Die Ungeschicklichkeit staatlicher Lenkung

Es ist höchste Zeit für ein Konzept, das aufzeigt, wie Europa und Österreich in der globalisierten Welt auch weiterhin erfolgreich sein können – und das wachsenden Wohlstand auch in Zukunft möglich macht.

Wenn der Staat über 50 Prozent der Wirtschaftsleistung verfügt, wie es in Europa der Fall ist (in Österreich noch mehr), dann wäre wohl zu erwarten, dass er mit Steuern, Ausgaben und Regulierung Ziele durchsetzen oder zumindest fördern kann. Weit gefehlt. Wir zeigen diese Ineffizienzen der Lenkung für die Steuerstruktur, die Subventionen und analysieren die Vernachlässigung der staatlichen Informationspflicht.

Die Grundlage für diese Analyse ist ein Europaprojekt (WWW for Europe, „Eine neue Strategie für Europa: Dynamik durch soziale und ökologische Innovation“), das vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) für die Europäische Kommission erarbeitet und gestern in Brüssel dem Parlament und der Kommission vorgestellt wurde.

Falsche Steuerstruktur

Hohe Arbeitslosigkeit, anhaltende Stagnation seit der Finanzkrise, ansteigende Schulden und globale Erwärmung mit hohen Emissionswerten belasten Europa massiv. Die „Midlife-Crisis“ der EU wird durch Ineffizienzen in der staatlichen Lenkung (von der europäischen Ebene bis in die Regionen) und Zielerreichung verstärkt.

Die europäische Arbeitslosenrate von zehn Prozent (Jugendarbeitslosigkeit auf intolerablen 20 Prozent) würde nahelegen, den Faktor Arbeit steuerlich zu entlasten. Aber das Gegenteil ist der Fall. Jener Faktor, der verstärkt eingesetzt und gefördert werden sollte, ist mit der Hälfte aller Steuern belastet (und mit 20 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung). Tendenz steigend!

Auf der anderen Seite sollten Emissionen und Ressourcenverbrauch reduziert werden, um einen Beitrag zum Stopp des Klimawandels zu leisten. Energiesteuern sind aber tendenziell sinkend und betragen nur ein Zehntel der Lohnabgaben. Der Emissionshandel ist zusammengebrochen, und niemand repariert das. Schiffe sind mit 14 Prozent an den Treibhausgasemissionen beteiligt, genießen aber de facto Steuerfreiheit. Für den Flugverkehr kann keine Kerosinbesteuerung vereinbart werden.

Das WWW-for-Europe-Projekt schlägt vor, Steuerbelastung auf den Faktor Arbeit zu halbieren – von derzeitigen 20 auf zehn Prozent des europäischen BIPs. Die „verlorenen“ Staatseinnahmen könnten durch höhere Steuern bei Grundstücken, Finanztransaktionen, Emissionen, Alkohol und Tabak ausgeglichen werden, verbunden mit geringerer Steuerhinterziehung und Gewinnverlagerung in Steueroasen. Mit diesem Vorschlag könnte die Beschäftigung um fünf Prozent steigen, die Emissionen könnten um zwei Drittel zurückgehen.

Falsche Subventionsstruktur

Die Struktur der Subventionen ist noch irrationaler. Erneuerbare Energie sollte forciert werden, auf fossile Energie muss nach den Beschlüssen der Klimakonferenz in Paris 2015 und den Berechnungen der überwältigenden Mehrheit aller wissenschaftlichen Arbeiten bis 2050 praktisch verzichtet werden.

Dennoch sind die Subventionen für fossile Energie ein Mehrfaches jener für erneuerbare Energieformen. Ihr Abbau wäre gerade jetzt bei dem niedrigen Ölpreis wirtschaftlich und sozial möglich, unterbleibt aber. Die Dringlichkeit der Probleme hat anscheinend noch keinen Niederschlag in der Politik gefunden.

