Ethik in der von Medien dominierten Welt

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Kommunikationswissenschaft.Auch der Präsidentschaftswahlkampf zeigt, wie sehr unsere Gesellschaft von Medien durchdrungen ist. Wissenschaftler wollen dadurch entstandene Paradoxien auflösen und diese positiv nutzen.

Für den Start des österreichischen Präsidentschaftswahlkampfs konstatiert der Kommunikationswissenschaftler Matthias Karmasin von der Uni Klagenfurt dreierlei. Erstens sei die Mediendemokratie in Österreich angekommen, denn alle Kandidaten sind mit YouTube gestartet. Das wäre bei der ersten Kampagne von Bundespräsident Heinz Fischer undenkbar gewesen. Zweitens spielen bei der Kampagne soziale Medien eine wichtige Rolle. Drittens bestätigt sich das kommunikationswissenschaftliche Gesetz, dass Medien einander nicht verdrängen, sondern ergänzen: Der persönliche Wahlkampf, Plakate, TV-Debatten und Social Media seien wichtig.

Seit soziale Medien die Gesellschaft durchdringen – was man auch als Mediatisierung bezeichnet –, werden laut Karmasin Paradoxien sichtbar. Ein Paradox betrifft die Medien selbst, die als „eingeschlossene Ausgeschlossene vor der Schwierigkeit stehen, die Gesellschaft von außen beobachten zu müssen, obwohl sie Teil der Gesellschaft sind“, so Karmasin.

Die Digitalisierung hat die Mediatisierung vorangetrieben. Über alle Lebensbereiche, Kultur, Wirtschaft und Politik wird ständig in Echtzeit berichtet. Hasspostings, Shitstorms und Mobbing beeinflussen unsere Gesellschaft in hohem Maß. „Daher stehen wir vor neuen medienethischen Herausforderungen“, stellt Karmasin fest.

Neue ethische Grundsätze

Medienethik müsse eine Ethik der gesamten mediatisierten Welt sein und sich auf alle Bereiche veröffentlichter Inhalte beziehen. Die Kommunikationswissenschaft könne ethische Grundsätze entwickeln, die dann in der Medienbranche umgesetzt werden müssten. „Regulierte Selbstregulierung heißt, dass die Branche und die Menschen selbst bestimmen, nach welchen Regeln sie spielen. Der Staat soll dabei nicht eingreifen, er soll nur dafür sorgen, dass sich alle an die selbst gesetzten Regeln halten“, erklärt Karmasin. Da sich in Österreich nicht alle Medien am Presserat beteiligen, dem Organ, das Selbstkontrolle organisieren will, hält Karmasin eine gesetzliche Regelung für erforderlich. Sie sollte die finanzielle Förderung von Medien, beispielsweise in Form von Inseraten öffentlicher Institutionen, daran koppeln, dass Medien sich der gemeinsamen Selbstkontrolle unterwerfen.

Notwendig wäre auch eine Auseinandersetzung mit dem langjährig gewachsenen Naheverhältnis zwischen Journalisten und politischen Akteuren, das eine „Beißhemmung“ erzeuge. Weitere Probleme sind der hochkonzentrierte Medienmarkt in dem kleinen Land und das Missverständnis, dass Medienpolitik in der Durchsetzung von Interessen und Machtpolitik bestehe. „Die Qualität von Öffentlichkeit und die Qualität von Demokratie liegen so eng zusammen, dass wir es uns nicht mehr leisten können, Medienpolitik als Macht- und Interessenpolitik zu verstehen“, so Karmasin. In der digitalisierten Welt sei Medienpolitik vielmehr eine Querschnittsaufgabe, die Wirtschafts- und Sozialpolitik, Bildungs- und Kulturpolitik betreffe.

Selbstreflexion der Medien

Noch ein Paradox konstatiert Karmasin: „Die Medien berichten über alles, aber nicht über sich selbst. Das Hauptproblem der Medien ist, dass sie kein Problem mit sich haben.“ Auch darüber will der Forscher im Symposium über Medienethik am 29. 2. an der FH St. Pölten sprechen. Sein Buch „Die Mediatisierung der Gesellschaft und ihre Paradoxien“ ist im Dezember im Facultas-Verlag erschienen.

LEXIKON

Ein Paradox enthält einen unauflöslichen Widerspruch in sich, obwohl es einer richtigen Herleitung aus einander nicht ausschließenden Voraussetzungen folgt. Das Aufklären von scheinbaren Widersprüchen oder das Diskutieren von Ungereimtheiten kann ein sinnvoller Weg der wissenschaftlichen Argumentation sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2016)

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