Berlin: Flüchtlinge statt Motorsport

A man enters a shelter for migrants inside a hangar of the former Tempelhof airport in Berlin
A man enters a shelter for migrants inside a hangar of the former Tempelhof airport in BerlinREUTERS
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Rund 2500 Asylwerber sind im ehemaligen Berliner Flughafen Tempelhof untergebracht. Für mehrere dort geplante Großveranstaltungen müssen nun andere Örtlichkeiten gefunden werden.

Die Dixieklos blieben gleich stehen. Zwei Tage lang hatten im vergangenen September rund 45.000 Besucher hier gefeiert, Bands wie Muse und den Beatsteaks zugejubelt. Doch nur wenige Tage, nachdem auf dem ehemaligen Flugfeld Tempelhof die erste Auflage des Lollapalooza-Festivals in Europa stattgefunden hatte, wurden die ersten Flüchtlinge hierher gebracht. An die 2500 Menschen leben derzeit in den Hangars des alten Berliner Flughafens, in Zelten und Kojen untergebracht. Und es wird noch weiter ausgebaut – auf dem Vorfeld sind Hallen geplant, Großküchen, Sportzentren, Jobcenter und Bildungseinrichtungen. Insgesamt soll hier bald Platz für rund 7000 Flüchtlinge sein. Provisorisch und befristet auf drei Jahre, so hat es der Berliner Senat Ende Jänner beschlossen.

Im Oktober 2008 waren die letzten regulären Maschinen von hier abgehoben, die Geschichte von Tempelhof als Flughafen war vorbei. Im Mai 2010 nahmen die Berliner das Gelände als Park in Beschlag, seither fahren sie auf Rädern und Inlineskates über die Landebahnen, lassen Drachen steigen oder veranstalten Picknicks auf dem 355 Hektar großen Areal. Auch so manche Großveranstaltung wurde seither hier abgehalten. Wurde, denn Spektakel mit großen Menschenmassen und viel Lärm – wie eben das Lollapalooza – können, seit Flüchtlinge in den Hangars untergebracht sind, nicht mehr hier stattfinden.


Betreiber im Dilemma. Dass es in Berlin Platz für Flüchtlinge braucht, ist unbestritten. Der Flugzeughangar bietet sich schon allein wegen der schieren Größe an. Doch die Tempelhof Projekt GmbH, die für das Management des denkmalgeschützten Gebäudes zuständig ist, gerät dadurch in ein Dilemma. Immerhin waren allein für 2016 mehr als 30 Veranstaltungen auf dem Vorfeld und in den Hangars geplant. Veranstaltungen, die nun abgesagt werden müssen – oder für die ein neuer Veranstaltungsort aufgetrieben werden muss. Letzteres liegt auch im Interesse der Stadt, nicht nur, um damit Schadenersatzforderungen zu vermeiden, sondern auch, um die Events und damit auch die Wertschöpfung in Berlin halten zu können. An die 5,2 Millionen Euro an Erlösen durch Veranstaltungen auf dem Tempelhofer Gelände waren für 2016 erwartet worden.

Es war ein stilles Vergnügen, als am Pfingstsonntag 2015 rund 20.000 Menschen einem Spektakel auf dem Flugfeld beiwohnten – dem ersten Lauf der Formel E, quasi der Formel 1 mit Elektromotoren, auf deutschem Boden. Keine Motoren heulten auf, kein Benzingeruch lag in der Luft, doch die bunten Autos erreichten dennoch Geschwindigkeiten von bis zu 200 km/h. In der heurigen Saison sollen sie sogar noch etwas schneller unterwegs sein. Allein, nicht wie geplant auf dem Tempelhofer Feld. Denn wo sich voriges Jahr die Rennfahrer Duelle lieferten, stehen jetzt Zelte und werden gerade neue Hallen aufgebaut.

