Fifa-Präsidentenwahl: Eigentor des Weltfußballs

Sepp Blatter.
Sepp Blatter.(c) APA/AFP/SEBASTIAN DERUNGS
  • Drucken

Mit der Wahl des Nachfolgers von Sepp Blatter soll in Zürich die Zukunft des Weltfußballs beginnen. Altlasten sind nicht ausgeräumt, kein Anwärter verspricht Aufklärung – das FBI wartet.

Zürich/Wien. Der Weltfußballverband Fifa wählt am Freitag bei seinem außerordentlichen Kongress in Zürich den Nachfolger von Sepp Blatter. Wenn es die Ermittler des FBI und der Schweizer Bundesbehörden denn zulassen und nicht erneut mit Razzien und Verhaftungen dazwischenfunken, dürfen 207 Funktionäre am Nachmittag zur Wahl antreten. Kuwait und Indonesien sind nach internen Sperren nicht wahlberechtigt.

Zwei ehemalige Spielmacher des Weltfußballs werden definitiv fehlen. Sepp Blatter, 79, und sein Erzfeind Michel Platini, 60, sind seit vergangenem Herbst wegen einer dubiosen Honorarzahlung über 1,7 Millionen Euro gesperrt. Sie konnten den Bestechungsverdacht bislang nicht entkräften, ihre Strafe (Sperre von allen fußballrelevanten Aktivitäten) wurde am Mittwoch von der Berufungskommission der Fifa dennoch von acht auf sechs Jahre reduziert. Für Beobachter ist das ein fatales Signal, ein Fifa-Informant nannte es sogar ein Eigentor, weil man so den Willen für die Aufarbeitung aller Vorfälle und das Verlangen der Öffentlichkeit nach Transparenz negiert. Blatter und Platini legten Rekurs ein, der Fall wandert weiter zum Sportgerichtshof in Lausanne.

1 Fünf Kandidaten, aber nur zwei Favoriten als Blatter-Nachfolger

Blatters und Platinis Lager werden den Ton angeben. Entweder wird Scheich Salman bin Ibrahim al-Khalifa (50, Bahrain) oder Uefa-Generalsekretär Gianni Infantino (45, Schweiz) die Fifa ab Freitagabend regieren. Das umstrittene Mitglied der Königsfamilie Bahrains ist Blatters Lager zuzuordnen, es kennt alle Systeme, Abläufe und Geldflüsse. Der Italo-Schweizer gilt als Wegbegleiter Platinis, als dessen verlängerter Arm, der plakativ mit Geldversprechen und der Vergrößerung der WM-Turniere warb.

Prinz Ali bin al-Hussein (40, Jordanien), Jérôme Champagne (57, Frankreich) und Tokyo Sexwale (62, Südafrika) sind chancenlos – doch sie werden dadurch zu Präsidentenmachern und gewiss vom „neuen“ System profitieren.

Al-Khalifa darf mit 44 Stimmen aus Asien fix rechnen, Infantino setzt auf Europa (53) und Südamerika (zehn). Dazu kommen Vertreter aus Nord-, Mittelamerika und der Karibik (35), Ozeanien (elf) und Afrika (54) – angeblich stimmen sie für Scheich Salman. Im ersten Wahlgang braucht der Sieger eine Zweidrittelmehrheit, in weiteren Durchläufen reicht die einfache Mehrheit.

2 Österreich wählt Infantino – ÖFB-Präsident Leo Windtner stimmt ab

Die Fifa-Wahl scheint zumindest demokratisch, jede der 207 Stimmen ist gleich viel wert. Der ÖFB ist während der Wahl also genauso „mächtig“ wie Deutschland oder Aruba. Für Österreich stimmt Leo Windtner ab, der ÖFB-Präsident hat sich wie der Rest Europas auf Infantino festgelegt. „Ich rechne mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Infantino wäre ein Gewinn für den Weltfußball. Er hat jene Professionalität und Verlässlichkeit, die es braucht, um Reformen durchzusetzen. Al-Khalifa ist ein Fußballfachmann, es wird ihm allerdings das Odium von Menschenrechtsverletzungen angeheftet.“

3 Transparenz wird gefordert, noch steht sie bei der Fifa im Abseits

Blatters Nachfolger muss mit dem ersten Arbeitstag danach trachten, restlos für Transparenz zu sorgen. Es gilt, die Vorfälle der Vergangenheit – allen voran Korruption, Bestechung, Neubestellung in der Exekutive, Reform der WM-Vergabe, Kontrolle der WM-Vergaben 2018 (Russland) und 2022 (Katar) – zu klären. Sowohl Infantino als auch Scheich Salman schwiegen sich in ihren Kampagnen zu diesen Themen aber eisern aus.

