Unser aller Privatheit hängt an einem iPhone 5c

Im Streit zwischen Apple und FBI geht es nicht um das Handy eines Attentäters. Es geht um die Frage, ob wir noch Geheimnisse haben dürfen.

Anfang der 1990er-Jahre gab es in den USA ein skurriles T-Shirt zu kaufen. Aufgedruckt waren Zahlen und Barcodes, darüber stand: „Dieses T-Shirt ist eine Waffe.“ Es war der Quellcode für ein Programm, das Daten und E-Mails verschlüsselt und das in den Augen der US-Regierung für die nationale Sicherheit so gefährlich war wie eine Atomwaffe.

Mit dem Kauf des T-Shirts konnte man den Schöpfer von Pretty Good Privacy (PGP), Phil Zimmermann, unterstützen, der einen teuren Rechtsstreit gegen die US-Regierung führen musste. Denn sie sah in seinem Verschlüsselungsprogramm, das er jedermann im Internet frei zugänglich zur Verfügung stellte, eine gefährliche Waffe, weil es schlicht zu gut für die Rechenkapazität der damaligen Computer war. Ende der 1990er-Jahre wurde das Verfahren plötzlich eingestellt. Offenbar hatte die National Security Agency (NSA) zu diesem Zeitpunkt die notwendige Computerpower, um den 128-Bit-Schlüssel in annehmbarer Zeit knacken zu können.

Heute benötigt das FBI laut dessen Direktor, James Comey, 26 Minuten, um den Passcode für ein iPhone mittels Brute-Force-Methode (des Testens verschiedener Codes in schneller Reihenfolge) zu knacken und auf alle Daten zugreifen zu können. Es sei denn, der Besitzer hat einen besonderen Schutz aktiviert, der nach zehn falschen Codes die Speicherkarte des Handys löscht. Und genau darum dreht sich der aktuelle Streit zwischen Apple und FBI in den USA.

Natürlich geht es in der Debatte schon lang nicht mehr um das iPhone 5c von Syed Farook, der im Dezember 2015 gemeinsam mit seiner Frau im kalifornischen San Bernardino 14 Menschen getötet hat, und das Anliegen des FBI, die Zehn-Code-Hürde zu löschen. Das 5c steht mittlerweile für die Grundsatzfrage, ob wir Bürger noch Geheimnisse vor dem Staat haben dürfen.

Heute will die Exekutive Zugang zu Handy und Cloud-Daten eines islamistischen Terroristen, morgen vielleicht schon zu denen eines verdächtigen Straßenräubers und übermorgen eines Regierungskritikers. Wenn Apple den Behörden in den USA entgegenkommt, die Funktion löscht und vielleicht sogar eine Hintertür für die Exekutive in seine Telefone einbaut, warum soll es dann ein ähnliches Anliegen Chinas oder Saudiarabiens ablehnen können? Wer im Ausland als Freiheitskämpfer gefeiert wird, ist für viele nationalen Gerichte dieser Welt ein Terrorist.

Als es um die Rechtmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung in Österreich ging – jener Daten, die zeigen, wer wann mit wem telefoniert und wer sich wann an welchem Ort aufgehalten hat –, verwiesen die Behörden auf die Harmlosigkeit dieser Daten. Doch Weißrusslands Präsident, Alexander Lukaschenko, nutzte im Dezember 2010 genau diese Verbindungsdaten, um festzustellen, wer auf dem Oktoberplatz in Minsk gegen ihn demonstriert hatte. Hunderte Aktivisten wurden in der Folge wegen staatsfeindlicher Umtriebe verhaftet.


Die Verfechter eines mächtigen Staates erklären stets, dass derjenige, der nichts zu verbergen habe, ja auch nichts zu befürchten habe. Doch der Staat hat sich unser grundsätzliches Misstrauen verdient – das zeigt nicht nur das Beispiel von Diktator Lukaschenko, das zeigt auch das Beispiel des Tierschützerprozesses in Wiener Neustadt vor einigen Jahren. Damals hat die Staatsanwaltschaft einen vom Gesetzgeber speziell nur für Ermittlungen gegen die Mafia und gegen Terroristen erlassenen Paragrafen so zurechtgebogen, um mit ihm gegen Tierschützer vorgehen zu können.

Gerade in unseren Zeiten, in denen Geheimdienste alles und jeden überwachen, Internetfirmen wie Google oder Apple auch intimste Daten von uns speichern und Privatheit nur noch ein frommer Wunsch zu sein scheint, müssen wir Geheimnisse haben können. Auch und gerade vor dem Staat. Dass die Exekutive möglicherweise nicht weiß, mit wem ein Terrorist in den letzten Minuten vor einem Attentat telefoniert oder gemailt hat, ist ein Preis, den wir dafür zahlen müssen. Er ist es wert.

E-Mails an: norbert.rief@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2016)

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