Brexit-Verhandlungen: Ein sanfter Kniefall vor Großbritannien

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Der "Presse" liegt der aktuelle Verhandlungsstand vor. Obwohl sich EU und Großbritannien annähern, gibt es noch Punkte, die von einigen Ländern und dem Europaparlament bekämpft werden.

Wien/Brüssel. Kommende Woche muss David Cameron mit erhobenem Haupt Brüssel verlassen können. Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag soll ein ganzes Paket an Sonderregelungen für Großbritannien beschlossen werden. Allen Anwesenden dürfte klar sein, dass der britische Premierminister ein gutes Ergebnis nach Hause bringen muss, damit das britische Referendum über einen Verbleib in der Union positiv ausgeht. Doch nach einer deutlichen Annäherung in den vergangenen Wochen hakt es bei den Verhandlungen noch gehörig. Insgesamt ist es ein sanfter Kniefall vor Großbritannien geworden, die Zugeständnisse sollen ohne Vertragsänderung realisiert werden. Der „Presse“ liegt der Text der vorbereiteten Vereinbarung vor. Eine Übersicht.

1. Notbremse bei Sozialleistungen an eingewanderte EU-Bürger

Eine der zentralen Forderungen der britischen Regierung dürfte erfüllt werden. Der aktuelle Text sieht eine Notbremse bei Sozialleistungen an eingewanderte EU-Bürger vor. Wenn ein Land mit einer massiven Zuwanderungswelle konfrontiert ist, kann es einen „Sicherheitsmechanismus“ in Anspruch nehmen, der ihm geringere staatliche Leistungen an EU-Arbeitnehmer erlauben würde. London stört allerdings, dass die Initiative dafür bei der EU-Kommission und nicht bei dem betroffenen Mitgliedsland liegen soll. Einige mittelosteuropäische Länder stoßen sich hingegen an Details. Sie stört unter anderem, dass künftig – so wie es auch Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz, gefordert hat – die Familienbeihilfe für Kinder, die sich weiterhin im Herkunftsland befinden, an das dortige Preisniveau angepasst werden soll. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass eine ähnliche Preisanpassung für den Anspruch auf Pensionen nicht vorgesehen ist. Ein Großteil der Zusagen an Großbritannien sind freilich schon jetzt mit EU-Regeln vereinbar. So wird etwa darauf hingewiesen, dass Sozialleistungen an arbeitssuchende Zuwanderer limitiert werden können und dass Zuwanderer auch abgewiesen werden können, wenn sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen.

2. Abkehr von einer immer stärker integrierten Gemeinschaft

Um die Ängste der Briten zu zerstreuen, dass sie künftig immer mehr Souveränitätsrechte an die Europäische Union abgeben müssen, wird die Formulierung des EU-Vertrags über eine „immer engere Union der Völker“ relativiert. Die engere Zusammenarbeit, so heißt es nun, sei nicht mit der politischen Integration gleichzusetzen. Stattdessen soll das Prinzip der Subsidiarität – also die Verlagerung von Entscheidungen auf die möglichst regionale oder nationale Ebene – gestärkt werden. Widerstand gegen diese Aufweichung kommt aus dem Europaparlament. Der deutsche EU-Abgeordnete Elmar Brok (CDU) erklärte zuletzt in einem Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“: „Die EU als politisches Projekt aufzugeben kommt nicht infrage.“ Zahlreiche EU-Abgeordnete fordern zudem Mitsprache bei dem Deal mit London und berufen sich darauf, dass mehrere Punkte im vorbereiteten Text Änderungen an EU-Gesetzen auslösen würden. Diese müssten vom Europaparlament abgesegnet werden.

3. Der Euro wird nur noch eine Währung von mehreren sein

Zur Währungsunion hatte London von Beginn an ein schwieriges Verhältnis. Keine britische Regierung wollte bisher am Euro teilnehmen. Allerdings musste London erkennen, dass die Gemeinschaftswährung auch Auswirkungen auf nicht teilnehmende Länder hat. Nun soll das Ziel, dass der Euro von allen Mitgliedstaaten übernommen werden soll, aufgeweicht werden. Ausdrücklich wird anerkannt, dass in der EU mehrere Währungen, darunter das Pfund, existieren. Großbritannien wird laut dem vorbereiteten Text garantiert, dass es nicht an Maßnahmen zur finanziellen Stabilisierung der Währungsunion teilnehmen muss. „Es wird keine finanzielle Verantwortung für Mitgliedstaaten geben, deren Währung nicht der Euro ist.“ Allerdings war das schon bisher nicht vorgesehen. Großbritannien musste sich mit keinem Cent am Euro-Rettungsschirm beteiligen oder staatliche Garantien für Griechenland übernehmen.

4. Kein Zugriff auf britische Finanzinstitute durch EU-Institutionen

Großbritannien soll, wie gefordert, auch Sonderregeln für seine Finanzinstitute erhalten. In diesem Punkt werden die wirtschaftlichen Aspekte des Deals deutlich. Denn hier geht es um die unter den EU-Partnern umstrittenen Freiheiten der Londoner City. Künftig dürfen weder die Europäische Zentralbank noch EU-Recht zur Bankenunion „Einfluss auf Finanzinstitute in Ländern nehmen, die nicht der Währungsunion angehören“. Vor allem Frankreich läuft gegen diese Ausnahmeregelung Sturm. Finanzminister Michel Sapin sieht eine Wettbewerbsverzerrung, da es dadurch in der EU unterschiedliche Regeln und Kontrollen für den Finanzmarkt geben würde. Er bezeichnete einen solchen Freibrief für die britische Finanzwirtschaft als „rote Linie“ für Paris. Auch der französische Bankenverband hat bereits Protest eingelegt. Hier würden der Binnenmarkt, die Finanzstabilität und der Wettbewerb verzerrt.

5. Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit des EU-Binnenmarkts

Sehr allgemein und zahnlos sind hingegen die von London verlangten Klarstellungen zur Wettbewerbsfähigkeit des EU-Binnenmarkts geblieben. So wird etwa im vorbereiteten Text festgehalten, dass sich die Mitgliedstaaten um eine effizientere Verwaltung und erleichterte Bedingungen für Unternehmen bemühen sollen. Kosten und Aufwand im Umgang mit der staatlichen Bürokratie sollen gesenkt werden. Einen expliziten Hinweis auf das von London forcierte Handels- und Investitionsabkommen mit den USA (TTIP) gibt es nicht. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass die EU eine ambitionierte Handelspolitik betreiben soll.

6. Mehr Einfluss nationaler Parlamente auf EU-Entscheidungen

Im Sinne einer föderalen EU sollen die nationalen Parlamente gestärkt werden. Doch von dem vorerst angestrebten Veto des britischen Unterhauses bei allen EU-Entscheidungen bleibt der vorliegende Text weit entfernt. Vorgesehen ist lediglich, dass mehrere nationale Parlamente gemeinsam eine „Rote Karte“ gegen neue EU-Regeln ziehen können. Wie das Quorum festgelegt werden soll, wird noch verhandelt. Der aktuelle Vorschlag sieht vor, dass eine EU-Regel mit 55 Prozent aller nationalen Abgeordnetenstimmen an den Rat der EU zurückgewiesen werden kann. Ein solche Blockade käme also nur zustande, wenn ein neues EU-Gesetz in den meisten Mitgliedstaaten auf Widerstand stieße. Wenn bloß einzelne Parlamente nationale Interessen zu verteidigen versuchen, würde das nicht ausreichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2016)

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