Glas, Punk und Rock'n'Roll

Der gedoppelte Reinhard Bauer an seiner Werkbank. Dort wird gerade an einer in ihre Einzelteile zerlegten Jugendstil-Stiegenhausverglasung gearbeitet.
Der gedoppelte Reinhard Bauer an seiner Werkbank. Dort wird gerade an einer in ihre Einzelteile zerlegten Jugendstil-Stiegenhausverglasung gearbeitet. Die Presse
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Reinhard Bauer ist Glasermeister im Wiener Servitenviertel – und wohl der einzige der Stadt, der sich im gleichen Maß für Kunstglaserei und für Punkrock begeistert.

Das Servitenviertel im Wiener Alsergrund ist Heimstätte von Büchereien, Kaffees, Restaurants, kleinen und größeren Theatern – kreativ, aber immer in gutbürgerlichen Dosen. Mitten in diesem Milieu erwartet man sich von einem Glaser eine gewisse weißhaarige Gesetztheit. Reinhard Bauer ist das Gegenteil davon. Äußerlich hat er eher eine gewisse Ähnlichkeit mit Investmentpunk Gerald Hörhan als mit vielen altväterlichen Vertretern seiner Zunft.

„Am Wochenende werden die Haare aufgestellt, und dann geht's auf Konzerte“: Man schenkt dem Glauben. Vor allem, da Bauer einen prächtigen, rosa gefärbten Irokesenkamm trägt. Als er frühmorgens in seiner Glaserei in der Servitengasse empfängt, die der 31-Jährige in dritter Generation führt, liegen sie frisch gewaschen auf dem sonst rasierten Kopf. So untypisch der Glasermeister mit den Festivalarmbändern, Doc-Martens-Stiefeln und der Punkfrisur auf den ersten Blick auftritt, so klassisch ist doch seine Herangehensweise an das Handwerk.

Denn Bauer ist einer der wenigen verbliebenen Meister Wiens, die noch Kunstglaserei vom alten Schlag betreiben. Gerade ist die Werkstatt vollgestellt mit dem Innenleben eines Altwiener Jugendstil-Stiegenhauses. Arbeiten wie diese, bei denen die alten Glasfenster zerlegt und in Kleinarbeit restauriert werden, sind seine Leidenschaft: „Das braucht Ruhe und Kreativität.“ Aktuell sei der Markt für Glaserarbeiten aber technisch orientiert. Der Schwerpunkt liegt daher auch in seinem Drei-Mann-Betrieb auf Duschverglasungen, LED-Glaseinfassungen, Küchenrückwänden, dem Belegen von Spiegeln und Reparaturarbeiten für Versicherungen.


Die Zeit auf seiner Seite.
Aufträge wie dieser, bei denen er seine kreative Ader ausspielen kann, beschränken sich auf vier bis fünf pro Jahr. Kunden wie neulich die nette ältere Dame, die nicht mit der Wimper zuckte, als er ihr eröffnete, dass die Reparatur ihrer Facettenbilderrahmen mehrere Hundert Euro kosten würde, sind rar. Dennoch ist Bauer überzeugt: „Die Kunstverglasung wird zurückkommen.“ Immer mehr Hausverwaltungen investierten wieder Geld, um den Jugendstilcharme ihrer Stiegenhäuser zu erhalten. Da Blei spätestens nach achtzig Jahren spröde werde, könne man sich den potenziellen Wiener Markt ausrechnen.

Doch die Bundesinnung der Glaser kämpft mit dem Schicksal aller Gewerke: Die Jugend will nicht nachkommen. „Die, die was am Kasten haben, wollen studieren.“ Bauer weiß, wovon er spricht. Schließlich ist er seit Beginn des Vorjahrs nicht nur zum Chef des Familienbetriebs, sondern auch zum Bundeslehrlingswart seiner Innung aufgestiegen und als solcher für den Glasernachwuchs zuständig. Zurzeit kommen in Wien auf 125 Betriebe nur rund 20 Lehrlinge im ersten Lehrjahr. „Dabei geht es da auch um spannende Dinge wie AutoCAD-3D-Zeichnungen, statische Berechnungen und Design“, sagt Bauer.

