Musikarchäologie: Die Musik der Steinzeitmenschen

Instrument oder Trinkgefäß? Die Venus von Laussel hält ein Horn in der Hand.
Instrument oder Trinkgefäß? Die Venus von Laussel hält ein Horn in der Hand.(c) Wikipedia
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Musik begleitet Menschen seit jeher. In jeder Epoche kam ein neues Material und damit ein neuer Klang dazu. Forscher lassen die Musik der Ur- und Frühzeit im Heute auf nachgebauten Instrumenten erklingen.

Musik gibt es, seit es Menschen gibt: „Das erste Instrument war sicher die Stimme, gesungen wurde immer“, sagt Beate Maria Pomberger, Musikarchäologin der Uni Wien. Es gab sogar etwas wie den Song Contest: einen musikalischen Wettstreit mit Panflöte und Leier in der älteren Eisenzeit. Das älteste je gefundene Instrument stammt aus der Altsteinzeit und wurde wahrscheinlich vom Neandertaler gespielt: Die Knochenflöte aus Slowenien ist 43.100 Jahre alt.

Nach 20 Jahren im Musikbusiness verfasste die ausgebildete Sängerin und Prähistorikerin nun eine erste umfassende Arbeit über Musikinstrumente der prähistorischen Zeit in Mitteleuropa: „Wiederentdeckte Klänge“ erscheint demnächst im Dr.-Rudolf-Habelt-Verlag. Zugleich gründete Pomberger Musikgruppen, die steinzeitliche und antike Klänge im Heute ertönen lassen.

Pomberger vereint geschickt Methoden der Ur- und Frühgeschichte mit jenen der Musikwissenschaft und baut Instrumente der frühen Menschheitsgeschichte nach. Als Vorlage dienen entweder archäologische Funde der Instrumente oder Abbildungen auf künstlerisch gestalteten Gefäßen aus Ton und Bronze.

Knochenflöten der Steinzeit

„Die ältesten Instrumente, die ich selbst in Händen gehalten habe, sind etwa 19.900 Jahre alt, ebenfalls Knochenflöten aus der Steinzeit. Sie wurden in Grubgraben in Niederösterreich gefunden“, sagt Pomberger. Diese ältesten Musikinstrumente Österreichs kann man im Archäologiemuseum Eggenberg bewundern. „Darunter ist ein Rentierknochen mit drei Grifflöchern und einige Phalangenpfeifen, das sind Fußwurzelknochen, in die Löcher geschabt wurden“, so Pomberger.

„Welche Instrumente wirklich die ältesten waren, ist schwer zu sagen, da Material wie Holz oder Rinderhorn nicht so lang hält.“ Auch aus der Hallstattzeit, aus der einige Alltagsgegenstände aus Holz die Jahrtausende überdauert haben, ist kein komplettes hölzernes Musikinstrument bekannt. Doch auf Abbildungen der damaligen Eisenzeit sind etwa Panflöten, Leiern und Harfen zu sehen.

Bereits der erste Musikarchäologe war ein Österreicher: Otto Seewald (1898 bis 1968) gestaltete in den 1930er-Jahren einen Überblick über steinzeitliche Musikinstrumente. Pomberger konzentrierte sich nun auf die Zeitabschnitte der Jungsteinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit und Römischen Kaiserzeit im Gebiet zwischen Salzach und Donauknie. „Das umfasst die Länder Österreich, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien: Alle Funde wurden genau datiert und kulturell eingeordnet.“

Sie reiste zu den jeweiligen Museen, um an den Originalen akustische Messungen durchzuführen. Frequenzanalysen zeigen, welche Tonhöhen die Instrumente von sich geben, Schallpegelmessungen lassen erahnen, über welche Distanz man die Musik hören konnte.

Ton als erster „Kunststoff“

Ab jeder Epoche der Menschheitsgeschichte kam ein Material hinzu, das anders klang als alles, was davor existierte. Nach den Musikinstrumenten aus Knochen kam der erste „Kunststoff“: Ton, der durch Brennen haltbar gemacht wurde. Daraus stellten schon Steinzeitmenschen Gefäßflöten her.

„Aus dem Jagdbogen entwickelte sich das erste Saiteninstrument: der Musikbogen und in Folge alle mehrsaitigen Instrumente, wie etwa Zithern, Lauten, Harfen. Die frühesten Nachweise stammen aus Israel aus dem vierten Jahrtausend“, so Pomberger. Auch Tontrommeln, die mit Tierfell bespannt wurden, sind erhalten.

All diese Flöten, Trommeln und Saiteninstrumente waren eher leise, erreichten nur die Menschen in naher Umgebung. Richtig laut wurde es erst ab der Bronzezeit, als „Blechblasinstrumente“ entwickelt wurden: „In Nordeuropa wurden 2,40 Meter lange Naturhörner mit großer Reichweite paarweise geblasen. Signalpfeiferl aus der Frühbronzezeit konnte man zum Beispiel in 170 Meter Entfernung noch hören“, sagt Pomberger.

Welche Melodien erklungen sind, kann man nur erahnen. Natürlich geben die Instrumentenformen Tonhöhe und Lautstärke vor, aber Rhythmus und Notenfolge bleiben aus der Prähistorie, aus der es keinerlei schriftliche Aufzeichnungen gibt, ein Mysterium. „Die Griechen kannten eine Buchstaben-Notenschrift. Die Vierteltonschritte klingen für uns ungewohnt und sind schwer nachzusingen.“

Pomberger vermittelt nun alles, was man über prähistorische Instrumente wissen kann, auch in Workshops an Schulen, spielt auf nachgebauten Flöten, Hörnern und Trommeln und baut mit den Kindern Panflöten, Schrapper, Schwirrhölzer und Musikbögen.

Lexikon

Die Altsteinzeit beginnt vor zirka 3,8 Millionen Jahren. Die Steinzeit wird ab der Einwanderung des Homo sapiens nach Europa in das Jungpaläolithikum, jüngere Altsteinzeit, (41.500 bis 8500 v. Chr.), Mittelsteinzeit (8500 bis ca. 6000 v. Chr.) und Jungsteinzeit, Neolithikum, (ca 6000 bis 4350 v. Chr.), eingeteilt. Danach folgen die Kupferzeit (4350 bis 2300 v. Chr.) und die Bronzezeit (2300 bis 800 v. Chr.). Die Eisenzeit erstreckt sich in Mitteleuropa von 800 bis 15 v. Chr., wobei die ältere Eisenzeit als Hallstatt-Zeit bekannt ist. Von 15 v. Chr. bis 488 n. Chr. spricht man von der römischen Kaiserzeit/Antike.

Dauer und Beginn der diversen Epochen lassen sich allerdings nicht über den Kamm scheren, sie unterscheiden sich je nach Region. Im Südosten Europas (Griechenland) beginnt das Neolithikum etwa bereits im 7. Jahrtausend. v. Chr. und breitet sich von dort nach Europa aus. Im Norden dauert daher die Altsteinzeit länger als im Süden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2016)

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