Gesamtschule:"Grün-Wähler sollen ihr Kind hinschicken"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ex-Uni-Minister Karlheinz Töchterle darüber, warum er bei der Gesamtschule keinen Zwang will, über den Reiz einer Modellregion in Vorarlberg, warum sich Fächer nicht aus der Uni boxen lassen wollen, und wann er Pech hatte.

Die Presse: Für Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) ist jetzt doch vorstellbar, ganz Vorarlberg den gewünschten Gesamtschulversuch zu ermöglichen. Als einer, der jetzt in Tirol an der Umsetzung der Modellregionen arbeitet: Wie finden Sie das?

Karlheinz Töchterle: Vorarlberg ist ein Sonderfall mit einer breiten Zustimmung der Parteien. Wie breit diese in der Bevölkerung wirklich ist, steht trotz der vorliegenden Studie durchaus noch infrage. Das dort im ganzen Bundesland auszuprobieren hätte einen gewissen Reiz. Aber man sollte es jedenfalls nicht gegen den Willen der Betroffenen tun und müsste es auch sauber evaluieren.

Wäre ein flächendeckender Versuch auch für Tirol vorstellbar?

Nein, in Tirol haben wir eine ziemlich andere Ausgangslage.

Über die 15-Prozent-Grenze, die für Gesamtschulversuche gelten soll, wurde auch gestritten. Halten Sie diese für wichtig?

Die Grenze ist natürlich eine Kompromissformel. Ich nehme an, dass die ÖVP nur mit einer quantitativen Begrenzung zustimmen konnte. Sie bildet schließlich diesen Damm gegen die Gesamtschule, den viele auch schätzen.

Tirols und Vorarlbergs ÖVP forcieren die Gesamtschule, für die Wiener ist sie des Teufels. Was will denn die ÖVP?

Es gibt in der ÖVP tatsächlich diese Bandbreite. Die Kritik daran kann ich nicht ganz nachvollziehen: Einerseits beklagt man blockartige Parteien und Klubzwang. Und wenn eine Partei vielfältiger, bunter und offener ist, ist das plötzlich auch schlimm.

Viele waren ziemlich überrascht, als bekannt wurde, dass Sie an den Gesamtschulversuchen mitarbeiten würden. Sie waren ja immer gesamtschulkritisch. Hat sich da etwas geändert?

Überhaupt nicht. Ich wollte immer, dass sich die ÖVP der Debatte öffnet. Man kann dieses Anliegen, das viele Menschen vor allem auf der linken Seite des politischen Spektrums haben, nicht einfach wegschieben. Und es gibt Probleme, vor allem in den Ballungsräumen. Ein Lösungsweg kann eine neue Schulform sein. Es war aber nie meine Intention, deshalb das Gymnasium infrage zu stellen.

Eine Gesamtschule auszuprobieren, ohne das achtjährige Gymnasium infrage zu stellen: Das ist doch ein Widerspruch in sich.

Das sehen fast alle so. Ich nicht. Ich bin für ein Sowohl-als-auch. Die Grün- und SPÖ-Wähler wollen so eine neue Schule. Dann sollen sie ihr Kind hinschicken. Und man wird sehen, ob das etwas Gescheites ist. Wenn ja, kann es Erfolg haben. Und dann kann es auch sein, dass sie in ferneren Zeiten in der Tat die Einheitsschule wird.

Und also die AHS ablöst.

Das muss sich eben herausstellen. Wenn diese Schule nicht erfolgreich ist, was viele prognostizieren und was auch plausibel ist, wenn man sie nicht gut macht, entsteht genau das, was niemand wollen kann: teure private Gymnasien, in die die Vermögenden ihre Kinder schicken. Deshalb muss sie für sich selbst sprechen. Die Leute müssen das Gefühl haben, dass ihnen etwas Spannendes, Neues geboten wird. Und nicht, dass ihnen das Gymnasium weggenommen wird.

Sie klingen skeptisch.

Ich bin nicht skeptisch. Ich bin fürs Ausprobieren. Aber gegen eine Zwangsgesamtbeschulung.

