"Lust am Verbrechen" auf Arte: Warum wir Krimis lieben

"Lust am Verbrechen - Die Welt im Krimifieber", zu sehen auf Arte.(c) Arte (Beall Productions)
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Auf Arte läuft ein Doku-Dreiteiler, der sich mit der Frage beschäftigt, warum der Krimi boomt. Teil eins war insgesamt gelungen, nur teilweise zu klischeehaft.

"Leichen pflastern seinen Weg, seine Welt ist düster, verzweifelt. Ein Umfeld, in dem Korruption, Grausamkeit und menschliche Torheit lediglich von einer Handvoll gebrochener und bisweilen gewalttätiger Rächer bekämpft werden: Der Krimi." Mit diesen Worten beginnt der arte-Dreiteiler "Lust am Verbrechen", der sich dem beliebten Genre - jeder vierte Roman ist ein Krimi - widmet. "Wer beim Krimi an Bord geht, lässt sich auf eine mörderische Reise ins schwarze Herz der Welt ein."

Bereits dieses Eingangsstatement zeigt gut Stärken und Schwächen dieser ambitionierten filmischen Annäherung an das gern als minderwertig betrachtete Genre. Denn einerseits wird hier klargestellt, dass der anspruchsvolle Krimi nichts mit irgendwelchen Zufalls- und Wohlfühlermittlern sowie entsprechend belanglosen Pseudo-Handlungen zu tun hat, die in den Regalen der Buchgeschäfte sowie im TV gerade massiv überhandnehmen. Andererseits ist das schon ein bisschen sehr viel überstrapaziertes Düsternis-Klischee auf einmal.

Doch das Positive überwiegt: Denn tatsächlich bietet der erste Teil der TV-Dokumentation einen faszinierenden Streifzug durch die vielseitige Welt des Krimis - egal ob als Roman, Film, Comic oder Computerspiel. Zu Wort kommen namhafte Schriftsteller wie Michael Connelly, Jo Nesbo und Petros Markaris, aber auch Regisseure wie der Franzose Olivier Marchal, "Miami Vice"- und "Heat"-Regisseur Michael Mann oder "The Wire"-Schöpfer David Simon.

Die pathetischen und klischeehaften Einschübe des Erzählers stören hingegen. Ein Beispiel: "In der düsteren und chaotischen Welt des Krimis bilden drei Figuren eine Einheit, ein Trio des Verbrechens (...) - Opfer, Täter, Detektiv - drei Figuren, die durch das Leben und die sie umgebende Welt hoffnungslos beschädigt sind." Was will man uns damit eigentlich sagen? Am schlimmsten ist aber wohl der Spruch "Der Krimi ist eine Maschine zur Herstellung von Leichen und ihr Motor läuft im Zweitakt von Wut und Gewalt."

Krimis, die modernen Ritterromane

Spannender ist es, wenn US-Autor Michael Connelly erklärt, dass er realistische Geschichten erfinde, um seine fiktiven Figuren glaubhaft zu Leben erwecken zu können. Connelly mietete sich sogar in eine Wohnung ein, in der die Raymond-Chandler-Figur Philip Marlowe in der Robert-Altman-Verfilmung "Der Tod kennt keine Wiederkehr" wohnt. Vermutlich auch deshalb ließ er seine berühmte Krimifigur Harry Bosch (momentan auch in der Amazon-Serie "Bosch" zu sehen) über den Dächern von Los Angeles wohnen, so der Autor. "Ein Krimi bedeutet für mich Freiheit. Ich kann überall hin, wo ich als Geschichtenerzähler hin will, weil ein Detektiv, der an einem Fall arbeitet, das Recht hat und die Gesellschaft es von ihm erwartet, dass er geht, wohin er gehen muss."

Der griechische Krimiautor Markaris vergleicht den Krimi mit den Ritterromanen des Mittelalters. Dort ziehe der Held von Ort zu Ort, um das Böse zu bekämpfen. Der moderne Ritter sei nun eben der Detektiv. Der deutsche Regisseur Christian Petzold sieht es ähnlich wie Connelly. Warum die Menschen Detektive und Kommissare lieben würden? "Weil die überall reinkommen. Die dürfen bei den Reichen rein, die dürfen schlimmste, dekadente Sachen anschauen."

Damit erfüllt der Kriminalroman tatsächlich eine der wichtigsten Funktionen guter Literatur: Er führt uns an Orte, zu denen wie sonst niemals kommen würden. Er öffnet Türen, die sonst verschlossen blieben. Er gewährt uns Einblicke, die uns sonst verwehrt blieben.

Gesetzlos und verwundbar

"Mr. Robot"-Schöpfer Sam Esmail ist überzeugt, dass die Faszination des Krimis von seinen Schurken ausgehe. "Diese ganzen Typen aus der Unterwelt, die alle etwas Soziopathisches haben, weil sie absolut selbstverständlich außerhalb des Gesetzes leben." Esmail trifft damit wohl einen ganz wichtigen Punkt. Der brave Bürger, der sich an die Gesetze hält, ist fasziniert von diesen Gestalten, die es wagen, ohne diesen gesellschaftlich akzeptierten Kodex zu leben.

