illegalen Prozessen in ganzen Gruppen umgebracht.

Bericht stützt sich auf 621 Zeugen

"Die Verantwortlichen für diese Verbrechen müssen zur Rechenschaft gezogen werden", forderte der brasilianische Menschenrechtsexperte Paulo Sergio Pinheiro als Kommissions-Leiter. Dies müsse Teil einer politischen Lösung für den Syrien-Konflikt sein. "Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit", sagte die frühere Chefanklägerin des UNO-Kriegsverbrechertribunals für Ex-Jugoslawien, Carla del Ponte. Sie ist Mitglied der Kommission.

Eine konkrete Zahl getöteter Gefangener könnten die Ermittler allerdings nicht nennen, wie Pinheiro auf Anfrage einräumte. Er verwies darauf, dass die syrische Regierung seit Jahren die Einreise der UNO-Experten verhindere. Der Bericht stütze sich auf Befragungen von 621 Zeugen außerhalb Syriens sowie per Telefon und auf Dokumente.

Verstümmelter Leichnam an Familie geschickt

Ex-Gefangene hätten von grauenhaften Übergriffen und Zuständen in Gefängnissen berichtet. "Das Schreckgespenst einer Festnahme oder Entführung und der schier unvermeidliche Horror, der dann folgt, haben Gemeinden überall im Land paralysiert", sagte Pinheiro.

In dem Bericht wird unter anderem das Schicksal eines 13-jährigen Buben dokumentiert. Er sei im April 2011 in der Stadt Sayda festgenommen worden. Einen Monat später hab man seiner Familie seinen verstümmelten Leichnam zurückgeschickt.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft unterdessen Syrien und Russland vor, im syrischen Bürgerkrieg zunehmend Ziele mit der international geächteten Streumunition anzugreifen. In den vergangenen zwei Wochen hätten sie diese in 14 Fällen eingesetzt, erklärten die Menschenrechtler am Montag. Dabei seien mindestens 37 Menschen ums Leben gekommen, darunter sechs Frauen und neun Kinder. Allein während der auf Ende Februar vertagten Genfer Friedensgespräche habe es sieben Angriffe mit Streumunition gegeben.

(APA/dpa)

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