Mineralien: Nicht wie Sand am Meer

Ein rares Mineral, benannt nach einem auch raren Mineralogen: Hazenit. Bakterien bilden es in der Not, als Kot.
Ein rares Mineral, benannt nach einem auch raren Mineralogen: Hazenit. Bakterien bilden es in der Not, als Kot.(c) Robert Hazen/American Mineralogist
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Von den 5000 Mineralien der Erde sind über die Hälfte so selten, dass maximal fünf Exemplare bekannt sind. Ein US-Geologe hat sie näher betrachtet.

Silber, Gold, edelstes Gestein? „Vergessen Sie das, wenn Sie Ihrer Geliebten einen wirklich seltenen Ring schenken wollen“, rät Robert Hazen: „Geben Sie ihr sardischen Ichnusait!“ Von dem wurde bisher ein einziges Stück gefunden. Hazen selbst ist auch so eine Rarität: Ein Mineraloge, der seinem steinigen Feld immer neue Überraschungen abgewinnt. Zuletzt hat er nachgezeichnet, wann und wie die 5000 Mineralien der Erde im Lauf der 4,5 Milliarden Jahren ihrer Geschichte entstanden sind. Den größten Schub gab das Leben, vor allem indirekt – durch den Sauerstoff aus der Fotosynthese –, aber auch mit Biomineralien, Muschelschalen etc. (siehe „Presse am Sonntag“, 17. 5. 2015).

Unter den 5000 dominieren weniger als 100, aus ihnen bestehen über 99 Volumensprozent der Erdkruste. Am anderen Ende der Skala rangieren seltene Mineralien. Die haben nichts mit seltenen Erden oder seltenen Metallen zu tun, die heißen nur so, weil man sie an wenigen Orten findet oder die Nachfrage extrem ist, es gibt sie aber in rauen Mengen. Seltene Mineralien hingegen machen ihrem Namen Ehre, es sind nach Hazens pragmatischer Definition die, von denen maximal fünf Exemplare bekannt sind.

Dazu zählen über die Hälfte aller Mineralien: 2550. Hazen (Carnegie Institution, Washington) hat zusammen mit Jesse Ausubel (Rockefeller University, New York) bilanziert und systematisiert (American Mineralogist 12. 2.). Und er macht den Einstieg leicht: „Das Herstellen von Mineralien kann man sich vorstellen wie das Kochen in einem Druckkochtopf, es hängt alles an drei Variablen: Temperatur, Druck und Ingredienzien.“ Die bestehen bei Mineralien aus 72 chemischen Elementen, und von denen vertragen sich nicht alle gut miteinander, zumindest nicht unter allen Bedingungen.

Das ist etwa so bei Hatrurit, einem Kalziumsilikat (Ca3SiO5). Das besteht zwar aus drei extrem häufigen Elementen, Kalzium, Silizium und Sauerstoff eben. Aber die brauchen über 1250 Grad Celsius, um sich zu Hatrurit zusammenzutun – und es gelingt nur in Abwesenheit eines vierten häufigen Elements, Aluminium. Andere Mineralien entstehen nur unter einem Druck, wie es ihn oben auf der Erde nicht gibt, sondern erst im unteren Mantel, dieser reicht von 600 Kilometern Tiefe bis 2600 und macht 38 Prozent des Volumens der Erde aus.

Man weiß zwar, aus welchen Elementen er besteht, aus Magnesium- und Eisensilikaten (Mg,Fe)SiO3. Aber in welcher Struktur die Atome angeordnet sind – das ist neben der chemischen Komposition das zweite Merkmal eines Minerals –, wusste man lang nicht bzw. nur aus dem Labor. Dort kann man den nötigen Druck erzeugen – für die Erfindung der Apparaturen erhielt der Physiker Percy Bridgman 1946 den Nobelpreis –, und dort hat sich gezeigt, wie die Mineralien des unteren Erdmantels aussehen. Aber was im Labor produziert wird, ist noch kein Mineral, das muss sich in der Natur zeigen.

