Schon lang steht die Regierung Tsipras wegen des mangelhaften Außengrenzschutzes in der Kritik. Nun gibt es Geld und Personal – aber auch ein Ultimatum.
Wien/Brüssel. Vom unerbittlichen Partner zum einzigen Verbündeten – aus Sicht der Athener Regierung hat sich Deutschlands Rolle seit der Eurokrise dramatisch gewandelt: Geben viele Mitgliedstaaten Griechenland wegen des mangelhaften Schutzes der EU-Außengrenze und des monatelangen „Durchwinkens“ die (Haupt-)Schuld am Flüchtlingschaos in Europa, hält sich Angela Merkel mit kritischen Worten zurück. Im Gegenteil: Griechenland dürfe nicht im Stich gelassen werden, mahnte sie – und versprach Alexis Tsipras beim jüngsten EU-Gipfel gar, die Grenzen nach Norden würden bis März geöffnet bleiben.
So kam es bekanntlich nicht. Durch die De-facto-Sperre der Balkanroute ist das Mittelmeerland mit einem dramatischen Flüchtlingsrückstau konfrontiert. Innerhalb von nur 24 Stunden wurden zuletzt 3000 Migranten registriert – insgesamt sind in ganz Griechenland über 36.000 Menschen in Aufnahme- und Registrierlagern untergebracht; dreimal so viele könnten es bis Monatsende werden. Laut der Regierung in Athen kann aber nur jeder 50. Ankömmling für einen längeren Verbleib aufgenommen werden – dies entspreche Wirtschaftskraft und Größe der Bevölkerung.
Tsipras läuft also die Zeit davon – und er will, sollte sich die Situation nicht bessern, zu drastischen Mitteln greifen: Sogar ein Veto bei wichtigen EU-Entscheidungen steht im Raum. So könnte etwa die weitere EU-Annäherung von Beitrittskandidaten blockiert werden, aber auch Entscheidungen über Subventionen für einzelne Mitgliedstaaten, drohte Tsipras.
Um eine Eskalation abzuwenden und das Land vor einer humanitären Katastrophe zu bewahren, hat die Kommission für dieses Jahr ein Nothilfepaket in Höhe von 300 Millionen Euro geschnürt. Die Mitgliedstaaten wollen das Geld noch beim nächsten regulären EU-Gipfel Ende kommender Woche absegnen. Zu einer „Beschleunigung der Umsiedlung“ von Schutzbedürftigen aus Griechenland, die Tsipras als „absoluten Notfall“ bezeichnet hatte, erklärten sich die EU-Partner bereits bei ihrem gestrigen Sondertreffen bereit. Doch die bisherigen Zahlen geben wenig Anlass zur Hoffnung. Knapp 5000 Plätze haben die Hauptstädte für die Flüchtlinge bisher angeboten, lediglich ein paar Hundert wurden verteilt. Auch das Management an der Außengrenze und in den Verteilzentren auf den Ägäis-Inseln soll endlich in geordnete Bahnen gelenkt werden: Die EU-Länder wollen zusätzliche Beamte für einen Frontex-Einsatz entsenden.
Die Kommission hat der Regierung in Athen indes ein Ultimatum gestellt: Am 12. Mai will die Brüsseler Behörde bilanzieren, ob der Schutz der Außengrenze endlich funktioniert. „Sollten wir bis dahin keinen Erfolg erkennen, werden wir, ohne zu zögern, die Voraussetzungen für verlängerte Grenzkontrollen in Europa schaffen“, mahnte der griechische Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos. (aga/ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2016)