Fiktive Gerichtsverhandlung endete mit Vorlage an EuGH.
Wien. Mit dem Fall einer verschleierten muslimischen Notariatsangestellten, die ihren Arbeitgeber wegen Diskriminierung klagte (siehe Artikel rechts), hat sich auch schon der Juristennachwuchs beschäftigt: Er wurde – in anonymisierter Form – beim „Franz von Zeiller Moot Court aus Zivilrecht“ verhandelt. Dabei agieren Studierende als Vertreter fiktiver Prozessparteien vor einem ebenfalls fiktiven, aber professionell besetzten Gericht. Der Fall war Thema bei der Wiener Vorausscheidung.
Jenes Team, das den Notar vertrat, brachte dabei Europarecht ins Spiel. Konkret die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG und die EU-Grundrechtecharta. Die Frage, um die es dem Team ging: Steht die Religionsfreiheit quasi über allem – oder besteht nicht vielmehr ein Recht des Arbeitgebers auf Erwerbsfreiheit (das durch ein nicht dem Berufsbild entsprechendes Auftreten eines Mitarbeiters beeinträchtigt werden könnte)? Die Richtlinie betone einseitig die Religionsfreiheit, die Charta – die noch dazu Primärrecht darstellt – schütze dagegen auch die Erwerbsfreiheit, es gebe also zwischen beidem ein Spannungsfeld, sagt Rechtsanwältin Katharina Körber-Risak, die dieses Team federführend betreut hat.
Grundrechte im Spannungsfeld
Die Frage sei nun, ob die Richtlinie nicht stärker im Sinn der Charta ausgelegt werden müsse. Also dahin gehend, dass nicht ausschließlich die Religionsfreiheit zählt, sondern eine Abwägung vorzunehmen sei. Beim Moot Court erreichte das Team, dass das fiktive Gericht – in dem auch ein OGH-Mitglied saß – auf Vorlage des Falls an den EuGH entschied.
Ein Szenario, das auch in der Realität nicht ausgeschlossen ist. Zwei ähnliche Fälle sind derzeit dort anhängig. In jenem aus Belgien geht es um eine neutrale Kleidungsvorschrift, die alle religiösen und weltanschaulichen Symbole verbietet – auch das Kopftuch. Ein weiterer Fall aus Frankreich betrifft die Entlassung einer Mitarbeiterin, über deren Schleier sich ein Kunde beschwert hatte. (cka)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2016)