2014 war es so weit: Oliver Tschauner (University of Nevada) fand es, auf einem Asteroiden. Das Silizium ist in Oktaedern angeordnet, nicht wie unter geringerem Druck in Tetraedern. Das meldete Tschauner der Commission on New Minerals, Nomenclature and Classifigation (CNMNC), er schlug auch einen Namen vor: Bridgmanit. Die CNMNC, die seit 1959 für Ordnung im Reich der Gesteine sorgt, ordnete das Mineral in ihr System ein – Specimen IMA 2014-017 – und sprach Bridgman die Ehre zu (Science 346, S. 1100).

Bridgmanit. Bridgmanit also – alle Mineralien enden auf -it (bzw. im Englischen auf -ite) –, dieses Mineral zeigt auch das Problem von Hazens Definition: Es ist überhaupt nicht selten, ganz im Gegenteil, es füllt 38 Prozent der Erde, aber zu Augen gekommen ist eben nur ein einziges Stück! Bei anderen liegt die Sache klarer: Sie sind wirklich rar, und viele sind es, weil ihre Bestandteile es sind: Beryllium und Antimon etwa finden nur höchst sporadisch zu Swedenborgit zusammen. Wieder andere findet man schwer, es gibt sie nur an unzugänglichen und/oder gefährlichen Stätten, Vulkanflanken etc.

Oder sie könnten umgekehrt allerorten sein, aber der Aufmerksamkeit entgehen, weil sie so allerweltsmäßig aussehen. Sie könnten sich etwa im Sand verbergen, wer weiß, was alles in ihm steckt? Er besteht zwar überwiegend aus Siliziumdioxid (Quarz), ist aber nicht durch Chemie und Kristallstruktur charakterisiert, einzig die Korngröße zählt: Alles zwischen 0,063 und zwei Millimeter ist Sand. Der lebt nicht ewig – wird zerrieben und fällt aus der Kategorie heraus –, immerhin, bisher war genug da, um ganze Kulturen auf ihn zu bauen, mit Mauern aus Beton, mit Halbleitern aus Silicon Valley.

Vielleicht hat der Berufsverband deutscher Geowissenschaftler deshalb den Sand zum „Gestein des Jahres 2016“ ausgerufen, vielleicht aber auch, weil es ihn längst nicht mehr gibt wie Sand am Meer: Der Sandhunger Dubais mit seinen künstlichen Inseln wird partiell per Schiff aus Australien gesättigt, und der Bauboom in Singapur hat Küsten und Flussbetten der pazifischen Region so abgeräumt, dass Dutzende Inseln Indonesiens verschwunden sind, das Land hat den Export verboten, Malaysia und Vietnam folgten, Schwarzhandel und „Sand-Mafias“ blühen.

Aber noch gibt es ihn, und noch könnten seltene Mineralien in ihm stecken – Hazen sagt die Existenz von 1500 nicht entdeckten voraus –, manche allerdings nicht: Sie sind ephemer, ihr Leben ist nur ein Hauch: Einige zerfallen im Sonnenlicht – Hazen nennt sie Vampire des Mineralienreichs –, andere lösen sich auf, wenn sie in Regen geraten, oder auch nur in Tau.

Und eines dieser Mirakel entsteht und vergeht immer wieder, an einem einzigen Ort der Erde, im Mono Lake in Kalifornien. Das ist ein Salzsee mit extrem viel Phosphor, und wenn unter der brennenden Sonne zu viel Wasser verdunstet, steigen die Gehalte so, dass Bakterien auf dem Seeboden nur überleben, wenn sie etwas ausscheiden, ein wasserhaltiges Phosphat. Entdeckt wurde es 2008 von einem früheren Studenten Hazens, dieser nannte es nach seinem Lehrer – Hazenite –, und der erklärt das seltsame Geschöpf so, dass man es am besten gar nicht übersetzt: „They are basically microbial poop. People tell me: ,Hazenite happens‘.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2016)

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