Wie viele Reden des angeklagten „Jihad-Befürworters“ sollen sich die Geschworenen anhören? Und: Ein Zeuge wird noch im Gerichtssaal festgenommen.
Graz. Kann der Monsterprozess tatsächlich am Montag zu Ende gehen? Oder ist mit einer Vertagung der streng bewachten Grazer Geschworenenverhandlung zu rechnen? Angesichts der Anklage wegen vielfachen Mordes (die Staatsanwaltschaft Graz kann allerdings keine Opferzahl nennen), begangen an syrischen Zivilisten im Rahmen der Vorstöße der Terrormiliz IS, geht es für die beiden Beschuldigten um sehr viel: Im Falle anklagekonformer Verurteilungen droht dem Prediger Mirsad Omerovic (34) und seinem Schüler Mucharbek T. (28) bis zu lebenslange Haft.
Entsprechend hoch ist die Nervosität. So auch am Mittwoch, dem dritten Verhandlungstag. Der Staatsanwalt (die Justiz bittet, dessen Namen und auch die Namen der Richter aus Sicherheitsgründen nicht zu nennen – die Verhandlung ist aber öffentlich) meinte, es sei „eine Heidenarbeit“ gewesen, diverse Videos mit Predigten zu sichten. Diese Heidenarbeit hätten die Geschworenen „zu leisten“, konterte Anwalt Jürgen Mertens.
Denn: Das sichergestellte Videomaterial von Predigten (teils auf Deutsch, teils auf Bosnisch) sei zwar vielfach im Internet aufgetaucht (insofern verfügt der Prediger über einen beachtlichen Bekanntheitsgrad innerhalb der salafistischen Szene) – aber: Nicht Omerovic selbst habe die Videos bearbeitet. Mertens: „Jede Person konnte bei den Vorträgen mitfilmen, sie danach bearbeiten und sie ins Internet stellen.“ Und YouTube-Kanäle, die der Staatsanwalt seinem Mandanten zuordnen würde, stammten gar nicht von Omerovic. Letztlich beantragte der Verteidiger, dass sämtliche Predigten, die in der Anklage erwähnt werden, im Gerichtssaal abgespielt werden. Dieses Material, teils Videos, teils CDs, hat in etwa eine Länge von 300 Stunden.
„Eindeutig ein Jihadist“
Zur Erinnerung: Omerovic soll laut Anklage durch seine radikalen Vorträge seine Zuhörer dazu aufgestachelt haben, sich der Terrormiliz IS anzuschließen. T. soll daraufhin tatsächlich nach Syrien gereist sein – und er soll gemeinsam mit anderen IS-Mitgliedern Morde begangen haben. Beide Männer bestreiten diese Vorwürfe entschieden.
Weiters wurde am Mittwoch der deutsche Islam-Experte Guido Steinberg (er trug, wie berichtet, schon am Dienstag seine Gerichtsgutachten vor) erneut befragt. Der Experte bekräftigte, dass es sich bei Omerovic um einen Jihadisten handle. Der Prediger habe zum bewaffneten Kampf gegen die „Ungläubigen“ aufgerufen. Steinberg: „Die Videos weisen ihn eindeutig als Jihadisten aus, es gibt aber kein Bekenntnis zu einer bestimmten Organisation.“ Ob man die Einstellung des – in Wien aufgewachsenen – Angeklagten zur Demokratie definieren könne, wollte der Staatsanwalt wissen. Demokratie sei für Omerovic „ein Götze, der abgelehnt wird, da hier Menschen das Gesetz machen, und das darf nur Gott.“ Jeder, der einen weltlichen Gesetzgeber befürworte, „ist ein Ungläubiger, und der ist zu töten“, erklärte der Gutachter die Einstellung des Angeklagten.
Mittwochnachmittag kam es bei der Anhörung von Zeugen zu turbulenten Szenen: Thema waren erneut die Predigten Omerovics. Ein Zeuge, der ursprünglich der Polizei über einen Bekannten erzählt hatte, der infolge von Omerovic-Predigten in den Jihad gezogen sei, änderte nun seine Aussage. „Aber das steht ja alles da“, hielt ihm der Richter das Protokoll vor.
Zeuge nach Aussage abgeführt
Der Zeuge zog in Betracht, dass der Polizeibeamte dies von sich aus dazugeschrieben habe, er könne sich jedenfalls an nichts erinnern. „Ich habe es schon so satt, dass da alle herkommen und lügen“, explodierte der Staatsanwalt einmal mehr. Und er drohte dem Zeugen mit einem Verfahren wegen Falschaussage und Verleumdung.
Letztlich kam es zu dramatischen Szenen: Der vorsitzende Richter sprach noch im Gerichtssaal die Festnahme des Zeugen aus. Der junge Mann wurde von der Justizwache abgeführt. Wegen des dringenden Verdachts der falschen Beweisaussage. Eine Sprecherin des Landesgerichts Graz erklärte der „Presse“, nun müsse über die U-Haft entschieden werden. Dies wäre angesichts des Vorwurfs, falsche Beweisaussage, eine denkbar scharfe Sanktion.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2016)