Großbritannien: Das Referendum frisst seine Kinder

David Cameron.
David Cameron.(c) REUTERS (TOBY MELVILLE)
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Der britische Premierminister, David Cameron, wollte die Europafrage ein für allemal klären. Nun droht sie ihn aber zu verschlingen. Die Stimmung geht in Richtung Austritt, die Versöhnung mit der EU könnte scheitern.

London. Für den britischen Premierminister, David Cameron, steht in den nächsten Wochen nicht weniger auf dem Spiel als sein Platz in den Geschichtsbüchern. Wird er der Londoner Regierungschef sein, der sein Land mit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union versöhnt hat? Oder wird er dafür in Erinnerung bleiben, dass er sein Land aus der EU geführt und nachfolgend die (dann wohl unvermeidliche) Abspaltung Schottlands ausgelöst hat?

In seiner ersten Parteitagsrede nach der Wahl zum Vorsitzenden der britischen Konservativen hatte Cameron 2006 die Tories aufgefordert, damit aufzuhören, sich „endlos über Europa zu ergehen“. Cameron präsentierte sich damals als Erneuerer, der für einen liberalen und mitfühlenden Konservativismus zu stehen schien. Er flog auf den Nordpol, um sein Umweltbewusstsein zu demonstrieren, und umarmte asoziale Jugendliche, um sein gesellschaftliches Engagement zu zeigen. Zum Thema Europa blieben vergleichbare Schritte hingegen aus. Nach den Europawahlen 2009 machte Cameron seine Ankündigung wahr und führte die Tory-Europaparlamentarier aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP). Das brachte ihm nicht nur die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit der Kaczyńskis als Partner, sondern auch den Groll der deutschen Kanzlerin Angela Merkel.

Den epischen Streit über Europa unter den Konservativen zu beenden, bedeutete für Cameron nicht, einen proeuropäischen Kurs einzuschlagen. Der frühere britische Europastaatssekretär, Denis MacShane, erzählt, wie ihm Cameron erklärt hat: „Ich bin sehr viel europaskeptischer als Sie glauben.“ In seiner ersten Regierung nach der Wahl 2010 machte er mit William Hague einen der profiliertesten EU-Kritiker zum Außenminister. Mit derartigen Signalen ermutigte Cameron die Europagegner in seiner Partei. Je mehr er ihnen gab, desto mehr forderten sie. Die Skeptiker fühlten sich durch die Eurokrise bestätigt. Zudem setzte der Aufschwung der rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party (UKIP), die einen EU-Austritt und eine radikale Einschränkung der Zuwanderung fordert, die Konservativen massiv unter Druck.

In dieser Situation kündigte Cameron im Jänner 2013 eine Volksabstimmung über die EU-Zukunft Großbritanniens an. „Es waren die Stimmung im Land und der Druck aus der Partei, denen sehr schwer zu widerstehen war“, analysiert Camerons ehemaliger Director of Strategy, Andrew Cooper, im Gespräch mit der „Presse”. Der Premierminister sprach damals von seiner „positiven Vision für die Zukunft der EU“ und sagte: „Ich will nicht nur einen besseren Deal für Großbritannien. Ich will auch einen besseren Deal für Europa.“ Der vermeintliche Befreiungsschlag entpuppte sich aber rasch als Rohrkrepierer. Die EU-Gegner wurden nicht ruhiggestellt, der Höhenflug von UKIP nicht gebremst und gegenüber den europäischen Partnern geriet Großbritannien immer mehr in die Defensive. Von der groß angekündigte Neuverhandlung des Verhältnisses zwischen Brüssel und London war bald nichts mehr übrig.

„Ambitionsloses Forderungspaket“

Als die Gespräche in Brüssel im Herbst endlich ernst wurden, legte Cameron ein Forderungspaket vor, das seine Gegner als „bemerkenswert ambitionslos“ verhöhnten. Entsprechend wird nun auch das Ergebnis der Verhandlungen nur „kosmetische Veränderungen“ bringen, meint etwa MacShane. Cameron wird es nach dem EU-Gipfel dennoch als großen Sieg verkaufen, erwartet der schottische Abgeordnete Angus Robertson (siehe Interview). Doch in Wirklichkeit sind die Positionen festgefahren. „Wir wollen nicht der Stern auf der Fahne von jemand anderem sein“, sagt der frühere Tory-Abgeordnete Douglas Carswell, der wegen der Europafrage zu UKIP übergelaufen ist. „Die einzigen sinnvollen Verhandlungen, die wir führen könnten, sind jene über einen EU-Austritt.“ Das Ja-Lager hingegen wirbt unter dem Slogan „Britain Stronger in Europe“, was nicht nur Gegner als BSE abkürzen, das Kürzel der Rinderseuche aus den 1990er-Jahren.

Obwohl die Stimmung in Richtung Austritt zu gehen scheint, hat sich bisher kein politisches Schwergewicht an die Spitze des Nein-Lagers gestellt. Dessen Hoffnungen ruhen auf dem wortgewaltigen Londoner Bürgermeister, Boris Johnson. Doch der schweigt und lässt sich angeblich sein Ja zu Europa mit dem Posten des Außenministers nach dem Referendum vergelten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2016)

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