Ukraine: Machterhalt mit allen Mitteln

Gedenken an die Toten vom Maidan. Heute wächst die Unzufriedenheit mit jener Regierung, die damals den Umbruch versprach.
Gedenken an die Toten vom Maidan. Heute wächst die Unzufriedenheit mit jener Regierung, die damals den Umbruch versprach.(c) APA/EPA/SERGEI CHUZAVKOV/POOL
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Die prowestliche Regierung unter Premier Arsenij Jazenjuk kann sich nur noch durch Einflussnahme von Oligarchen und mithilfe der populistischen Radikalen Partei halten.

Kiew. Die Beruhigungsrufe Arsenij Jazenjuks verhallten in den Reihen des Parlaments. Am Ende einer stürmischen Parlamentswoche rief der ukrainische Premier die Abgeordneten dazu auf, „das Kriegsbeil zu begraben“. „Wir werden weiterhin den Reformweg gehen“, gelobte er. Doch die Gemüter dürften sich diesmal nicht so schnell beruhigen. Zwei Jahre nach dem politischen Umbruch vom Kiewer Maidan, dem dieser Tage als „Revolution der Würde“ gedacht wird, steht die Regierung, die eine demokratische Transformation der Ukraine versprochen hat, vor dem Aus. Mehr noch: Sichtbar wurde auch, dass der Einfluss der Oligarchen in demokratischen Institutionen noch immer groß ist. Manche sprechen gar von einer „Schattenregierung“ der Geschäftsleute.

Was war geschehen? Unter Kritik stand das prowestliche Kabinett von Jazenjuk schon seit Längerem: Es mangelte an Reformbereitschaft, die Vierparteienkoalition im Parlament – Jazenjuks Volksfront, der Block von Präsident Petro Poroschenko, die liberale Partei Selbsthilfe und Julia Timoschenkos Vaterlandspartei – zeigte Risse. Nach dem Rücktritt des Technokraten und Wirtschaftsministers Aivaras Abromavičius Anfang Februar, der damit gegen die Sabotage seiner Reformen durch Vertraute des Präsidenten Petro Poroschenko protestierte, kriselte es noch mehr.

Misstrauensvotum gescheitert

Schließlich fand vergangene Woche ein Misstrauensvotum statt, offiziell unterstützte der Präsident eine Regierungsumbildung. Doch die Abstimmung scheiterte überraschend. Ob daher der Antrag überhaupt nur politische Inszenierung war – um Druck von der Regierung zu nehmen bzw. Poroschenko das Image des rührigen, aber machtlosen Streitschlichters zu verleihen –, ist nun das heiß diskutierte Thema in der Öffentlichkeit.

Tatsächlich wirkt es so: In einer Abstimmung über die Regierungsarbeit hatten noch 247 Abgeordnete die Arbeit von Premier Jazenjuk als nicht zufriedenstellend beurteilt. Im nachfolgenden Misstrauensvotum stimmten aber nur noch 194 für den Rücktritt der Regierung. Auch 23Abgeordnete der Präsidentenpartei unterstützten den Antrag nicht, die Opposition enthielt sich großteils der Stimme.

Der Rücktritt der Regierung wurde durch Absprachen torpediert, die nicht entlang der Parteigrenzen verliefen, sondern entlang der Machtbereiche einflussreicher Geschäftsmänner. Im Kiewer Parlament stützten die Oligarchen Premier Jazenjuk. Mit dem geplatzten Votum ist ihr Einfluss wieder spürbar geworden. Für viele Reformer und westliche Beobachter ist das ein Schock und Rückschritt.

Serhij Leschtschenko, Ex-Journalist und aufsässiger Abgeordneter in Poroschenkos Partei, spricht gar von einer „oligarchischen Konterrevolution“. Er vermutet Absprachen zwischen dem Oligarchen Rinat Achmetow, dem Dnjepropetrowsker Businessman Ihor Kolomojskij und Sergej Ljowotschkin, dem Leiter des Präsidialamts unter Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch, die einen Teil der Abgeordneten in der Werchowna Rada, dem Parlament, kontrollieren.

Auch Wolodymyr Gorbatsch, Analyst des Kiewer Instituts für Euro-Atlantische Zusammenarbeit, glaubt an Absprachen. „Die Interessen des Präsidenten und der Oligarchen fielen situativ zusammen. Die Oligarchen sind nicht per se gegen vorgezogene Wahlen, aber ihnen kommt ein Premier Jazenjuk bei der Vorbereitung und Durchführung dieser Neuwahlen gelegen.“ Jazenjuk, dem ein Naheverhältnis zu Achmetow nachgesagt wird, kann sich nun als Bewahrer der Stabilität gerieren. Seine Botschaft: Neuwahlen müssen verhindert werden. Durchhalten, was es auch koste.

Timoschenko stieg aus

Nach dem missglückten Votum stiegen zwei Koalitionspartner – Timoschenkos Vaterlandspartei und Selbsthilfe – aus der Koalition aus, die damit ihre Mehrheit verlor. Doch schon ist ein neuer Partner gefunden. Der Königsmacher einer neuen Mehrheit ist Oleh Ljaschko, umstrittener Chef der populistischen Radikalen Partei. Er bietet nun seine Kooperation an, obwohl er in der Vergangenheit ebenso gegen Jazenjuk zu Felde zog und ein Teil seiner Abgeordneten den Misstrauensantrag unterstützte.

Die Ukraine scheint die Wahl zwischen Pest und Cholera zu haben. Schwer zu sagen, was destruktiver ist: die derzeitige Geschäftemacherei eines politischen Personals, das sein Ansehen längst verloren hat, oder Neuwahlen, die das Land für Monate lähmen und Finanzhilfen einfrieren würden? Moritz Junginger von der deutschen CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew sagt, die Regierung müsse nun „das Vertrauen der eigenen Bevölkerung und der westlichen Unterstützer wiedergewinnen“. An den Ernennungen künftiger Minister werde sich zeigen, wie viel Bereitschaft es gibt, tatsächlich Reformen durchzuführen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2016)

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