Ungarns Premier besuchte den russischen Staatschef. Es ging um Gas, Atomkraft, Flüchtlinge − und ein Signal beider Seiten an die EU.
Genau ein Jahr nach dem umstrittenen Besuch des russischen Präsidenten, Wladimir Putin, in Budapest im Februar 2015, auf dem vorläufigen Höhepunkt der Ukraine-Krise also, hat jetzt Ungarns Ministerpräsident, Viktor Orbán, den russischen Staatschef in Moskau besucht. Und auch dieser Besuch sorgt für Stirnrunzeln. Denn er erfolgte nur einen Tag vor dem EU-Gipfel, auf dem es um Auswege aus der Flüchtlingskrise und eigentlich auch um die Zukunft der EU geht. Erst am Montag hatte Orbán bei einem Treffen der Staaten der Višegrad-Gruppe (Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen) sowie Mazedoniens und Bulgariens klargemacht, dass er in diesen Fragen Deutschland als Gegner sehe. Flüchtlinge stoppen, nicht managen. Weniger, nicht mehr Europa.
Und nun Russland als Freund? Gleich zum Auftakt des Besuchs betonte Orbán, Ungarn befürworte eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der EU und Russland. Putin dankte ihm dann auf der Pressekonferenz ausdrücklich für seine „Bemühungen“, innerhalb der EU auf eine solche Normalisierung hinzuarbeiten. Kein Zweifel: Putin versuchte hier Orbán aufzuwerten, als Mittler zwischen Ost und West, und damit Zwietracht zu säen in Europa. Orbán selbst ist sehr an dieser Aufwertung gelegen. Er sucht aktiv eine prägnante Rolle als Wortführer einer „Ost-EU“ rund um die Višegrad-Staaten – und tatsächlich wächst sein Einfluss in Europa.
Lob für Russlands Syrien-Politik
Innerhalb der V4 trennt ihn aber gerade seine kooperative Haltung zu Russland insbesondere von Polen. In der Realität findet wahrscheinlich keinerlei konkrete ungarische Vermittlung zwischen Brüssel und Moskau statt, auch wenn Orbán prophezeite, dass es in der EU demnächst keine Mehrheit mehr geben werde für eine automatische Verlängerung der Sanktionen gegen Russland. Ungarn sei ein loyales Mitglied der EU, aber sowohl Europa als auch Ungarn bräuchten mehr internationale Kooperation im wirtschaftlichen Wettbewerb – auch mit Russland.
Orbán lobte Putin auch für seine „Bemühungen, den Konflikt in Syrien zu lösen“. Im Westen, wo Russlands Militärintervention eher als Verschärfung des Konflikts gesehen wird, dürfte ihm das wenig Sympathie einbringen. Orbán verkündete auch, Ungarn werde auf eigene Kosten ein Krankenhaus in Syrien einrichten und betreiben. Unklar blieb, ob dies auf dem von der Assad-Regierung kontrollierten Gebiet geschehen werde.
Inhaltlich ging es bei den Gesprächen vor allem um russisches Erdgas für Ungarn (der bilaterale Vertrag wurde bis 2019 verlängert) und den umstrittenen Ausbau des Atomkraftwerks in Paks mit russischem Know-how und russischen Krediten in Höhe von zehn Milliarden Euro. Die Sache gehe voran, betonten beide Seiten, auch wenn die EU das Geschäft zu behindern versuche. Jede Kritik aus Brüssel an dem Deal sei haltlos, sagte Orbán.
Auch über den Jahre zurückliegenden Bankrott der ungarischen Luftfahrtgesellschaft Malév habe man gesprochen. Regierungsnahe ungarische Medien hatten im Vorfeld angedeutet, es könne zu einer Neugründung der Malév kommen, mit russischem Geld und russischen Flugzeugen. Konkret aber erwähnte Orbán nur die Regelung offener finanzieller Fragen aus dem Malév-Bankrott. Er nutzte die Gelegenheit, um sich vor dem EU-Gipfel zur Flüchtlingspolitik zu profilieren. Auf die Frage, ob er und Putin die selben Ansichten zur Flüchtlingskrise hätten (Putin: „Ja“), erklärte Orbán, es gebe eine Mehrheit von EU-Staaten, die Masseneinwanderung für gut hielten – er aber nicht. Es gebe Länder (gemeint war wohl Deutschland), die der Meinung seien, unbegrenzt Menschenmassen hereinlassen zu können und dann andere Länder zu zwingen, diese aufzunehmen. Das lehne Ungarn ab. Diese Positionen werde er auf dem Gipfel am Donnerstag „felsenfest“ vertreten.
Alles in allem bot sein Besuch bei Putin Beobachtern genug Stoff, einmal mehr von einer „Männerfreundschaft“ zweier Machtmenschen zu reden, und von einer Russland-freundlichen Politik Ungarns, die westlichen Interessen zuwiderlaufe. In Wirklichkeit stimmt wohl eher, was er selbst Ende 2015 dazu sagte: Mit Putin sei keine Freundschaft möglich, nur Interessenpolitik. Und Ungarns Interesse sei es, allen wesentlichen Akteuren im Schachspiel der Macht einen guten Grund zu geben, Ungarn erfolgreich sehen zu wollen – Akteure wie Deutschland, Russland, die USA und auch die Türkei.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2016)