Die hohen Subventionen für fossile Brennstoffe und die niedrigen für erneuerbare sind auch ineffizient. Würden Öl und Kohle nicht mehr subventioniert werden, würden auch die Staatsausgaben sinken. Das könnte entweder für eine Steuersenkung oder für Investitionen in Forschung oder Qualifikation genutzt werden. Für Österreich betragen die „fossilen“ Subventionen – vom Wifo errechnet – vorsichtig geschätzt vier Milliarden Euro. Mit ihrem Abbau hätte die Steuerreform ohne Gegenfinanzierung durchgeführt werden können.

Mit dem Forcieren eines „High-road“-Ansatzes, der auf qualitätsgetriebenen Strukturen basiert, würden Staaten soziale und ökologische Ziele leichter erreichen und die allgemeine Lebensqualität in Europa steigern können.

Verfehlte Regulierung

Der VW-Skandal hat Ineffizienzen der europäischen Regulierung aufgezeigt. Labortests (für die Testung von NOx- und CO2-Werten) werden unter sehr unrealistischen Bedingungen durchgeführt. Die tatsächlichen Emissionswerte von Fahrzeugen sind dem Käufer unbekannt, weil zwingende Straßentests nicht vorgeschrieben sind. Die Grenzwerte für Stickoxide sind in Europa höher als in den USA, zusätzlich ist das Messverfahren großzügiger. Als sie noch immer nicht eingehalten wurden, hat Europa beschlossen, eine Überschreitung zu „erlauben“.

Heute boomt der Verkauf von Autos mit hohem Spritverbrauch, weil der Treibstoff so billig ist. Sollten die Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz je durchgesetzt werden oder sollte es zu einer erneuten Kartellbildung von Ölstaaten kommen, würden Diesel- und Benzinpreise wieder stark steigen. Käufer, die über keine großen Sparrücklagen verfügen, können sich die Autos dann nicht mehr leisten. Sie können diese aber auch nicht verkaufen, weil der Wiederverkaufswert stark sinken würde. Wir weisen darauf hin, dass der Staat eine Informationspflicht über dieses Risiko hätte. Andernfalls entsteht ein neuer Subventionsdruck, um soziale Härten zu vermeiden.

Das dreifache Staatsversagen bei Steuerstruktur, Subventionen und Regulierung ist auf das Fehlen eines strategischen Ansatzes zurückzuführen. Wenn Europa erkennt, dass es als politisches Modell nur bestehen kann, wenn die Arbeitslosigkeit sinkt und dass es billiger ist, beim Verzicht auf Kohle, Öl und Gas voranzugehen und neue Antriebstechnologien zu entwickeln, ergeben sich die richtigen Entscheidungen von selbst.

Es wird möglich, das „Flüchtlingsproblem“ und die Austrittswünsche von Regionen und Staaten in Perspektive zu setzen. Derzeit eröffnen ungelöste wirtschaftliche und soziale Probleme Raum für populistische Strömungen. Diese werden die Ineffizienz aber nicht reduzieren, da viele von ihnen den Klimawandel leugnen und durchsetzen, dass die ohnehin schwachen Richtlinien für Energieeffizienz aus der Wohnbauförderung gestrichen werden (siehe Oberösterreich).

Notwendig ist ein Konzept, wie Europa und auch Österreich in der globalisierten Welt erfolgreich sein können und wie wachsender Wohlstand erreichbar ist. Ein solches ist nunmehr auch verfügbar!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DIE AUTOREN



Vanessa Koch
(*1989 in Baden) absolvierte ein Masterstudium in Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie hat sich auf die Themen Arbeitsmarkt, Makroökonomie und europäische Wirtschaftspolitik spezialisiert und forscht über Industrieökonomie, Innovation und internationalen Wettbewerb. Derzeit Projektmitarbeiterin des Wifo für WWW for Europe. [ Privat]



Karl Aiginger (*1948) studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien. Seit 2005 ist er Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo). Gastprofessuren an der Wirtschaftsuniversität Wien und an US-Universitäten. Er koordiniert das EU-Projekt „Ein neuer Wachstumspfad für Europa“ (www.foreurope.eu/). [ Fabry ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2016)

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