Am Sonntag wird die Alternative für Deutschland Erfolge feiern. Damit endet eine erfolgreiche CDU-Strategie, die europäische Normalität kehrt ein.
Medien und die dazugehörigen Journalisten inszenieren ihr Handwerk naturgemäß mit gebotener Dramatik, jeder noch so kleine regionale Urnengang wird da gern zur Schicksalswahl stilisiert. Meistens ändern die Wahlresultate nichts bis kaum an der politischen Realität. Wir kennen das aus Österreich: Egal, wie viel die Sozialdemokraten gerade irgendwo verlieren, Werner Faymann lächelt gemütlich aus dem Kanzleramt. In Deutschland stehen am Sonntag drei Landtagswahlen an, die von vielen Beobachtern zur Entscheidung über Angela Merkel und natürlich ihren Kurs in der Flüchtlingsfrage gedeutet werden. Das ist falsch.
Richtig ist vielmehr, dass Merkel rein machtpolitisch nicht sehr viel verlieren kann. Sachsen-Anhalt wird die CDU mit ziemlicher Sicherheit halten und dann wohl wieder mit Reiner Haseloff den Ministerpräsidenten stellen. In Baden-Württemberg ist der Landeschef ebenfalls gesetzt: Winfried Kretschmann ist der Alexander Van der Bellen Deutschlands. Der großväterliche Biedermann kandidiert für die Grünen, wirkt bürgerlich und verleitet höchstens die eigene Partei dazu, von einem bundespolitischen Erfolg der Grünen zu träumen. Und in Rheinland-Pfalz hat Julia Klöckner Chancen, der SPD eine Koalitionsregierung in Mainz abzunehmen. Also alles entspannt für die Kanzlerin?
Nicht ganz. Sowohl in Sachsen-Anhalt als auch – eleganter – in Rheinland-Pfalz sind die Spitzenkandidaten der CDU klar auf Distanz zur Wir-schaffen-das-Linie Merkels gegangen. Vor allem aber wird ein klarer Wahlsieger für Aufregung in den Medien und leichte Panik in den Unionsparteien sorgen: Die Alternative für Deutschland wird wohl am Sonntagabend feiern. Mit dem zu erwartenden triumphalen Einzug in die Landtage greift erstmals eine erfolgreiche und in Europa einigermaßen einzigartige Strategie der Union nicht mehr, rechts der Union gab es nie einen Platz, den gibt es nun für die obskuren AfD-Wutpolitiker. Angela Merkel hat sich – und eben nicht nur in der Flüchtlingsfrage – politisch nach links bewegt und damit die SPD erfolgreich verkleinert. Chancen bietet diese Ausrichtung vor allem auch für die tot geglaubte FDP, die nun hoffentlich wieder zurückkehrt. Schon bei der Abstimmung über Abschiebungen für straffällig gewordene Ausländer haben in der Schweiz bürgerliche Kräfte mit einem Weg der Vernunft punkten können: Zwischen naiver linker Träumerei und Hetze waren es die Liberalen, die sachlich und differenziert argumentierten und den Erfolg der Rechtspopulisten verhinderten. In den drei deutschen Bundesländern wird dies am Sonntag wohl nicht gelingen. Wie in fast allen europäischen Ländern werden die Rechtspopulisten zu einem politischen Machtfaktor – im Vergleich auf noch sehr niedrigem Niveau. Zu derb sind Aussagen der AfD-Repräsentanten, zu schlecht die Organisation, aber das kann sich ändern.
Aber der Zugewinn dieser Partei ist ohnehin der Stimmung in Deutschland geschuldet, wo offenbar immer mehr Bürger mit der Flüchtlings- und somit wohl Einwanderungspolitik der Kanzlerin unzufrieden sind. Dennoch steht nicht zu erwarten, dass Merkel diesen Kurs allzu offen ändern wird. Zu oft hat sie ihn in den vergangenen Wochen bekräftigt. Auch die viel beschworene Möglichkeit einer baldigen Palastrevolte ist wohl eher nicht zu erwarten. Dafür fehlt erstens noch der Kopf der Verschwörer, zweitens hat Merkel – das ist zynisch, aber wahr – Helfer in den südosteuropäischen Staatskanzleien: Es sind die Regierungen Österreichs und der Balkanstaaten, die mit ihren Grenzsperren verhindern, dass täglich Tausende über die deutsche Grenze kommen und die passenden Nachrichten gesendet werden.
Das verschafft Merkel trotz eines künftig noch mehr schwächelnden Koalitionspartners in Berlin und einer weiterhin zornigen CSU in Bayern Luft, die sie dringend benötigt. Nur Merkel kann schaffen und beenden, was sie de facto allein begonnen hat: ihre europäischen Partner dazu zu bekommen, bei der Verteilung der Flüchtlinge sowie dem Schutz der Außengrenze gemeinsam endlich an einem Strang zu ziehen. Schafft sie das nicht, sind Merkel und ihre Idee von Europa gescheitert. Und dann würde sie von allein gehen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2016)