Russischer Teilrückzug aus Syrien

Ein russisches Su-30SM Kampfflugzeug wird in Syrien auf den Einsatz vorbereitet. Kremlchef Wladimir Putin kündigte nun an, dass Russlands Streitkräfte mit einem Teilabzug beginnen.
Ein russisches Su-30SM Kampfflugzeug wird in Syrien auf den Einsatz vorbereitet. Kremlchef Wladimir Putin kündigte nun an, dass Russlands Streitkräfte mit einem Teilabzug beginnen.APA/AFP/PAUL GYPTEAU
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Kremlchef Wladimir Putin kündigte an, dass ab Dienstag der Großteil der russischen Streitkräfte Syrien verlassen werden. Moskau wolle jetzt eine größere Rolle im Friedensprozess einnehmen.

Moskau/Genf. Die Nachricht kam völlig überraschend: Während in Genf die nächste Runde der Verhandlungen über eine Lösung des Konflikts in Syrien startete, ließ Russlands Präsident Wladimir Putin am Montagabend in Moskau mit einer unerwarteten Ankündigung aufhorchen: Er habe befohlen, am Dienstag mit dem Abzug des größten Teils der russischen Soldaten aus Syrien zu beginnen, gab der Kremlchef bekannt. „Die Aufgabe, die dem Verteidigungsministerium und den Streitkräften gestellt wurde, ist im Großen und Ganzen erfüllt“, sagte Putin laut der Agentur Interfax. Er hoffe, die Entscheidung sei für alle Seiten ein Signal und erhöhe das Vertrauen.

Syriens Machthaber Bashar al-Assad sei über die Entscheidung informiert worden. Russland wolle jetzt eine größere Rolle im Friedensprozess einnehmen, um den Konflikt zu beenden, so Putin. Der russische Präsident und der syrische Machthaber haben jedoch vereinbart, dass Russland einen Luftwaffenstützpunkt in Syrien behalten werde, um – wie es hieß – bei der Überwachung der gegenwärtigen Waffenruhe zu helfen.

Die russische Luftwaffe hatte Ende September begonnen, Angriffe zur Unterstützung der syrischen Regierungstruppen zu fliegen. Nach Angaben Moskaus galten die Attacken vor allem der Extremistenorganisation Islamischer Staat (IS), sowie der zu al-Qaida gehörenden al-Nusra-Front und anderen jihadistischen Gruppen. Der Großteil der russischen Angriffe wurde jedoch im Westen Syriens geflogen und nicht im Osten des Landes, den der IS kontrolliert.

Rückeroberung wichtiger Gebiete

Bei den Bombardements wurde nicht nur al-Nusra getroffen, sondern auch andere, moderatere Rebellengruppen. Das strategische Hauptziel der russischen Operationen war offenbar, das Regime bei der Rückeroberung strategisch wichtiger Gebiete in Westen Syriens zu unterstützen. So wurde die syrische Opposition in den Provinzen Latakia, Idlib und Aleppo zurückgedrängt. Damit konnte sich das Regime auf dem Schlachtfeld vorerst eine bessere Ausgangsposition für die Friedensgespräche in Genf erkämpfen.

Bei den Verhandlungen, die am Montag nach etwas mehr als einem Monat Unterbrechung wieder aufgenommen worden waren, legten die Vertreter der syrischen Regierung ein Grundsatzdokument für die weiteren Gespräche vor. UN-Sondervermittler Staffan de Mistura erklärte dazu zunächst, Syrien habe einige Ideen vorgestellt, die er jedoch nicht kommentieren werde. Die Gespräche steuern auf eine „Stunde der Wahrheit“ hin, so de Mistura. „Der einzige Plan B, der zur Verfügung steht, ist die Rückkehr zum Krieg, und zwar schlimmer als bisher.“

Syriens Regierung und die Opposition gingen in die von der UNO vermittelten Verhandlungen zunächst mit völlig konträren Positionen. Mohammed Alloush, der islamistische Chefunterhändler des Oppositionsbündnisses Hoher Verhandlungsrat (HNC), erklärte, dass ein politischer Neuanfang in Syrien nur ohne Präsident Assad möglich sei. „Wir glauben, dass eine Übergangszeit mit dem Sturz oder Tod Assads beginnen sollte.“ Ein Übergangsprozess sei „nicht möglich in der Gegenwart dieses Regimes, oder solange der Kopf dieses Regimes noch an der Macht ist“. Syriens Außenminister, Walid al-Muallem hatte dagegen am Wochenende betont, seine Regierung werde mit niemandem reden, der Assad als Präsidenten infrage stelle.

Streit um Assads Zukunft

Zudem wies der Außenminister das von UN-Sondervermittler de Mistura bekräftigte Ziel von Präsidenten- und Parlamentswahlen in Syrien in spätestens 18 Monaten zurück: „Weder der UN-Sondervermittler noch sonst irgendjemand hat das Recht, Präsidentenwahlen zur Sprache zu bringen. Die Wahlen sind das exklusive Recht des syrischen Volkes. Was de Mistura sagt, widerspricht daher allen UN-Dokumenten, auf die sich der bevorstehende Dialog stützt.“

Diese Darstellung des syrischen Außenministers ist aber falsch. Der vom UN-Sicherheitsrat am 22. Dezember vergangenen Jahres einstimmig abgesegnete Friedensplan für Syrien, die völkerrechtliche Grundlage für die Genfer Gespräche, sieht nach einem Waffenstillstand Verhandlungen über die Bildung einer Übergangsregierung aus Vertretern von Regierung und Opposition bis spätestens Mitte 2016 vor, und die Erarbeitung einer neuen Verfassung durch diese Übergangsregierung sowie von der UNO überwachte Präsidenten- und Parlamentswahlen in spätestens 18 Monaten, also etwa Mitte des Jahres 2017. Die USA und Russland sowie de Mistura hatten sich bisher bemüht, die Frage nach der künftigen Rolle Assads erst einmal aus dem Verhandlungsprozess auszuklammern.

AUF EINEN BLICK


Der russische Präsident kündigte Montagabend überraschend an, dass er den Teilabzug der russischen Streitkräfte aus Syrien befohlen habe. Der Rücktransport der Soldaten werde am Dienstag beginnen, sagte Putin. Russlands Streitkräfte haben bisher vor allem mit Luftangriffen den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad unterstützt. Dadurch ist es den Regimetruppen gelungen, die Opposition aus wichtigen Gebieten in Westsyrien zu vertreiben.

(ag./red./zum)

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