Für ihn, der umringt von Glas aufwuchs, stellte sich nie wirklich die Frage, etwas anderes zu tun. Als er 16 war, sagte sein Vater, es gebe da eine „schöne Schule in Tirol“. Damit meinte er die österreichweit einzige HTL für Glastechniker in Kramsach. Bauer lacht: „Sein eigener Vater war da noch radikaler, der hat ihn einfach angemeldet.“ Nach Ausbildungsjahren in Tirol und Wien wurde Bauer die Heimat aber irgendwann zu eng.

Nicht nur sein Aussehen, auch sein weiterer Werdegang unterscheidet ihn deutlich von anderen Meistern: Mit 20 lernte er auf einem Punkrockfestival einen Londoner Freund kennen, zog kurz entschlossen in die britische Hauptstadt und lebte dort zwei Jahre lang in besetzten Häusern. Sein Geld verdiente er anfangs damit, dass er sich die Haare aufstellte und von Touristen am Piccadilly Circus als originaler Londoner Punk fotografieren ließ. Erst als ihm das zu langweilig wurde, ließ er sich vom Vater sein Werkzeug nachschicken und suchte eine Arbeit bei einem Kunstglaser. Mit diesem zog er zwei Jahre lang durch die viktorianischen Häuser und Kirchen der britischen Insel und besserte hinter Altären, in Stiegenhäusern und in Prunkräumen die Bleiverglasungen aus.

Seit 2009, seit Bauer wieder im Wiener Familienbetrieb arbeitet, verläuft sein Leben in geregelteren Bahnen. Damit gehen die alltäglichen Sorgen aller kleinen Handwerksbetriebe einher. Auch seine Glaserei musste sich Anfang des Jahres aufgrund von Bareinnahmen von mehr als 7500 Euro eine Registrierkasse anschaffen – „ein weiterer Schritt näher zur totalen Kontrolle, aber wohl tragbarer als gedacht“. Und auch Bauer kämpft wie viele in der Branche mit Versicherungen, die versuchen, die Reparaturkosten zu drücken, und den hohen Lohnnebenkosten, die ihn davon abhalten, noch einen vierten Mitarbeiter oder gar einen Lehrling zu beschäftigen. Bei einem jährlichen Umsatz von 150.000 Euro sei das nicht möglich. „Aber man überlebt“, sagt Bauer lapidar.


Ein Kind der Au. Überlebt hat der Betrieb noch immer. Auch als Vater Hannes den Demonstranten 1984 im Firmenauto Essen in die besetzte Hainburger Au brachte und daraufhin einen Rüffel vonseiten der öffentlichen Hand – einem der Großkunden der Bauers – bekam. Das Aufständische scheint Reinhard Bauer, Dezember 1984 geboren, mit auf den Weg gegeben. Eine gewisse Wiener Gemütlichkeit genauso. So werden die Werkstatträume in der Servitengasse von Bergen an ausgemustertem Ornamentglas, Rahmen und Werkzeug dominiert – teils bis zur Unpassierbarkeit. Das Ganze erweckt den Eindruck eines vollgeräumten, aber gemütlichen Spiegellabyrinths. Reinhard Bauer hat den Spruch seines Vaters verinnerlicht: „Man kann heute nicht mehr viel verdienen, aber sich viel ersparen.“ Und wer weiß, wozu das alles noch einmal nützlich sein könnte. Zusammenfassend stellt er fest: „Ich bin sicher kein Kapitalist.“ Es wäre wohl keiner auf die Idee gekommen, ihm das ernstlich zu unterstellen.

Glaserei

1965 eröffnete Johannes Bauer die Glaserei in der Servitengasse 21 im Wiener Alsergrund.

1980 übergab er sie an seinen Sohn Hannes.

2015, zu ihrem 50-jährigen Jubiläum, übernahm Enkel Reinhard in dritter Generation die Leitung des Familienbetriebs. Er führt ihn heute an der Seite seines Vaters als Bau-, Portal- und Kunstglaserei fort.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2016)

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