Mutterfrust: Wenn Mütter das Muttersein reut

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Mehrere Neuerscheinungen behandeln das Thema Regretting Motherhood. Schriftstellerin Gertraud Klemm sucht ebenfalls nach Worten für das schwierige Leben mit Kind: Sie schildert eine Adoptivmutterschaft.

Tabubrechende kollektive Selbstbekenntnisse waren immer schon eine Waffe des Feminismus. Einst hieß die Formel „Ich habe abgetrieben“, jetzt gibt es eine neue: „Ich bereue, geboren zu haben.“ Unter der Formel Regretting Motherhood schon viel diskutiert, hält das Thema spätestens mit diesem Frühjahr auf dem deutschsprachigen Buchmarkt Einzug, gleich drei Neuerscheinungen widmen sich ihm: „Die Mutterglück-Falle“, „Die falsche Wahl“ und „Regretting Motherhood. Wenn Mütter bereuen“.

Letztere ist die Übersetzung der Studie „Regretting Motherhood“, die im Jahr 2015 die Diskussion ausgelöst hat – unter anderem auf Twitter unter dem Hashtag #regrettingmotherhood. Für dieses Buch hat die israelische Soziologin Orna Donath 23 israelische Mütter im Alter von Mitte 20 bis Mitte 70 befragt. Obwohl diese verschiedensten sozialen und religiösen Milieus angehören, haben sie eines gemeinsam: Sie bereuen dauerhaft, Mutter geworden zu sein.

Liebe zum Kind – und trotzdem Reue

Die Aufmerksamkeit für die bereute Mutterschaft ist eine neue Variante der feministischen Mutterschaftsdebatte. Zur Zeit von Simone de Beauvoir war es ein Tabubruch zu bekennen, als Frau kein Kind haben zu wollen. Dann kam das öffentlich inszenierte Bekenntnis von Frauen dazu, schwanger geworden zu sein, aber (mittels Abtreibung) nicht geboren zu haben. Jetzt heißt das Bekenntnis, geboren zu haben, aber es lieber nicht getan zu haben. Von allen drei Bekenntnissen ist es vielleicht das heikelste. Heißt es nicht, sich lebende Wesen, noch dazu die eigenen Kinder aus der Welt zu wünschen? Treibt es nicht ein Phänomen auf die Spitze, das ebenfalls bis heute tabubehaftet ist: die fehlende Mutterliebe?

Tut es nicht, ergibt Donaths Studie, es gibt Reue trotz Liebe. Die befragten Mütter bereuen ihr Muttersein nicht, weil sie ihre Kinder nicht lieben, sondern obwohl sie sie lieben. Die Reue kommt offenbar von der Bürde der Umstände, der Überforderung sowie dem öffentlichen Druck, lieben zu müssen, glücklich und perfekt sein zu müssen; einem Druck, der die Frauen mit abweichenden Gefühlen alleinlässt.

Um diese Einsamkeit zu erleben, muss man nicht schwer gestört sein wie die Hauptfigur im Roman „Mädchen für alles“, dem jüngsten Roman von „Feuchtgebiete“-Autorin Charlotte Roche. Ihre Protagonistin erscheint als Produkt aus Hormonen und gesellschaftlichen Erwartungen (Flucht vor dem Druck im Job, Mythos Mutterrolle), also biologisch und gesellschaftlich determiniert, ganz wie Simone de Beauvoir die „Mutterfalle“ beschrieben hat. Dazu kommt die psychologische Determinierung – als Scheidungskind.

Der Rückfall in die alten Rollen

Allerdings hätte die Beauvoir, die Frauen auch in ihren literarischen Texten zur Selbstermächtigung aufrief, mit der Opferrhetorik dieses Romans und der Flucht der Heldin in ein grausiges Gemetzel wohl wenig Freude gehabt. Wie überhaupt mit der gegenwärtigen Tendenz zu einer sich wütend im Kreis drehenden „Mutterfrustliteratur“ mit eingebauten Schockeffekten.

In Charlotte Roches Roman „Mädchen für alles“ strafft die Erzählerin ihre Taille mit Gaffa-Tape, um später dasselbe Zubehör zur Folterung ihrer Eltern zu verwenden. So weit kommt es im soeben erschienenen neuen Roman „Muttergehäuse“ der österreichischen Autorin Gertraud Klemm nicht, aber die genüsslich ausgewalzte Vorstellung der Hauptfigur, sich mit Messer und Spritze dünner zu machen, könnte wortwörtlich von Roche stammen.

Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2014 erhielt Gertraud Klemm für einen Text aus ihrem Roman „Aberland“ den Publikumspreis. Sie verarbeitete mit diesem Rundumschlag einer frustrierten Jungmutter auch die Erfahrung, wie Paare, sobald sie Eltern werden, immer noch in alte Geschlechterrollen zurückfallen. Ihr neues Buch „Muttergehäuse“ öffnet erneut alle Ventile des Mutterfrusts, diesmal aber in einer ungewöhnlicheren Variante. Sie schildert die Mühen einer Adoptivmutterschaft. „Muttergehäuse“, so die Autorin am Ende, sei „jenes Buch über alternative Elternschaft, das ich während der Zeit unserer Familiengenese so gern gelesen hätte.“

Diese unerträglichen „Diemütter“ . . .

Befindlichkeiten einer weiblichen Figur spürbar zu machen und damit gesellschaftlich aufzurütteln – das kann Klemm. Spürbar wird zum Beispiel, was die frisch gebackene Adoptivmutter eines schwarzen Babys von den „normalen“ Müttern – genannt „Diemütter“ – trennt: etwa die nicht enden wollenden Behördenwege und Kontrollen, das vorauseilende Misstrauen; der „Voyeurismus, Exotismus, positive Rassismus“, den sie erlebt oder zu erleben glaubt; das Gefühl der Fremdheit dem Kind gegenüber, das Gefühl, nicht zu „Denmüttern“ zu gehören, unwillkommen zu sein im „sonnigen Mutter-Kind-Land“. Dazu kommt ihr allgemeiner Mutterfrust.

Wie oft hat man über diesen nicht schon in ganz ähnlichen Worten gehört und gelesen? Das ist auf Dauer ermüdend. Zugleich sind die Klagen nicht ohne Grund immer dieselben. Und das erstaunliche Faktum, dass Männer sowohl in den neuen „Regretting Motherhood“-Büchern als auch in den „Mutterfrust“-Romanen praktisch nicht vorkommen, ist auch symptomatisch – dafür, dass der Geschlechtergraben nicht zugeschüttet ist. Spätestens beim ersten Kind ist er oft wieder da.

Seit Donaths Buch 2015 auf Englisch erschienen ist, dominieren zwei Reaktionen die „Regretting Motherhood“-Debatte: teilweise heftige Kritik an den „bereuenden Müttern“ sowie verständnisvoll wirkende Diskussionen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Allerdings wird mit der Verengung auf die Vereinbarkeitsfrage wieder ein Teil des Phänomens verleugnet: nämlich dass Mütter auch in glücklicheren Umständen unglücklich in ihrer Mutterrolle sein und zwiespältige Gefühle haben können. Etliche Schriftstellerinnen suchen derzeit immerhin nach Worten dafür. Die Öffentlichkeit hat sie noch zu wenig.

Buchempfehlungen: Gertraud Klemm, „Muttergehäuse“ (Kremayr & Scheriau); Orna Donath, „Regretting Motherhood. Wenn Mütter bereuen“ (Knaus).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2016)

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