Michael Hershman, Ex-Fifa-Berater und nun im Beirat der Internationalen Antikorruptions-Akademie (IACA), ist alarmiert. „Die Fifa hatte bislang kein Interesse daran, das System zu ändern. Also denke ich, dass Scheich Salman gewinnt.“ Der Amerikaner gab eines zu bedenken: Es sei erst die Ruhe vor dem Sturm. Das FBI sichte noch elf Terabyte Daten, es gibt 16 Anklagen, 50 gesperrte Funktionärskonten, 104 aufgedeckte Bankverbindungen, 53 Verdachtsfälle von Geldwäsche – und zig kooperationswillige Funktionäre. Noch erhebe das FBI keine weiteren Anklagen, weil man Reformen abwarten wolle. „Die Gefahr besteht jedoch weiterhin, dass die Fifa als Institution – in dieser Form – nicht länger existieren wird.“

4 Der Schrei nach Reformen, aber was soll sich denn ändern?

Kern der heute in Zürich zu beschließenden Neuordnung ist, die Macht des Präsidenten einzuschränken. Man will die Aufsplittung der politischen und ökonomischen Bereiche sichern, die Schaffung eines Councils mit 36 Mitgliedern (keine TV- und Marketing-Verträge) gewährleisten. Der Präsident soll nur noch für drei Vierjahresperioden (zwölf Jahre) wählbar sein. In der Finanzabteilung sitzen ab sofort unabhängige Spezialisten. Sie wachen über Sponsoring, Merchandising und WM-Vergaben.

5 Geduldspiel mit Entscheidung erst in den Abendstunden

Der außerordentliche Kongress findet im Zürcher Hallenstadion statt, ab 13 Uhr beginnt das Wahlprozedere (12.40 Uhr, live ORF Sport+).

ZWEIKAMPF UM DIE FIFA-HERRSCHAFT

Gianni Infantino, Italo-Schweizer, 45, seit 2009 Uefa-General, gilt als Wegbegleiter von Michel Platini, ist als Losfee bekannt und verspricht Verbänden mehr Geld, mehr WM-Startplätze und ist unbescholten.

Scheich Salman al-Khalifa, 50, ist AFC-Präsident, Mitglied der Königsfamilie Bahrain, wird seit 2001 oft mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht. Er kennt System und Geldflüsse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Gianni Infantino
Fußball

Europas „Plan B“ ist Chef des Weltfußballs

Gianni Infantino ist Sepp Blatters Nachfolger als Fifa-Präsident. Der Italo-Schweizer, zuvor Uefa-Generalsekretär, kommt aus Brig, Blatters Nachbarort.
SCHWEIZ FUSSBALL FIFA, FIFA-KONGRESS,
Fußball

Gianni Infantino neuer Fifa-Präsident

Der bisherige Uefa-Generalsekretär setzte sich im zweiten Wahlgang mit 115 der 207 Stimmen gegen Scheich Salman durch und wird Nachfolger von Sepp Blatter.
Fifa-Kongress
Fußball-International

Fifa-Kongress segnet Reformpaket ab

Vor der Wahl des neuen Präsidenten stimmte die klare Mehrheit der Mitgliedsverbände für Umstrukturierungen und Machtbeschränkungen.
UEFA General Secretary and FIFA presidential candidate Infantino attends the regional meeting of National Football Associations in Belgrade
Fußball-International

Die Versprechen der "Losfee" sind Europas einzige Antwort

Uefa-Generalsekretär Gianni Infantino hält Michel Platini die Treue und stellt WM-Aufstockung sowie mehr Entwicklungsgeld in Aussicht.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.