Trotz expansiver Geldpolitik der japanischen Notenbank schrumpfte die drittgrößte Volkswirtschaft zuletzt. Vor allem der private Konsum will nicht anspringen.
Tokio/Wien. Shinzō Abe kann keine Wunder vollbringen. Zwar versprach Japans Premierminister bei seinem Amtsantritt im Jahr 2012 eine wirtschaftliche Kehrtwende. Doch so viele Hoffnungen er damals auch geweckt haben mag, so ernüchternd dürfte die Bilanz dieser Tage ausfallen.
Aus der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt wurden am gestrigen Montag nämlich Konjunkturdaten verlautbart, die alles andere als erfreulich ausfielen. Demnach schrumpfte die Wirtschaftsleistung des Landes im Schlussquartal des Vorjahres um 1,4 Prozent. Analysten hatten im Vorfeld mit einem geringeren Minus gerechnet.
Zu spüren bekam das Land vor allem die Konsumzurückhaltung seiner Bürger. Der private Verbrauch gab real um 0,8 Prozent nach. Die Binnennachfrage ist für die Wirtschaftsleistung des Landes aber wichtig, weil sie 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht.
Die schwache Kaufbereitschaft ist unter anderem auf geringere Gehaltssteigerungen zurückzuführen. Löhne und Gehälter ziehen nicht in dem Ausmaß an, wie von der Regierung erhofft. Noch Anfang Dezember sagten 74 Prozent der japanischen Unternehmen in einer Umfrage, sie hätten kein Interesse daran, ihren Mitarbeitern höhere Einkommen zu zahlen. Viele junge Japaner sind zudem in prekären Beschäftigungsverhältnissen engagiert und verfügen deshalb über einen engen finanziellen Spielraum.
„Wann kommt die Bank of Japan wohl darauf, dass mit niedrigen Zinsen nicht der Konsum angefacht wird“, fragt Analyst Ulrich Leuchtmann von der Commerzbank. Niedrige Zinsen könnten bei hoher Risikoaversion zu einer verstärkten Sparneigung der Haushalte führen – und nicht zu weniger, wie üblich. Auch in diesem Sinn erzeuge die Politik der großen Zentralbanken die Probleme, die sie eigentlich lösen will.
Kursfeuerwerk in Tokio
Abe versprach, das Land unter seiner Führung zurück auf Wachstumskurs zu bringen. Konjunkturprogramme und eine expansive Geldpolitik der japanischen Zentralbank (BoJ) sollten nicht nur die Wirtschaftsleistung, sondern auch die Inflation ankurbeln. Unter dem Schlagwort „Abenomics“ fand Abes Wirtschaftspolitik bereits Eingang in die Annalen.
Das Land war lange Zeit in einer deflationären Abwärtsspirale aus fallenden Preisen, sinkenden Löhnen und stockenden Investitionen gefangen. Die Bank of Japan geht dagegen bereits seit Jahren mit einem umfassenden Anleihenankaufprogramm vor. Jährlich pumpt sie 80 Billionen Yen (617 Mrd. Euro) in den Markt. Doch erst kürzlich musste Zentralbank-Chef Haruhiko Kuroda einräumen, es werde länger dauern, um das Inflationsziel von zwei Prozent zu erreichen. Derzeit liegt die Teuerungsrate bei 0,1 Prozent.
Schon 2008 hatte der ehemalige Notenbankgouverneur Japans, Masaaki Shirakawa, erklärt, quantitative Lockerungen seien zwar sehr effizient, wenn es darum geht, die Finanzmärkte zu stabilisieren. Ihre Wirkung zur Lösung eines stagnierenden Wirtschaftswachstums schätze er aber als begrenzt ein.
Erst vor rund zwei Wochen beschloss die BoJ die Einführung eines Strafzinses für Banken, der ab dem heutigen Dienstag umgesetzt wird. Die Geldhäuser will man auf diese Weise dazu animieren, Kapital in Form von Krediten zur Verfügung zu stellen, statt es bei der Notenbank zu parken. Einige Finanzinstitute haben bereits damit begonnen, ihren Einlagenzinssatz für Kunden zu senken. Die Hoffnung, Japaner würden nun weniger Geld auf die hohe Kante legen, könnte aber trügen, meint dazu Ökonom Ryoji Yoshizawa von der US-Ratingagentur Standard & Poor's: „Die Zinsen sind schon so niedrig, dass weitere Senkungen die Bankkunden kaum beeindrucken dürften.“
Weil die Konjunktur nicht so anspringt wie erhofft, spekulieren die Märkte bereits auf eine erneute Lockerung der Geldpolitik. Die Anleger zeigten sich davon sichtlich begeistert. Der Tokioter Leitindex Nikkei schloss am gestrigen Montag mit einem Plus von sieben Prozent. Allerdings waren die Verluste in der Vorwoche so hoch wie seit der Finanzkrise nicht mehr. (ag./nst)
AUF EINEN BLICK
Japans Wirtschaft schrumpfte im Schlussquartal 2015 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 1,4 Prozent. Der private Konsum gab real um 0,8 Prozent nach. Das ist deswegen bitter, weil 60 Prozent der Wirtschaftsleistung von der Binnennachfrage abhängen. Die mauen Daten nähren Zweifel an der Wirtschaftspolitik von Premierminister Shinzō Abe. Marktteilnehmer spekulieren daher bereits, die japanische Notenbank könnte ihre Geldpolitik erneut lockern.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2016)