Die Frau, die uns das Aufräumen erklärt

(c) Michaela Bruckberger
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Magic Cleaning, so nennt die Japanerin Marie Kondo ihre Methode für mehr Ordnung im Leben. So wird banales Aufräumen zu einem Erlebnis, verspricht sie. Und hat viele Anhänger.

Es kann zur Grundsatzfrage werden, die über Beziehungen entscheidet. Sie, chaotisch, unorganisiert, türmt Wäscheberge im Schlafzimmer und Papierstößchen auf allen freien Flächen in der Wohnung. Eigentlich möchte sie mehr Ordnung halten, schafft es aber nicht. Er, von klein auf bestens organisiert, faltet penibel seine Wäsche und ordnet sie nach Farben.

Ist man nicht bereit, den anderen zu akzeptieren, war's das wohl mit der trauten Zweisamkeit – zum Preis für weniger Chaos in der Wohnung. Oder man versucht, gemeinsam eine Lösung zu finden, die eigene Chaos-Schmerzgrenze zu überdenken und dem Partner nahezulegen, sich etwas mehr mit Ordnung auseinanderzusetzen. Und es könnte sein, dass man genau dann auf Marie Kondo stößt.

Die 30-jährige Japanerin ist so etwas wie ein Superstar des Aufräumens (nicht Putzens, das sind zwei verschiedene Dinge). Das „Time Magazine“ hat sie 2015 sogar zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt gezählt. Weil Marie Kondo weiß, wie man Unwichtiges von Wichtigem sortiert. Das gilt für Kleider und Bücher, für Dokumente und Kabel. Dabei verspricht sie nicht nur eine ordentlichere Wohnung, sondern auch nichts weniger als ein besseres Leben.

Eigene Methode. Dafür hat sie ihre eigene Methode, Kon-Mari, entwickelt, die nach einfachen Regeln funktioniert. Die Grundregel und damit das Herzstück der gesamten Philosophie: Wer aufräumt, darf nur behalten, was einen glücklich macht. Wer etwa den Kleiderkasten sortiert, muss jedes Stück in die Hand nehmen (nur anschauen gilt nicht) und sich danach entscheiden: behalten oder wegwerfen. Rund zwei Drittel der Sachen, sagt Kondo, werden erfahrungsgemäß weggegeben. Bleibt natürlich mehr Platz für die, die da bleiben. Die Dinge, die zu ordnen sind, teilt sie in Kategorien. Anfangen soll der gewillte Aufräumer grundsätzlich mit Kleidung, dann weitermachen mit Büchern (ja, auch diese müssen zum Teil weg), Papier, Kleinzeugs und sich zum Schluss den Erinnerungsstücken widmen.

Von Ordnungssystemen hält sie wenig. Übrigens auch davon, Kleider aufzuhängen. Erwünscht sind Laden, Schachteln und Regale. Diese sollten immer zu 90 Prozent voll sein, weil sich sonst wieder Unordnung einschleicht. Kleidungsstücke stapelt Kondo nicht übereinander, sondern ordnet sie aufrecht stehend nebeneinander. Wie in einem Bücherregal. So würde man ständig sehen, was man hat, während die Stapel die Sicht versperren und Platz kosten, lautet ihr Argument.

Auch beim Zusammenlegen hält sich Kondo nicht an gängige Regeln. Sie faltet alles, sooft es geht. Das zerknittere die Wäsche nicht zusätzlich, argumentiert sie. Denn die Falten würden durch das Gewicht von anderen Kleidern entstehen, wenn man diese stapelt. Zu guter Letzt soll jedes Stück seinen Platz haben, an den es immer wieder zurückgebracht werden muss.

Zur richtigen Zeit. Was wie ein neuer Hype in der unübersichtlich gewordenen Ratgeberecke („Wie werde ich schlank, reich, klug, erfolgreich etc.?“) klingt, hat erstaunlich viele Anhänger. Ihre Bücher (das neueste, „Spark Joy“, ist soeben auf Englisch erschienen) wurden in 27 Sprachen übersetzt und bereits sieben Millionen Mal verkauft. Kondo wird für Google gebucht, um den Mitarbeitern Ordnung beibringen, tritt im Fernsehen auf, hat 75.000 Follower auf Instagram und wird dennoch nicht ausgelacht, wie so manche andere selbst ernannte Berater.

Vielleicht mag es daran liegen, dass die zierliche Japanerin immer freundlich lächelnd, bescheiden, ja fast schon unbeholfen auftritt. Ihr Englisch ist schlecht, Interviews gibt sie nur mit Übersetzerin. Oder daran, dass ihre Liebe zu Ordnung den Zeitgeist trifft. In einer Welt, in der mehr zu kaufen, mehr zu schenken, mehr zu haben und mehr zu erreichen zum Mantra geworden ist, verliert man leicht den Überblick. Was ist wichtig und unwichtig?, fragt man sich. Und hebt zur Sicherheit eben alles auf. Ein Werkzeug, das Hilfe bei der Reizüberflutung verspricht, scheint da ein willkommenes Geschenk. Vor allem, wenn es sich so unaufdringlich wie Kondo präsentiert.

Die Japanerin hat sich auch eine kleine Geschichte zurechtgelegt: Sie habe schon immer Dinge aufgeräumt. Als kleines Kind fand sie Unordnung in der Schule, zu Hause bei den Eltern, sortierte Kabel, organisierte Papiere, kurz darauf war immer wieder alles unordentlich. So sei sie auf die Idee gekommen, sich von dem zu trennen, was nicht glücklich macht. Laut Kondo soll man sich auch regelmäßig bei Gegenständen bedanken. „In Japan ist es etwas Selbstverständliches, dass auch Gegenstände eine Seele haben“, sagt Kondo unlängst in einem Interview mit dem „Magazin“. Schließlich würden sie uns täglich einen Dienst erweisen.

Das mag esoterisch klingen, Kondo selbst ist genau das nicht. Sie hat jung ihre Firma gegründet und verdient gut an unserer Sehnsucht nach Ordnung und Übersicht. Geholfen hat ihr dabei auch die bilderfixierte Welt des Internets, auf Plattformen wie Instagram und Pinterest sind Style- und Ordnungsratgeberinnen die Königinnen. Marie Kondo hat zudem beobachtet, dass immer wieder Leser nach dem Großaufräumen ihrer Wohnung auch im Berufsleben aufräumen würden. Oder in der Beziehung. Bei den einen habe es die Liebe neu entfacht, sagt sie, bei den anderen nicht.

Steckbrief

Marie Kondo ist ein sogenannter Organizing Consultant. Die gebürtige Japanerin ist laut eigenen Angaben seit ihrer Kindheit am Aufräumen interessiert. Mittlerweile hat sie fünf Bücher zu diesem Thema geschrieben; soeben auf Englisch erschienen: „Spark Joy: An Illustrated Master Class on the Art of Organizing And Tidying Up“. Auf Deutsch wurden bisher zwei Bücher unter dem Titel „Magic Cleaning“ bei Rowohlt herausgebracht.

Kondo fand sich 2015 auf der „Time's“-Liste der 100 einflussreichsten Personen. Sie ist verheiratet und seit Juli 2015 Mutter einer Tochter. Auf Instagram hat sie 75.000 Follower.

Web: konmari-media.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2016)

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