Doskozil im größten Wartezimmer der Flucht

Minister Doskozil im Flüchtlingslager in Jdita.
Minister Doskozil im Flüchtlingslager in Jdita.(c) Pusch
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Mindestens ein Viertel der Bewohner im Libanon sind Flüchtlinge. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) will, dass die EU-Staaten dem Land mehr Aufmerksamkeit schenken. Auch Österreich.

Kurz bevor er das Zelt betritt, klopft er einmal an. An einem Holzpfahl – denn Haustür gibt es keine. „Ist jemand hier?“, ruft der Caritas-Mitarbeiter in den Raum. Eine Antwort bekommt er allerdings nicht.
Die Bewohner sind längst raus aus ihrer Unterkunft: Wenige Meter neben ihrem Zelt haben sie sich versammelt, zusammen mit drei Dutzend anderer Personen. Mittendrin lugt der Grund für all den Trubel hervor: Hans Peter Doskozil (SPÖ), hauptberuflich Verteidigungsminister in Österreich, an diesem Nachmittag Ventil für Sorgen und Ängste der Campbewohner.

Der Heeresminister war bis am Freitag auf Auslandsbesuch im Libanon. Nicht nur, um die österreichischen Soldaten zu besuchen, die im Süden des Landes stationiert sind. Sondern auch, um sich ein Bild der Lage von Flüchtlingen vor Ort zu machen.

"Können Sie mir helfen?"

Vor Ort, das ist in diesem Fall ein Zeltlager in Jdita, nur 50 Kilometer vom syrischen Damaskus entfernt. 150 syrische Flüchtlinge leben hier auf zwei Dutzend Zelte verteilt zusammen. 64 davon sind Kinder.

Einige von ihnen beobachten jetzt das Treiben rund um den ausländischen Gast: Ein paar Syrer haben sich vorbereitet und eine Schüssel Reiskörner mitgebracht. Den Inhalt werfen sie nun auf den Minister, ein Willkommensgruß.

Dann kommen die Flüchtlinge auf Doskozil zu. „Können Sie mir helfen, nach Deutschland zu kommen? Mein Mann ist dort“, fragt eine Frau. Ein Syrer erzählt dem Minister, dass seine Kinder in Aleppo gestorben sind. Ein weiteres im Camp, es wurde nicht genügend medizinisch versorgt.

Ein Camp von 1700

Doskozil lässt sich das Gesagte übersetzen. Dann fragt er in die Runde: „Dürfen Sie arbeiten? Gehen die Kinder in die Schule?“ Beides verneinen die Menschen hier im Flüchtlingslager. „Und wenn es Frieden gäbe, würden Sie dann nach Syrien zurück?“, fragt er weiter. Ja, antwortet eine Frau. Aber nicht jeder hier stimmt ihr zu.

Das Camp steht stellvertretend für rund 1700 anderer solcher Lager, die im Libanon verteilt sind. Aber nur zwanzig Prozent der Flüchtlinge, die sich in dem Land befinden, leben in den kleinen Zeltstädten. Der Rest befindet sich im urbanen Gebiet, mietet Garagen oder Baracken, und teilt sich den Wohnraum mit der ärmsten Bevölkerung im Libanon.

Wie viele es sind, die Libanesen und die Flüchtlinge, kann allerdings niemand beziffern. Rund 1,1 Millionen Schutzsuchende sind im Land registriert, die Dunkelziffer schätzt man auf mindestens zwei Millionen. Die libanesische Bevölkerung soll von 4,6 bis 6 Millionen Einwohner reichen – in einem Gebiet, das nicht größer als Oberösterreich ist.

„Das geht an die Nieren“

„Das ist eine immense Belastung“, meint Doskozil. Die Hilfsorganisationen bräuchten mehr Geld, um Bildung, das Gesundheitswesen, Wasseraufbereitung sicher zu stellen. Nur so könnte man den Menschen eine Perspektive bieten, nicht weit von ihrer alten Heimat Syrien entfernt.

Dass die EU-Mitgliedsstaaten, auch Österreich, verstärkt und schneller helfen müssten, gibt Doskozil zu. „In der praktischen Entwicklung sind wir immer zwei bis drei Schritte zu langsam.“ Erst vergangenen Dienstag beschloss die Regierung, den Libanon mit drei Millionen Euro zu unterstützen. Ein Tropfen auf dem Heißen Stein, gibt man auch hier zu.

In Zukunft will Doskozil „ein Sprachrohr“ für den Libanon auf EU-Ebene sein. Warum das so ist, ist klar. Je besser die Flüchtlinge im syrischen Nachbarland versorgt werden, desto weniger machen sich in Richtung Europa auf. Die österreichische Regierung hat ohnehin entschieden, nicht mehr als 37.500 Asylanträge in diesem Jahr anzunehmen. Und ein Drittel des Kontingents ist bereits verbraucht.

Das Limit in Wien hinterfragt er nach seinem Besuch im Libanon, wo jeder Vierte ein Flüchtling ist, allerdings nicht. „Natürlich sind es Eindrücke, die an die Nieren gehen“, meint er. „Aber man muss auch Abstand gewinnen und die Gesamtsituation betrachten.“ Eine europäische Lösung stehe immer noch im Vordergrund, trotz der nationalen Maßnahmen. Außerdem würden viele europäische Länder zu wenige Flüchtlinge aufnehmen. Ein Teil der Lösung seien auch Rückführungen von Menschen, mit einer Unterstützung für die Neuansiedelung.

90 Euro Miete für ein Zelt

Während der Minister sich langsam wieder auf den Weg von Jdita in Richtung Beirut macht, gehen die Bewohner zurück in ihre Zelte. Amira, eine 18-Jährige aus Homs, zeigt dem Caritas-Mitarbeiter nun doch ihr Zuhause. Seit drei Jahren lebt sie bereits hier. Knapp 90 Euro zahlen sie und ihr Mann dafür im Monat. Das Geld bekommt der Besitzer des Feldes, auf dem die Zelte stehen. Um sich das Leben hier zu finanzieren, arbeitet Amiras Mann – schwarz natürlich, denn Arbeitserlaubnis erhalten Syrer hier nicht.

Pro Tag verdient man hier um die zwei Euro. Kinder besuchen meist nicht die Schule – sie streichen Häuser, bekommen täglich 60 Cent dafür. Etwas Hilfe, für Essen und Beheizung, erhalten die Syrer von den NGOs.

Was Aminas Pläne für die Zukunft sind? Am liebsten zurück nach Syrien gehen, irgendwann, sagt sie. Ihr Mann möchte allerdings nach Deutschland. Von Österreich habe sie noch nie etwas gehört, von Deutschland wisse sie aber auch nicht viel. „Ich will aber auch nicht hin. Ich bleibe hier."

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