Solange es parallel Noten gibt, bringt die Reform laut Experten nicht viel. Die ÖVP ist erzürnt über die SPÖ.
Wien.Nicht Fisch, nicht Fleisch ist das geplante flächendeckende Aus für Ziffernnoten in den ersten drei Volksschuljahren für Bildungsforscher Stefan Hopmann: „Die Noten werden abgeschafft, aber auch nicht.“ Laut Entwurf von Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) können Eltern – wie bei den bisherigen Schulversuchen zur alternativen Leistungsbeurteilung – weiterhin Ziffernnoten verlangen.
„Und diese werden jede Form der verbalen Beurteilung übertrumpfen“, sagt Hopmann. Von alternativen Beurteilungen hält er grundsätzlich viel. In Skandinavien kämen Schulen zum Teil bis zur achten Schulstufe ohne Noten aus. Immer wieder zeigen Auswertungen, dass Noten und Leistungen oft nicht korrelieren. Die regelmäßigen Gespräche zwischen Eltern, Kindern und Lehrern, die im Entwurf vorgesehen sind, hätten sich in der Neuen Mittelschule bewährt. Und verbale Beurteilungen könnten – wenn sie gut geschrieben seien – bessere Rückmeldungen geben als Ziffern. „Aber sie werden nicht so geschrieben werden.“
Tatsächlich werden die Lehrer laut dem Entwurf auch dazu angehalten, ihre Beurteilungen so zu formulieren, dass die Note, die es in der vierten Klasse dann gibt, absehbar sei. „Wenn das so ist, besteht der ganze Effekt nur darin, dass leere Standardformulierungen erfunden werden“, sagt Hopmann. „Positive Auswirkungen einer verbalen Beurteilung gibt es nur dann, wenn es parallel keine Noten gibt.“
An vielen Volksschulen würde die Reform keine fundamentalen Veränderungen bringen: Es gibt bereits mehr als 2000 Schulversuche zur alternativen Leistungsbeurteilung – laut Ministerium also 70 Prozent der Volksschulen. Die Varianten reichen von Lernzielkatalogen, die auf die Selbstevaluierung der Schüler setzen, bis zur verbalen Beurteilung, bei der in einem kindgerecht gehaltenen Brief die Fortschritte beschrieben werden. Letzterer ist mit 50 Jahren der älteste Schulversuch in Österreich. Auch zusätzliche schriftliche Erläuterungen zum Zeugnis gibt es häufig.
Mahrer greift Ministerin an
Während Elternvertreter eine flächendeckende Abschaffung der Ziffernnoten für gut halten, ist sie für die Lehrer eine „Schnapsidee“. Gewerkschafter Paul Kimberger fordert zumindest, dass die Entscheidung für oder gegen Noten am Schulstandort getroffen werde.
Das ist auch der Punkt, der die ÖVP erzürnt: Der Entwurf, mit dem Teile der paktierten Bildungsreform umgesetzt werden sollen, entspreche nicht der Einigung vom Herbst. Demnach sollte jede Schule bzw. Klasse autonom über die Art der Benotung entscheiden. „Ich stelle mir die Frage, wo die Leseschwierigkeiten in Österreich wirklich vorhanden sind“, sagte Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) im ORF-Radio in Richtung der Ministerin. Eine generelle Abschaffung der Noten sei für ihn kein Thema. Aus dem Ministerium heißt es jetzt: Denkbar sei ein Opt-out, wenn Eltern und Lehrer einer Klasse sich gegen alternative Beurteilung entscheiden. Das werde verhandelt. (beba/APA)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2016)