Donnerstagmittag trifft sich wieder eine „Koalition der Willigen“, doch nicht einmal der Kanzler selbst glaubt noch daran, dass eine baldige Lösung mit der Türkei realistisch ist.
Wien/Brüssel. Große Hoffnungen macht sich der Kanzler vor dem EU-Gipfel Ende der Woche nicht mehr. „Den Plan B, die Sicherung der Grenzen innerhalb der EU, haben wir uns nicht gewünscht“, erklärte Werner Faymann (SPÖ) nach dem Ministerrat am gestrigen Dienstag resigniert. Die Alternativen schwinden: Da eine europäische Lösung – der gemeinsame Schutz der EU-Außengrenze und ein fairer Verteilmechanismus auf alle Mitgliedstaaten – in immer weitere Ferne rückt, wird die Grenzsicherung bekanntlich auch in Österreich „massiv verstärkt“.
Offiziell kämpft Faymann weiterhin für die von der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, angestrebte Lösung einer engeren Kooperation mit der Türkei. Das ist auch das erklärte Ziel des Kanzlers für den Minivorgipfel, der – wie schon im Dezember – vor dem eigentlichen Treffen der Staats- und Regierungschefs Donnerstagmittag in der österreichischen EU-Vertretung in Brüssel stattfindet. Auch der türkische Ministerpräsident, Ahmet Davutoğlu, nimmt daran teil. „Optimal wäre eine Vereinbarung zwischen Griechenland und der Türkei, legale Einreisemöglichkeiten zu schaffen. Von diesem Ziel sind wir aber noch weit entfernt“, gesteht Faymann ein.
An dem Vortreffen der sogenannten Koalition der Willigen nehmen neben Deutschland und Österreich auch die Regierungschefs aus den Benelux-Ländern, Frankreich, Schweden, Finnland, Portugal, Slowenien und Griechenland teil. Doch nicht alle teilen das Vorhaben, Kontingentflüchtlinge aus der Türkei im Gegenzug für einen besseren Grenzschutz durch Ankara zu übernehmen: Die Regierung in Paris hat am Wochenende bereits klargemacht, dass sie zwar zur Aufnahme der versprochenen 30.000 Flüchtlinge bereit sei, „aber nicht zu mehr“. Auch ein dauerhafter Verteilmechanismus sei nicht im Sinn Frankreichs, stellte Premier Manuel Valls unmissverständlich fest.
Die Visegrád-Länder Polen, Ungarn, die Slowakei und Tschechien verfolgen ohnehin ein anderes Ziel: Sie wollen – sollte die EU-Außengrenzsicherung weiter nicht funktionieren – eine Abriegelung der Balkanroute an der griechisch-mazedonischen Grenze erreichen: ein Schritt, der Griechenland faktisch aus dem Schengen-Raum ausschließen würde. Auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat sich bereits für diesen Weg ausgesprochen. Klar dagegen ist neben Merkel auch Ratspräsident Donald Tusk: „Ein Ausschluss Griechenlands löst keines der Probleme der Flüchtlingskrise“, stellte der Pole bei einem Besuch in Athen am gestrigen Dienstag klar.
EU-Bürger für faire Verteilung
Während die Staatenlenker weiter über eine Lösung der Flüchtlingskrise streiten, ist die Stimmung in der EU-Bevölkerung (alle Mitgliedstaaten) relativ eindeutig. 87 Prozent sprechen sich laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung für eine gemeinsame Sicherung der EU-Außengrenzen aus, 79 befürworten eine „faire Verteilung“ Asylsuchender auf alle EU-Mitgliedstaaten. Mehr als zwei Drittel sind für eine finanzielle Bestrafung jener Länder, die sich der Verantwortung entziehen. (aga/ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2016)