Der erfolgreiche norwegische Krimiautor Jo Nesbo wiederum erzählt, dass er als Neunjähriger einen Schulaufsatz über "Einen schönen Tag im Wald" schrieb - aus dem dann allerdings niemand lebend wieder zurückkam. Sein Erfolgsrezept: "Alle Helden müssen eine Achillesferse haben, damit sie interessant werden. Bei Superman ist es Kryptonit - und ohne Kryptonit wäre Superman vielleicht der langweiligste Held der Welt geworden". Nicht ohne Ironie fügt er hinzu: "Wobei ich finde, dass er auch mit Kryptonit der langweiligste Held aller Zeiten ist." Nesbo spricht damit ein weiteres Geheimnis guter Krimis an: überzeugende Charaktere. Nur Menschen mit Schwächen sind glaubwürdig. Allerdings wird das mitunter heftig überstrapaziert. Denn auch im Krimigenre sind kaum mehr Protagonisten ohne Alkoholabhängigkeiten oder sonstige sympathieschürende Ticks und Marotten vorstellbar.

Dann taucht da allerdings wieder so ein Satz auf, der einem die Haare zu Berge stehen lässt: Je böser der Böse, umso gelungener der Krimi. Die Serienkiller Hannibal Lecter und Norman Bates werden aufgeführt, Verbrecher als intelligent und manipulativ dargestellt. Sie seien spektakuläre und Schrecken einflößende Figuren, ausgedacht, um mit unseren Ängsten und Alpträumen zu spielen. Einspruch, Einspruch, Einspruch! Nichts stört in einem guten modernen Krimi mehr, als diese supergenialen Serienmörder, die sich unvorstellbare Folter- und Tötungsmethoden ausdenken. Die Superbösen - wie öd. Getoppt wird das nur mehr von dem folgenden Kommentar der deutschen Krimiautorin Nele Neuhaus: "Jeder Mensch ist wie der Mond, er hat eine dunkle Seite, die er niemandem zeigt." Echt jetzt? Das ist so platt.

Sympathie mit dem Täter

Viel faszinierender ist es da schon, dass der Krimi die Macht hat, den Leser auf die Seite des Täters zu ziehen, ihn mit diesem sympathisieren zu lassen, wie es der indische Regisseur Anurag Kashyap formuliert. Auch dieses gefahrlose Seitenwechseln macht einen wesentlichen Teil des Erfolgs des Krimis aus.

Die TV-Dokumentation arbeitet die regionalen Unterschiede der Krimischaffenden treffend heraus. Der russische Autor Andrei Rubanov, der selbst drei Jahre im Moskauer Gefängnis "Matrosenruhe" saß, etwa sagt: "Für mich ist der Kriminalroman vor allem Atmosphäre, eine Welt mit bestimmten Spielregeln. Eine klassische Krimihandlung benutze ich nie, weil mich das nicht interessiert". Er glaubt dass der moderne russische Kriminalroman aus einer Enttäuschung über den Sieg über den Nationalsozialismus entstanden ist. "Wir haben die Nazis besiegt, aber niemand kann mehr ein normales Leben führen, weil die Menschen soviel Angst, Enttäuschung und Tod erlebt haben." Damit steht der russische Kriminalroman dem französische "Polar" viel näher als etwa dem harmlosen deutschen Regionalkrimi oder dem tausendsten unsäglichen US-Serienkiller-Thriller.

Auch in Südamerika, wo Gewalt oft zum Alltag zählt, hat der Kriminalroman eine andere Rolle. Hier geht es nicht um irgendeinen wohligen Grusel oder irgendwelche gemütlichen Kaffeekränzchen-Mörderrätsel. Südamerikanische Krimis sind nicht selten Sozialstudien des Elends. "Die Gewalt dort, die wir oft auch in uns haben, spielt in meinen Geschichten eine wichtige Rolle. Die Gewalt, die meine Figuren ausüben ist ihre Methode, um einen Schlusspunkt zu setzen - gegen die Gewalt, die gegen sie ausgeübt wird", sagt der argentinische Autor Leonardo Oyola. "Ich habe nie etwas Gutes erlebt, das von einer Uniform ausgegangen wäre", sagt Oyola über die argentinische Polizei.

"Lust am Verbrechen" gelingt vor allem eines: Es wird dem Genre mit all seinen Facetten überraschend gerecht. Es gibt vor allem den Menschen hinter all den Büchern, Filmen, Comics und Computerspielen ein Gesicht. Am rührendsten vielleicht ist das Beispiel des russischen Krimiautors Rubanov, der in Bezug auf sein Leben im Gefängnis klarstellt: "Du kümmerst dich nur ums Überleben, mehr nicht. Sie haben mich gefragt, ob ich da drin etwas geschrieben habe: Dafür gibt es einfach keinen Platz und keine Zeit." Und: "Du wirst sehr brutal, wenn du unter brutale Bedingungen gerätst", so Rubanov. Wenn dieser vom Leben gezeichnete Mann seine kleine, weinende Tochter umarmt und tröstet, macht einen das kurz sprachlos.

Der Autor betreibt den Krimiblog "crimenoir".

"Lust am Verbrechen" läuft auf Arte am Sonntagabend. Teil eins wurde am 13. März um 22:35 Uhr ausgestrahlt und ist in der Arte-Mediathek abrufbar, Teil zwei folgt am 20. März um 22:20 Uhr, Teil drei am 27. März um 22:20 Uhr.

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