Pekings neue Offenheit: „Glasnost à la chinoise“?

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In der Xinjiang-Krise testet China eine neue Informationspolitik – fürs Ausland, nicht den Hausgebrauch.

Der Deckel ist wieder auf dem Kochtopf. Dafür sorgt allein schon die schiere Masse an Polizisten, paramilitärischen Anti-Aufruhr-Einheiten und Soldaten, die die Führung in Peking nach Xinjiang beordert hat. Wer in der dortigen Hauptstadt Urumqi weiter Unruhe stiften will – ob Uigure oder Han-Chinese –, wird sich dies zweimal überlegen.

Freilich, drinnen im Kochtopf Xinjiang brodelt es weiter. Zum Empfinden vieler Uiguren, politisch und kulturell unterdrückt, wirtschaftlich und sozial benachteiligt zu sein und durch die permanente Zuwanderung von Han-Chinesen immer mehr an den Rand gedrängt zu werden, kommt ein weiteres gefährliches Element: die Rachegefühle von Han-Chinesen. Offenbar bilden nämlich Han-Chinesen die Mehrheit der offiziell 156 Opfer der blutigen Unruhen am 5. Juli, in den Straßen Urumqis ermordet vom uigurischen Mob.

Über die Identität der Opfer schweigen die offiziellen Stellen bisher – offenbar wollen sie kein weiteres Öl ins Feuer des ethnischen Hasses gießen. Ansonsten aber haben die vergangenen Tage einen geradezu sensationellen Schwenk chinesischer Informationspolitik gebracht, zumindest für ausländische Berichterstatter.

Während bei den Unruhen in Tibet im März 2008 die wenigen ausländischen Reporter in Lhasa sogleich abreisen mussten und Tibet für die internationalen Journalisten zur verbotenen Zone wurde, durften dieses Mal Korrespondenten aus Peking sofort in die Unruheregion reisen; zu den ersten vor Ort zählte „Presse“-Korrespondentin Jutta Lietsch. Sie alle durften sich in Urumqi bewegen und Interviews machen. Auch gestern waren sie Zeugen der Auflösung uigurischer Demonstrationen vor Moscheen. Die Behörden hatten aus Angst, das Freitagsgebet könnte Auslöser neuer Proteste sein, diese islamische Praxis verboten.

Offenbar haben die Machthaber in Peking erkannt, dass ihren Interessen durch die Ermöglichung einer einigermaßen freien Berichterstattung aus einem Krisengebiet viel besser gedient ist als durch eine strikte Aussperrpolitik. Auch Diplomaten berichten, dass sie im Fall Xinjiang ins Außenministerium in Peking gebeten worden seien und dort sachlich über die Geschehnisse in Urumqi informiert worden seien.

Bedeutet das, dass sich in der Volksrepublik China eine neue Politik der Offenheit, eine Art chinesische „Glasnost“, gar eine neue, vielleicht liberalere Politik gegenüber Minderheiten abzeichnet? Darüber können Beobachter nur spekulieren, denn die Diskussionen im inneren Pekinger Führungskreis laufen geheim ab wie immer. Man kann aber zumindest davon ausgehen, dass es in der Minderheitenfrage eine „Falken“- und eine „Tauben“-Fraktion gibt: die Hardliner, die argumentieren, dass ethnischen Unruheherden wie Tibet und Xinjiang nur mit eiserner Hand begegnet werden kann; die Realisten, die den Minderheiten mit weiteren Förderungsprogrammen entgegenkommen wollen, um ihrer Entfremdung vom Rest des Landes entgegenzuwirken.

Man soll sich nicht täuschen lassen: Weder Staats- und Parteichef Hu Jintao noch der mächtige Parteichef von Xinjiang, Wang Lequan (er sitzt auch im Politbüro in Peking), sind „Tauben“. Dass nach Ausbruch der Unruhen in Urumqi sogleich wieder „Kräfte“ im Ausland verantwortlich gemacht wurden und dass die Berichterstattung über die Unruhen in China selbst keineswegs von den Fesseln der Zensur und der staatlichen Steuerung befreit wurden, deutet auch nicht gerade auf „Glasnost à la chinoise“-Politik hin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2009)

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