Anderes Thema: Wie nehmen Sie die Uni-Politik wahr?

Finanziell gesehen hat sie sich passabel entwickelt. Es ist immer zu wenig, das wissen wir ohnehin. Aber es gab ein deutliches Plus und auch ein paar gute Novellierungen, etwa für den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Was passt denn nicht?

Wie beim Geld könnte es auch in anderen Punkten immer mehr sein. Aber Mitterlehner hat jetzt ja gerade auch eine Diskussion angestoßen, wohin sich die Hochschullandschaft entwickeln soll.

Er hat gesagt: Es habe nie eine intensive Diskussion über die Zukunftsausrichtung der Hochschulen gegeben. Haben Sie das als Kritik an Ihnen empfunden?

Nein. Die Diskussion hat es immer gegeben. Wir haben einen Hochschulplan gebastelt und darin etwa einen Bauleitplan konkret festgemacht. Was ist das, wenn nicht über die Zukunft zu reden?

Hätte nicht auch die Frage, welche Fächer es wo braucht, stärker diskutiert werden müssen?

Das ist immer diskutiert worden. Dass es zu keiner Änderung gekommen ist, steht auf einem anderen Blatt. Und angesichts der ersten Reaktionen bezweifle ich auch, dass die jetzige Diskussion zu großen Änderungen führt.

Wozu diskutiert man das dann?

Wenn man exzellente Unis haben will, muss man überlegen, wie sie exzellent werden. Und da scheint die Massenuniversität ein Hemmschuh zu sein. Die Fachhochschulen könnten da ein Entlastungsfaktor sein, wobei ich sie keineswegs darauf reduziere.

Aber Sie glauben, dass da nicht sonderlich viel passieren wird.

Weil es Beharrungskräfte gibt, vor allem an den Unis. Die Universität gilt, vielfach auch zu Recht, als das qualitativ Höherstehende. Deshalb will kein Fach sich gern aus der Uni boxen lassen und Fachhochschulfach sein, so gut und tüchtig die Fachhochschulen auch sind. In der Wahrnehmung sind sie – oft auch zu Unrecht – unterhalb der Universitäten.

Was tun gegen diese Kräfte?

Das Einzige, was man tun kann: über Anreizsysteme arbeiten, um Unis dazu zu motivieren, Teile ihres Betriebs an die Fachhochschulen auszulagern. Ob man damit finanziell viel gewinnt, ist die Frage. Aber probieren kann man es.

Sie sind seit gut zwei Jahren nicht mehr Wissenschaftsminister. Rückblickend: Was hätten Sie damals anders machen sollen?

Ich war trotz allen Vorwissens eher unbewandert, was die Feinheiten des politischen Geschäfts anging. Ich hätte bei manchen Dingen energischer sein müssen, etwa beim ÖH-Wahlrecht. Mir war klar, dass das verunglückt war. Aber ich habe zu sehr den Bremsern zugehört.

Einmal waren Sie sehr energisch: als Sie den Unis nahelegten, autonom Studiengebühren einzuheben. Und dann sind Sie damit beim VfGH abgeblitzt und mussten den Unis das Geld erstatten.

Ich habe alles auf diese Entscheidung gesetzt, und sie ist dann sehr knapp gegen mich ausgegangen. Da habe ich Pech gehabt.

Würden Sie es trotzdem wieder so machen wie damals?

Hätte ich damals Erfolg gehabt – und der hing an einem seidenen Faden –, hätte ich eine sensationelle Bresche hineingeschlagen. Und das war mir das Risiko wert. Leider habe ich verloren.

ZUR PERSON

Karlheinz Töchterle (66) war von 2011 bis 2013 Wissenschaftsminister für die ÖVP. Seit der Fusion von Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium ist der Exrektor der Uni Innsbruck Wissenschaftssprecher im Parlament. Töchterle ist Mitglied der Steuerungsgruppe, die in Tirol den Ausbau der Gesamtschulmodellregionen vorantreiben soll. Die Gruppe wird klären, wo es Versuche geben soll und wie diese aussehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2016)

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