Volksabstimmung: Schweizer bremsen bei Ausweisung

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Die Schweizer lehnten mit klarer Mehrheit eine Verschärfung des Ausländerstrafrechts ab, wie die rechtspopulistische SVP sie in ihrer "Durchsetzungsinitiative" gefordert hatte.

Eine herbe Niederlage für die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei SVP und ein Votum gegen unreflektierte Fremdenfeindlichkeit gab es am Sonntag in der Schweiz: Die „Durchsetzungsinitiative“ zur automatischen „Ausschaffung krimineller Ausländer“ wurde eindeutig abgelehnt. Nach Auszählung aller Stimmen lautete das Ergebnis am Abend: 41,1 Prozent der Abstimmenden votierten für die Initiative und 58,9 Prozent dagegen.

Das ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert und ein Kontrapunkt zur angeblichen allgemeinen Fremdenfeindlichkeit in Europa, weil die SVP in der Bundesversammlung – dem Parlament – mit Abstand die größte Partei ist (29,4 Prozent bei der Wahl 2015, auf Platz zwei lagen die Sozialdemokraten mit ca. 19 Prozent). Auch gab es nur in sechs der 26 Kantone bzw. Halbkantone Mehrheiten für das Begehren: in Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Appenzell Innerrhoden und im italienischsprachigen Tessin. Damit wurde auch das nötige „Ständemehr“ verfehlt.

Rekordverdächtige Beteiligung

Die Beteiligung lag bei für Schweizer Verhältnisse rekordverdächtigen etwa 62 Prozent. In einer zweiten Abstimmung wurde übrigens der Bau einer zweiten Straßenröhre durch den Gotthardtunnel bejaht.

Mit der Initiative wollte die SVP ihre bereits früher vom Volk angenommene Initiative zur Ausschaffung krimineller Fremder verschärfen. Künftig sollte die Ausweisung selbst bei Bagatelldelikten – freilich mithin erst im Wiederholungsfall oder bei Vorstrafen – automatisch erfolgen, ohne richterliche Überprüfung oder Ausnahmen für Eltern minderjähriger Kinder oder für Jugendliche. Damit wären die Grundrechte aller zwei Millionen in der Schweiz lebenden Ausländer, über ein Viertel der Wohnbevölkerung, eingeschränkt worden, meinten Kritiker. Zudem hätte die Initiative gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und andere Völkerrechtsverträge sowie das EU-Schweiz-Abkommen über die Personenfreizügigkeit verstoßen. Pendler aus dem Ausland, etwa aus Vorarlberg, hätten damit unter Umständen effektiv ihren Job in der Schweiz verloren.

Bei einer Umfrage im November hatten sich noch mehr als 60 Prozent für ein Ja ausgesprochen. Als „historischen Sieg der Bevölkerung über den totalitären Machtanspruch der SVP“ feierten daher die Schweizer Sozialdemokraten das Ergebnis. Die Gesellschaft sei „erwacht und hat klargemacht, dass sie Rechtsstaat, Minderheitenschutz und Menschlichkeit über Fremdenfeindlichkeit stellt“, so Parteichef Christian Levrat.

SVP beklagt „Gegnerschaft der Medien“

Die Kampagne für die Initiative, die angeblich über fünfmal mehr kostete als jene der Gegner, stellte sich als Opfer eines „nie da gewesenen einseitigen Abstimmungskampfes vonseiten der Medien, Richter, Professoren, staatlich subventionierten Kulturschaffenden und der Classe politique“ dar. Überdies bemühte sich die SVP um ihren Chefstrategen Christoph Blocher, die Niederlage zu beschönigen. SVP-Nationalrat Roger Köppel, Verleger der von der SVP gekauften Wochenzeitung „Weltwoche“, sagte, er könne mit der Niederlage „umgehen“ und sei nicht in die Politik gegangen, „um Liebe zu finden“. Am Ende sei er aber „begeistert über diesen Abstimmungskampf, über die Diskussionen, die zu der Initiative geführt wurden“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.02.2016)

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