"Die Briten haben den Ernst der Lage nicht erkannt"

Angus Robertson.
Angus Robertson.(c) Stanislav Jenis
  • Drucken

Angus Robertson, Fraktionschef der Scottish National Party, über einen möglichen EU-Austritt Großbritannien und die danach folgenden Abspaltungsbestrebungen Schottlands.

Was erwarten Sie vom EU-Gipfel zu den Verhandlungen mit Großbritannien?

Angus Robertson: Was Premier Cameron ausverhandelt hat, folgt rein taktischem Kalkül und hat wenig mit der Frage zu tun, ob und wie Großbritannien EU-Mitglied bleibt.

Hat Cameron nicht mehr bekommen oder gar nicht mehr verlangt?

Er hat weit zurückgesteckt und nur das verhandelt, was für ihn möglich war. Wer nur die geringste Ahnung von europäischer Politik hat, wird erkennen, dass es keine großen Veränderungen gibt. Dennoch wird er es als Riesenerfolg zu verkaufen versuchen.

Wie soll ihm das gelingen?

Er wird zu beweisen versuchen, dass er den bösen Europäern etwas abgerungen hat. Aber ich bin in wachsender Sorge, wie die englischen Wähler entscheiden werden. Der Vorsprung des Nein-Lagers wächst.

Sind das Proteststimmen oder Anti-EU-Stimmen?

Beides. Es gibt eine starke Proteststimmung. Die Menschen glauben, dass die Obrigkeit will, dass sie mit Ja stimmen und deshalb stimmen sie mit Nein. Die Konservativen sind weitgehend europaskeptisch und unter den jüngeren Abgeordneten europafeindlich. Sie werden von führenden Zeitungen unterstützt. Darüber hinaus hat jeder Wähler seine Motive. Einwanderung spielt eine Rolle, obwohl das britische Verhalten in der aktuellen Flüchtlingskrise entsetzlich ist. Österreich hat an einem Wochenende mehr getan als Großbritannien insgesamt zu tun bereit war.

Man kann die EU-Mitgliedschaft wohl als Schicksalsfrage für Großbritannien bezeichnen. Haben die Menschen den Ernst der Lage erkannt?

Nein.

Warum nicht?

Ein großer Teil der britischen Politiker ist mit sich selbst beschäftigt. Keiner erkennt, dass die Frage der EU-Mitgliedschaft die größte Herausforderung unserer Generation ist.

Aber hat Cameron vielleicht recht? Bedarf die EU nicht tiefer Reformen?

Muss Europa reformiert werden? Ja. Brauchen wir mehr Wettbewerbsfähigkeit? Ja. Brauchen wir mehr Europa? Nicht unbedingt. Bemerkenswert ist, dass Österreichs Landwirtschaftsminister mehr über schottischen Fischfang mitzureden hat als der schottische Fischereiminister. Man würde sich Reformen wünschen, aber was Cameron verhandelt hat, berührt diesen Kern nicht.

Ihre Partei, die SNP, ist proeuropäisch. Werden Sie eine Empfehlung für einen Verbleib aussprechen, selbst wenn sie damit ihrem Kontrahenten Cameron helfen?

Egal, was Camerons Verhandlungen ergeben, wir sind für den Verbleib in der EU. Das ist nicht nur für Schottland wichtig, sondern auch für ganz Großbritannien.

Was würde ein Nein zur EU für die Zukunft Großbritanniens bedeuten?

Es würde eine veränderte Situation für Schottland darstellen. In der Volksabstimmung 2014 wurde uns versprochen, dass mit einem Nein zur Unabhängigkeit unsere Position in Europa gefestigt würde. Sollte das Gegenteil eintreten, kommt die Unabhängigkeitsfrage wieder auf die Tagesordnung.

Würde die SNP dann eine neue Volksabstimmung anstreben?

Ich kämpfe für den Verbleib Großbritanniens in der EU. Ich bin Anhänger der schottischen Unabhängigkeit, aber ich will dies nicht über den Weg eines englischen EU-Austritts erreichen. Mir wäre am liebsten, dass wir alle in der EU bleiben, mit einer direkten Vertretung Schottlands als unabhängiger Staat.

Wenn es zum Ja dank der Stimmen Schottlands kommt, was würde das bedeuten?

Dass wir EU-Mitglied bleiben, was am wichtigsten ist. Ich bin zuversichtlich, dass es eine starke Mehrheit in Schottland für den EU-Verbleib geben wird. Jüngste Erhebungen sprechen von 60:40 Prozent. Ich hoffe, dass wir unsere Freunde in England, Wales und Nordirland ebenfalls überzeugen können.

Wird die Volksabstimmung die Europafrage in Großbritannien endgültig klären?

Ein maßgeblicher Teil der britischen Politik ist sehr europafeindlich, das wird sich nicht über Nacht ändern.

Cameron ist dann der Zauberlehrling?

Ja, (Pause) leider.

ZUR PERSON

Angus Robertson (geboren 1969)
ist Fraktionsvorsitzender der Scottish National Party (SNP) im britischen Unterhaus. Robertson leitete die Wahlkampagnen der SNP vor den Parlamentswahlen in Schottland 2007 und 2011 sowie 2014 die SNP-Kampagne für das Unabhängigkeitsreferendum in Schottland. Robertson, dessen Mutter Deutsche war, lebte vor seiner politischen Karriere lange Zeit als Journalist in Österreich. Er spricht fließend Deutsch. [ Stanislav Jenis ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

David Cameron.
Europa

Großbritannien: Das Referendum frisst seine Kinder

Der britische Premierminister, David Cameron, wollte die Europafrage ein für allemal klären. Nun droht sie ihn aber zu verschlingen. Die Stimmung geht in Richtung Austritt, die Versöhnung mit der EU könnte scheitern.
Europa

Großbritannien: Auf schiefer Ebene Richtung Brexit

Um die EU-Mitgliedschaft zu retten, braucht Cameron ausgerechnet die Hilfe der Labour Party. Doch deren Parteichef ist alles andere als ein glaubwürdiger EU-Befürworter.
Die Queen äußert sich sonst kaum politisch.
Europa

Plädiert Queen Elizabeth II. für den Brexit?

Die EU bewege sich in die falsche Richtung, soll die Queen laut dem Boulevard-Blatt "The Sun" gesagt haben. Der Buckingham-Palast dementiert: Die Königin bleibe "politisch neutral".
Symbolbild: London
Europa

Umfrage: Brexit-Befürworter gehen in Führung

Einen Ausstieg aus der Europäischen Union befürworten laut der Umfrage 52 Prozent der Briten. Vor einem Monat waren es noch 48 Prozent.
FILES-BRITAIN-EU-POLITICS
Europa

Großbritannien: Brexit als Machtspiel zweier alter Freunde

Londons Bürgermeister Boris Johnson und Premierminister David Cameron blicken auf einen langen gemeinsamen Weg zurück. Jetzt wittert Johnson seine politische Chance und stellt sich an die Spitze der EU-Gegner.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.