Nicht nur die Stadt, auch die Federation Internationale de l'Automobile (FIA), die hinter der Rennserie steht, wollten dennoch in Berlin ein Rennen fahren. Mögliche Alternativen wären ja da – immerhin gab es ja mit der Avus eine Rennstrecke inmitten der Stadt. Doch genau am 21. Mai findet im Berliner Olympiastadion das Endspiel des deutschen Fußballcups statt, und die frühere Rennstrecke wird als Zubringer gebraucht. Die Straße des 17. Juni zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor ist bereits durch einen Frauenlauf belegt.

Letztlich fand sich aber doch noch eine Möglichkeit. In Zeiten der DDR wurde die Karl-Marx-Allee zwischen Alexanderplatz und Frankfurter Tor immer wieder für Paraden genutzt. Auf dieser überdurchschnittlich breiten Straße soll nun im Mai das Rennen stattfinden. Möglich wäre das, wenn auch mit einigen Nebenwirkungen verbunden. Immerhin müsste die stark befahrene Straße für mehrere Tage gesperrt werden, unter anderem für den Aufbau von Tribünen für etwa 14.000 Zuschauer. Noch steht das Konzept mit den Sicherheitsvorkehrungen aus, doch nach derzeitigem Stand ist es gut möglich, dass im Mai im Zentrum von Berlin tatsächlich gefahren wird.

Schon fixiert wurde der neue Standort für die Sport- und Gesundheitsmesse Berlin Vital, die im Veranstaltungs- und Kongresszentrum Station Berlin nahe dem Potsdamer Platz abgehalten wird. Es wird für die geschätzten 100.000 Besucher wohl etwas enger werden als in Tempelhof. Wegen der kurzfristigen Kündigung könnte es auch noch Schadenersatzforderungen der Messeveranstalter an die Stadt geben. Aber immerhin, eine komplette Absage konnte vermieden werden. Für die Modemesse Bread & Butter gab es im Jänner eine Absage, doch für eine neue Auflage im September wurde mit der Arena Treptow ein passender Ort gefunden.


Musikfestival zieht um. Und das Lollapalooza? Das soll trotz aller Widrigkeiten auch heuer wieder stattfinden. Das Musikfestival, zu dem rund 50.000 Besucher erwartet werden, soll am 10.und 11. September im – deutlich kleineren – Treptower Park ausgerichtet werden. Zwar war bereits eine ähnliche Veranstaltung dort nicht genehmigt worden, weil der Park, so die Begründung, für derart große Menschenmassen nicht ausgelegt sei. Doch in der Not wird es die Stadt dann doch riskieren. Noch dazu versprechen die Organisatoren des Festivals, dass sie versuchen würden, den Rasen zu schonen. Headliner des Festivals sind übrigens Radiohead und die Kings of Leon.

In Tempelhof entsteht derweil Deutschlands größte Flüchtlingsunterkunft – befristet auf drei Jahre. Doch in der Bevölkerung regt sich die Furcht, dass eine dauerhafte Einrichtung daraus wird. Damit könnte der Tempelhofer Park auch sein Gesicht verändern. Doch im Berliner Senat ist man bemüht, Ruhe in die Situation zu bringen. Die Erholungsflächen des ehemaligen Flugfelds, so heißt es, würden jedenfalls nicht beeinträchtigt.

Tempelhof

Alter Flughafen. Nach dem Aus für die zivile Luftfahrt in Tempelhof 2008 wurde das Gelände zum Freizeitareal umgestaltet. Daneben fanden hier auch mehrere Großveranstaltungen wie Konzerte, Messen und Autorennen statt. Seit dem Herbst 2015 sind in den ehemaligen Hangars des Flughafens Flüchtlinge untergebracht. Großveranstaltungen sind hier seither nicht mehr möglich.

Neues Gesetz. Ende Jänner hat Berlin im Tempelhof-Gesetz den Ausbau des ehemaligen Flughafens zur Unterbringung von Flüchtlingen beschlossen. Statt derzeit rund 2000 sollen künftig bis zu 7000 Menschen hier leben können. Die Maßnahmen sind auf drei Jahre befristet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2016)

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