Der Arzt, der Schlagzeilen macht

Gernot Rainer.
Gernot Rainer.Clemens Fabry
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Kritische Äußerungen und die Tätigkeit in einer Gewerkschaft haben Gernot Rainer den Job gekostet. Aufgeben will der Lungenfacharzt aber nicht. Die Öffentlichkeit hat er auf seiner Seite.

So kämpferisch und entschlossen er sich in der vergangenen Woche auch zeigte, die tiefe persönliche Kränkung über die Nichtverlängerung seines Vertrages konnte Gernot Rainer zu keinem Zeitpunkt verbergen. Besonders zu schaffen macht ihm die Tatsache, sich – zumindest vorläufig – von der Intensivmedizin verabschieden zu müssen. Die Ausbildung in diesem Zusatzfach hatte der Lungenfacharzt erst im August abgeschlossen.

Wenn er das Otto-Wagner-Spital mit Anfang Mai (nach neun Jahren) verlässt, bleibt ihm „nur“ seine Wahlarztpraxis in Döbling, deren Ordinationszeiten er verlängern wird – und die laut dem Ärzteverzeichnis docfinder.at die beliebteste Lungenpraxis Wiens ist. „Ich hatte immer große Freude an der Intensivmedizin. Man hat mit schwerst kranken Patienten zu tun und ist gezwungen, schnelle Entscheidungen zu treffen, um konsequent zu handeln“, sagt Rainer. „Das wird mir sehr fehlen. Die Entscheidung, zuerst in meine Ausbildung zu investieren und mich dann rauszuwerfen, verstehe wer will.“


„Negative Beurteilung“.
Rückblick: Am Montag wurde bekannt, dass der bis Ende April 2016 befristete Dienstvertrag des Gründers und Obmanns der Ärztegewerkschaft Asklepios mit österreichweit 1800 Mitgliedern nicht verlängert wird. Begründung des Krankenanstaltenverbundes (KAV): Rainer habe bei der „Identifikation mit den Gesamtinteressen der Stadt Wien und der Dienststelle“ eine „ausdrücklich negative Beurteilung“. Der 37-Jährige hat in der Vergangenheit wiederholt Kritik an Personal- und Leistungsreduktionen sowie gegen den Willen der Belegschaft eingeführten Schichtdiensten durch den KAV geübt.

Unterschrieben wurde die Mitarbeiterbeurteilung unter anderem von der ärztlichen Direktorin des Otto-Wagner-Spitals, Barbara Hörnlein, der Ehefrau von Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ). Für Unverständnis sorgte die Entscheidung des KAV vor allem deshalb, weil Rainer ein fachlich ausgezeichnetes Dienstzeugnis – umgerechnet würde er einen Notendurchschnitt von 1,1 erreichen – bescheinigt wurde und seine Abteilung erst vor zwei Monaten einen Antrag auf 13 zusätzliche ärztliche Dienstposten an den KAV stellte. Seither kennt die Solidarität für den Mediziner keine Grenzen. Sämtliche Oppositionsparteien stellten sich auf seine Seite und fordern KAV-Generaldirektor Udo Janßen auf, die „politisch motivierte Kündigung“ rückgängig zu machen.

Der Fall wird auch von der Volksanwaltschaft geprüft, denn eine mangelnde Identifikation mit den Gesamtinteressen der Stadt müsse genau definiert werden. Zudem sei zu hinterfragen, ob diese Entscheidung im Interesse der Patienten erfolgt ist – schließlich stünden „Lungenfachärzte mit hervorragendem Dienstzeugnis nicht gerade in großer Zahl vor der Tür“. Die Wiener Ärztekammer startete am Mittwoch sogar eine Onlinepetition zu seiner Wiedereinstellung, bis Samstagabend wurde sie von mehr als 1200 Personen, zumeist Ärzten aus ganz Österreich, unterschrieben. Auch Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) und Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) wurden aufgefordert, sich für eine Verlängerung seines Vertrages einzusetzen – beide richteten aber aus, auf die Entscheidung des KAV keinen Einfluss nehmen zu können.


„Ökonomisch getriebener Trend“.
Rainer selbst wirkt angesichts dieser Rückendeckung beinahe verlegen. Er als Person habe nie im Mittelpunkt stehen wollen, wichtig sei immer die Arbeit für die Gewerkschaft gewesen. „Denn wir befinden uns an einem Wendepunkt des Gesundheitswesens“, sagt der gebürtige Kärntner und Vater eines vierjährigen Buben. „In den nächsten Jahren entscheidet sich, ob das öffentliche System nur noch eine Basisversorgung anbieten wird. Ich bin überzeugt, dass gute Arbeitsbedingungen im Krankenhaus Hand in Hand mit einer guten Patientenversorgung gehen.“

Es sei ein stark ökonomisch getriebener Trend zu beobachten, „das Spital als Fabrik zu sehen und die Angestellten dort als austauschbare Facharbeiter, die im Akkord medizinische Leistungen abarbeiten sollen“. So könne Medizin aber nicht funktionieren. „Wir brauchen eine vernünftige Arzt-Patienten-Beziehung, das setzt ausreichend Zeit für den Patienten voraus, um mit der notwendigen Sorgfalt agieren zu können“, betont Rainer. „Eine Massenabfertigung unter enormem Druck wegen Personalmangels und starker Arbeitsverdichtung hat nur Frustration auf beiden Seiten zur Folge.“

Mit der Gründung einer eigenen Gewerkschaft habe er „entlarvend in die realpolitische Sozialpartnerschaft eingegriffen“. Denn das bestehende System werde mit aller Kraft verteidigt – mit dem einzigen Zweck, dieses System zu erhalten. „Wir haben Funktionäre, die Gewerkschafter, Parteimitglieder und Gemeinderäte in einem sind und je nach Bedarf Interessen der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer vertreten.“ Solche Interessenkonflikte müssten von vornherein verboten sein.


Langer Prozess erwartet.
Die Nichtverlängerung seines Vertrages wird er jedenfalls vor dem Arbeitsgericht anfechten. Die Beschwerde werde schon kommende Woche eingebracht. „Ich rechne mir ganz gute Chancen aus – auch wenn es ein längerer Prozess werden könnte“, meint Rainer. „Ich mache das für mich und für alle Kollegen, die in eine ähnliche Situation geraten könnten. Ich will nicht in Erinnerung bleiben als jemand, der wegen öffentlicher Kritik an Versäumnissen der Stadt Wien seinen Job verloren hat und mundtot gemacht wurde. Sondern als jemand, der sich zur Wehr gesetzt und recht bekommen hat.“

Steckbrief

1978
wird Gernot Rainer in Klagenfurt geboren. Nach der Matura im humanistischen Zweig eines Gymnasiums 1997 folgt der Umzug nach Wien, um Medizin zu studieren (Promotion 2004).

2007
beginnt er in der 1. Lungenabteilung des Otto-Wagner-Spitals, zunächst als Turnusarzt, nach drei Monaten als Assistenzarzt. 2013 beendet er die Ausbildung zum Facharzt und erhält einen befristeten Vertrag bis Ende April 2016. Dieser wird trotz ausgezeichneten Dienstzeugnisses nicht verlängert, weil er bei der „Identifikation mit den Gesamtinteressen der Stadt Wien und der Dienststelle“ eine „ausdrücklich negative Beurteilung“ bekommt. Rainer wird gegen diese Entscheidung vor das Arbeitsgericht ziehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2016)

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