Stalins Straflager: Rückkehr aus der Hölle

Ottillinger überlebt ganz knapp und gelobt, in Wien eine Kirche zu stiften. Wotruba hat sie gebaut.

Nach einer monatelangen Odyssee erfährt Margarethe Ottillinger im Mai 1949, dass sie zu 25 Jahren Haft verurteilt sei – in einem sowjetischen „Besserungsarbeitslager“. Im Durchgangslager Lemberg lernt die Österreicherin die Hölle der Stalin'schen Gulags kennen. Sie landet nach weiteren Irrfahrten in Potma in Mordovien, im Sonderlager Nr. 3, das sich in einem malariaverseuchten Sumpfgebiet befindet. Potma, das heißt „Die Finsternis“, 500 Kilometer von Moskau.

Ottillinger verfällt zusehends, ihre Qualen werden ignoriert. Halb tot wird sie nach Moskau in die berüchtigte „Lubjanka“, Sitz des sowjetischen Inlandsgeheimdienstes, gebracht. Wieder gibt es monatelange Verhöre der „US-Spionin“, aber kein Geständnis. In ihrer Verzweiflung versucht die gläubige Katholikin schließlich, ihren Qualen ein Ende zu setzen. Sie will sich mit ihrem Strumpfband erhängen, doch der Versuch misslingt. „Die Fallhöhe“, schreibt sie später völlig sachlich, „war zu gering, sodass der Halswirbel nicht gebrochen wurde.“

Bei den Verhören, die stets nächtens erfolgten, stellte sich heraus, dass sie in Wien von einem Österreicher denunziert wurde, den sie zufällig kurz auf einer Party getroffen hatte. Sie bekam Ruhr, hatte hohes Fieber und magerte total ab. Bis zum Äußersten gepeinigt, kam sie im Gefängnis Butyrka endlich in die Krankenabteilung. Wochenlang lag sie dort in einer Zelle, dann transportierte man sie nach 18 Monaten wieder ins Lager nach Potma.

Ende 1953 dann plötzlich die Überraschung: Es gibt lindere Haftbedingungen. Dass Stalin bereits am 5. März gestorben ist, spricht sich erst jetzt herum. Die Gefangenen werden aufgepäppelt, offenbar für die Freilassung zurechtgemacht. Im März 1955 darf Ottillinger zum ersten Mal ihrer Mutter einen Brief schreiben.

Träger schleppen die Schwerkranke zum Zug, der 186 Österreicher in die Heimat zurückbringt. Am 25. Juni 1955 warten Hunderte Menschen auf dem Bahnhof von Wiener Neustadt auf diesen Heimkehrertransport. Freude, Rührung, Aufregung. Margarethe Ottillinger hat keine Tränen mehr. Über 2400 Tage in russischer Gefangenschaft haben die jetzt 36-Jährige schwer gezeichnet.

Doch nach langen Kuraufenthalten beginnt ihr zweites Leben. Der Staat tut nichts für sie. Erst Julius Raab muss eingreifen, dann wird sie rasch Vorstandsmitglied in der OMV. Eine besondere Pointe der Geschichte, denn die Mineralölverwaltung war bis 1955 ein russisch verwalteter Betrieb.

Die Sowjetbotschaft in Österreich teilt ihr lapidar mit, dass ihre Verurteilung aufgehoben worden sei. Sie spürt wieder Lebensfreude. Bald geht in dem verstaatlichten Betrieb das Bonmot um, in der Firma sei der einzige Mann eine Frau. Eine Assoziation zur späteren OMV-Vorstandsdirektorin Maria Schaumayer stellt sich da von selbst ein.

Dass ihr Peter Krauland diese Falle gestellt und ihr die besten Lebensjahre geraubt hat – dies lässt sich durch Karners neueste Forschungen keineswegs erhärten. Sie sagte zwar, sie wisse, wer sie verraten habe, nannte aber nie Namen, weil ihr die Beweise fehlten.

Im September 1982 ging sie in Pension. Immer mehr wurde sie von der Spiritualität der Servitinnen angezogen, übersiedelte in ein Pensionistenheim, das von dem Orden geführt wurde. Kurz vor ihrem Tod trat sie als Terziarin der Gemeinschaft bei. Ohne ihr rastloses Engagement und Kardinal König gäbe es heute keine Wotruba-Kirche in Mauer. Die Kirche, 1976 geweiht, ist ihr Dank und ihr Vermächtnis. Sie starb 1992 – ganz unerwartet – in ihrer Waldviertler Jagdhütte. Sie war eine passionierte Jägerin – und eine einsame Frau, die unverschuldet in den Mahlstrom der Geschichte des unbarmherzigen 20. Jahrhunderts geraten war. Auf dem Grabkreuz steht nur: „Schwester M. Ottillinger“.

Spielfilm für den ORF

Die Lebensgeschichte Ottillingers ist nun für den ORF von Klaus T. Steindl und Dieter Pochlatko verfilmt worden, mit Ursula Strauss in der Hauptrolle, fachlich beraten von Stefan Karner. Die erste umfassende Biografie stammt von Ottillingers Freundin, der Journalistin Ingeborg Schödl, deren 2004 erschienenes Buch („Im Fadenkreuz der Macht“) im Czernin Verlag neu aufgelegt wurde („Die Welt bis gestern“ berichtete).

Die TV-Doku „Spiel mit dem Feuer“ wird am 4. März ausgestrahlt („Universum History“, 22.30 Uhr, ORF 2), das Buch wird am 17. Februar in der PolAk präsentiert. (hws)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2016)

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