Der Siegeszug von Ayurveda, Alchemie und Yoga

Indologie.Indische medizinische Texte sind bis zu 2000 Jahre alt: In ihnen spiegeln sich viele Geistesströmungen. Dagmar Wujastyk übersetzt und analysiert Sanskritschriften ab dem Mittelalter, die die Welt bis heute beeinflussen.

Die deutsche Indologin und Expertin für die Geschichte der südostasiatischen Medizin Dagmar Wujastyk forscht seit dem Frühjahr 2015 an der Universität Wien. Zuvor war sie in Zürich tätig. Mit im Gepäck hatte sie den mit 1,4 Millionen Euro dotierten ERC Starting Grant der Europäischen Union für ihr Forschungsprojekt „Medicine, Immortality, Moksha“. Darin erforscht sie historische Quellen, die in der altindischen Sprache Sanskrit verfasst sind, aber auch moderne Dokumente, die in den indischen Amtssprachen Hindi und Englisch geschrieben wurden.

Konkret geht es Wujastyks dreiköpfigem Team um eine historisch-philologische Studie dreier indischer Disziplinen: erstens um die medizinischen Texte des Ayurveda, die bis zu 2000 Jahre alt sind. Zweitens um die ab dem zehnten Jahrhundert aufkommende alchemistische Literatur, in der es darum geht, Elixiere mit magischer Wirkung, aber auch medizinische Mittel herzustellen. Drittens um Hatha-Yoga-Schriften, die ab etwa dem 15. Jahrhundert niedergeschrieben wurden. Hierbei soll der Körper spirituelle Ziele erreichen.

Die Vermischung der Lehren

Die drei Genres sind nicht willkürlich gewählt, denn sie standen in Wechselwirkung: So gibt es etwa in der frühen Yogaliteratur medizinische Ansätze, die auch in ayurvedischen Sammelbänden zu finden sind. Die indischen Alchemisten stellten Pharmazeutika aus mineralischen und metallischen Rohstoffen, wie Quecksilber oder Blei, her. Diese Verfahren flossen auch in die ayurvedische Arzneikunde ein, die zuvor nur mit pflanzlichen Mitteln ihre Medizin erzeugte.

Es steht fest, dass sich die drei indischen Philosophien gegenseitig beeinflussten und zum Teil vermischten. Die genaue Auswirkung auf die medizinischen Praktiken ist ein Teil der Forschungsfrage.

Die Indologen konzentrieren sich zwar auf die altindischen Texte, sie wissen aber, dass diese im regen Austausch zwischen der indischen, arabisch-persischen und chinesischen Medizin standen. Wer wen wie beeinflusste, ist nicht ganz klar. Europa gelangte jedenfalls über die Griechen zu dem alten Wissen, die Texte vom arabisch-persischen Raum übersetzten.

Wujastyk konzentriert sich stark auf die Hatha-Yoga-Schriften, in denen es heißt, dass durch Körperhaltungen und Atemtechniken jede Krankheit überwunden wird. In späteren Schriften werden einzelne Übungen mit bestimmten Krankheiten verbunden. „Die frühen Texte richteten sich wahrscheinlich nicht an Gelehrte“, sagt die Indologin. Erst ab dem 17. Jahrhundert bündelten Sammelbände das Wissen der Zeit – ähnlich wie die Ayurveda-Schriften Hunderte Jahre zuvor. Das macht sie erst zum Teil der Gelehrtendiskussion.

Yoga wirkt in jeder Religion

Generell lässt Yoga vieles zu, es ist nicht streng kanonisch. „In den frühen Texten steht, dass es egal sei, welcher Religion man angehöre“, sagt Wujastyk. Yoga kann bis heute vielseitig ausgelegt und von jedem betrieben werden.

Der globale Siegeszug begann spät. Die ersten Gurus tauchten in der westlichen Welt Ende des 19. Jahrhunderts auf. Der durchschlagende Erfolg der alten indischen Medizin begann erst vor gut 70 Jahren. Ayurveda und Co. sind inzwischen anerkannt, jedoch nicht so sehr wie die Schulmedizin – auch nicht in Indien. „Speziell bei akuten Krankheiten und Operationen bevorzugen Inder das moderne Krankenhaus, sofern sie es sich leisten können“, sagt Wujastyk. (por)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.