Es wird in Syrien noch schlimmer werden als bisher

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Das Attentat in Ankara und die syrisch-russische Offensive verschärfen die Lage in der gesamten Region. Damit ist auch kein Ende der Flüchtlingskrise in Sicht.

Es war nicht gerade ein einfacher Tag für Österreichs Bundeskanzler, Werner Faymann. Just als er beim EU-Gipfel in Brüssel weilte, um unter anderem über Lösungen in der Flüchtlingsfrage zu verhandeln, wurde ein Schreiben der EU-Kommission an Innenministerin Johanna Mikl-Leiner publik. Darin heißt es, das Vorhaben der österreichischen Regierung, eine Obergrenze für die Zahl von Asylwerbern einzuziehen, verstoße gegen internationales und europäisches Recht.

Obergrenzen respektive Richtwerte, Grenzzäune, eine Verteilung der Flüchtlinge nach Quoten oder die bange Hoffnung, die Türkei könnte die Weiterreise der Flüchtlinge verhindern: Es gibt zahlreiche Ansätze, wie das Problem gelöst werden soll. Eine klare gemeinsame Antwort haben die Staaten der Europäischen Union aber noch immer nicht gefunden.

Auch wenn sich mittlerweile unter die Menschen, die ihr Glück in Europa versuchen, Angehörige anderer Staaten gemischt haben, so stammt der Großteil von ihnen nach wie vor aus den Bürgerkriegsländern Syrien, Irak und Afghanistan. Damit die Massenflucht der Syrer nachhaltig abnimmt, müssen die Ursachen dafür aus der Welt geschafft werden. Das heißt: Der mörderische Kreislauf aus Tod und Zerstörung muss endlich unterbrochen und eine Perspektive für einen Neuanfang in einem lebenswerten und sicheren Syrien geschaffen werden. Darin sind sich auch alle EU-Staaten einig – ganz gleich, welche Positionen sie sonst in der Flüchtlingsfrage einnehmen.

Doch nach einem Ende der syrischen Tragödie sieht es derzeit nicht aus. Im Gegenteil: Externe Mächte wie Russland, der Iran, die Türkei oder Saudiarabien, die in Syrien ihren Stellvertreterkrieg ausfechten, rüsten zum Showdown. Das Sterben erreicht eine neue Dimension, und die Zone der Instabilität weitet sich zunehmend auf das Nachbarland Türkei aus.

Der verheerende Anschlag auf einen Militärkonvoi in der türkischen Hauptstadt Ankara ist wohl nur der Auftakt einer neuen Runde der Gewalt. Die türkische Regierung beschuldigt die YPG-Volksverteidigungseinheiten der syrischen Kurden und deren Schwesterorganisation PKK, hinter dem Attentat zu stecken. Die kurdischen Kämpfer weisen den Vorwurf zurück. Schon seit Tagen beschießt türkische Artillerie YPG-Stellungen im Nordwesten Syriens. Jetzt drohen noch massivere türkische Militäraktionen – Operationen, die nicht nur die kurdischen Volksverteidigungseinheiten schwächen, sondern auch die von Ankara protegierten Aufständischen bei Aleppo stärken sollen.

Doch damit würde die Lage in Syrien abermals gefährlich eskalieren. Das schlimmstmögliche Szenario: Die Truppen des Nato-Staates Türkei kommen direkt dem russischen Militär ins Gehege, das auf genau demselben Schlachtfeld den Angriff des syrischen Regimes auf die mit Ankara verbündeten Rebellen unterstützt.

Zugleich droht auch die Lage in der Türkei selbst zu kippen. Die Armeeoffensive gegen die PKK und aufständische Städte führt zur Zerstörung von Wohngebieten. USA und EU-Staaten haben es sträflich verabsäumt, schon vor Monaten beide Seiten zur Wiederaufnahme des Friedensprozesses zu drängen. Während nun in Brüssel eifrig darüber diskutiert wird, wie die Türkei syrische Flüchtlinge an der Weiterreise hindern kann, braut sich im Kampfgebiet im Osten der Türkei eine neue Flüchtlingskatastrophe zusammen. Und Ziel der Schutzsuchenden wäre wohl erneut die EU.

Kriegsparteien sind meist erst dann zu echten Friedensverhandlungen bereit, wenn sie denken, militärisch nichts mehr gewinnen, sondern nur noch verlieren zu können. Doch so weit ist es in Syrien noch nicht. Gedopt von Russlands Militärhilfe will Machthaber Bashar al-Assad wieder seinen Herrschaftsbereich ausweiten. Und auf der anderen Seite der Front planen Türken und Saudis Gegenmaßnahmen – auch auf das Risiko hin, dass der bisherige Stellvertreterkrieg in eine direkte Konfrontation kippt. Vielleicht wird sich die Lage in Syrien und seiner Nachbarschaft irgendwann zum Besseren wenden. Doch vorerst scheint alles nur noch schlimmer zu werden als bisher.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2016)

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