Migration: Geheimdienst warnt

February 27 2016 Lesbos Greece A pile of lifejackets left behind by refugees and migrants who
February 27 2016 Lesbos Greece A pile of lifejackets left behind by refugees and migrants who(c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)
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Laut einem Bericht des Heeresnachrichtenamtes könnte die Dimension von 2015 „noch durchaus übertroffen werden“. Analysten des Dienstes sehen Aufrüsten der Schleppersyndikate in Ägypten.

Wien. Dass ein Papier des Auslandsnachrichtendienstes der Republik Österreich an die Öffentlichkeit dringt, kommt äußerst selten vor. Noch seltener sind derzeit nur Lagebilder und Prognosen zum Phänomen Migration. Eine der „Presse“ vorliegende Analyse des Heeresnachrichtenamtes (HNaA) für die Bundesregierung („Strategischer Lageausblick 2016“) bricht mit beiden Erfahrungen. Der Inhalt in einem Satz lautet: Das Ausnahmejahr 2015 war erst der Anfang.

Nun könnte man meinen, dass sich ein militärischer Nachrichtendienst gewöhnlich nicht mit Wanderungsbewegungen beschäftigt. Zu den ureigensten Aufgaben des HNaA gehört es jedoch, die Bundesregierung über strategische, die Existenz der Republik und ihre Sicherheit betreffende Felder zu informieren und zu beraten. Spätestens seit 2015 gehört auch Migration dazu.

Auf was müssen sich Politik, Verwaltung und Bürger im Vergleich zum Vorjahr einstellen? Nach Einschätzung des Nachrichtenamtes ist „ohne migrationsrelevante Veränderung an den Außengrenzen der EU eine Wiederholung des Migrationsszenarios des Jahres 2015 wahrscheinlich“. Zur Erinnerung: 90.000 stellten 2015 hierzulande einen Asylantrag, mehrere Hunderttausend durchquerten das Land. Die Analysten des Bundesheeres sahen sich für ihre Prognose die kontinentalen Migrationsströme des Vorjahres an, verglichen Rahmenbedingungen in den Herkunftsländern von damals mit jenen von heute und kamen zu dem Schluss: „Diese Dimension kann dabei noch durchaus übertroffen werden.“ Dafür nennt das Papier mehrere Gründe.

Afghanistan: 80.000 pro Monat

Während Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, auf die Kooperation mit der Türkei setzt, ist dieses Land für das HNaA „weder in der Lage noch gewillt“, die Vereinbarungen mit der EU zu erfüllen. Die Türkei ist Haupteinfallstor für den Landweg nach Europa. Dort halten sich drei Millionen Flüchtlinge auf, die wegen der Sicherheitslage in den Herkunftsländern Syrien, Afghanistan, Irak zum einen nicht zurückkehren, zum anderen nun aus der Türkei nach Europa drängen könnten.

Starken Zustrom erwartet das HNaA 2016 aus Afghanistan. Aktuell brechen dort pro Monat 80.000 Menschen nach Europa auf. Das Gesamtpotenzial für 2016 wird auf 800.000 bis 1,5 Mio. Personen geschätzt.

Von größerer Bedeutung für Europa könnte Afrika werden, dessen Migrationspotenzial das Amt wegen des Bevölkerungswachstums und der vielen regionalen Krisen als „unerschöpflich“ bezeichnet. Neben dem instabilen Libyen dürfte sich heuer vor allem Ägypten als Hafen für Schlepperboote entpuppen. Ebendort würden sich kriminelle Organisationen bereits intensiv vorbereiten.

Wird Mittelmeer wieder attraktiv?

Weiterführende Recherchen der „Presse“ bestätigten das. Die Gründe: Da sich zuletzt die Anzeichen für ein militärisches Einschreiten des Westens in Libyen verdichteten, könnte es ebendort auch für Schlepper schwieriger werden. Weiters vermuten Sicherheitsbehörden schon länger, dass einige führende Köpfe internationaler Syndikate von Ägypten aus die Fäden ziehen. Für Europa könnte diese Entwicklung ein ernstes Problem werden. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen verhielten sich die ägyptischen Behörden bisher nämlich wenig kooperativ.

Die verstärkten Grenzkontrollen entlang des Westbalkans könnten also schon bald zu einem Ausweichen des Migrationsstroms über das weitaus gefährlichere Mittelmeer, möglicherweise auch über das Schwarze Meer führen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2016)

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