Syrien: Demokratisches Experiment unter Führung der Kurden

Ein kurdischer Demonstrant im syrischen Qamishli hält ein Porträt des inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan.
Ein kurdischer Demonstrant im syrischen Qamishli hält ein Porträt des inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan.(c) APA/AFP/DELIL SOULEIMAN
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Die Region Rojava soll eine Föderation werden. Für die Friedensgespräche kommt die Ankündigung denkbar ungelegen.

Nun steht es fest. Im Norden Syriens wird es eine neue Föderation geben, die richtungsweisend für die politische Zukunft des seit fünf Jahren vom Bürgerkrieg geplagten Landes sein soll. Rojava, ein Landstrich, der sich rund 400 Kilometer entlang der türkischen Grenze vom Irak bis zum Euphrat erstreckt, sowie die Region um Afrin weiter westlich sollen eine gemeinsame Regierung erhalten. In diesem Gebiet leben überwiegend Kurden, aber auch Araber, Christen und Turkmenen. Rund 150 Delegierte aller Bevölkerungsgruppen haben das auf einem Kongress im ölreichen Städtchen Rumelan beschlossen.

Am 21. März soll es am kurdischen Neujahrstag öffentlich bekannt gegeben werden. „Eine neue Verfassung wird die Beziehung zwischen den föderalen Teilen und dem Zentrum Damaskus bestimmen“, sagte Ibrahim Ibrahim, einer der Vertreter der kurdischen Partei PYD. „Das föderale System ist nicht nur für Nordsyrien, sondern ein Modell für das ganze Land“, erklärte Scheich Hamd Shehade, der Führer eines arabischen Stammes und Teilnehmer des Kongresses in Rumelan. „Diese Initiative soll überall Schule machen.“

Für die Friedensverhandlungen in Genf ist die neue Föderation ein herber Schlag. Staffan de Mistura, der UN-Gesandte für Syrien, konnte nur mit Mühe und Not die Konfliktparteien an den Tisch bringen. Ob es auch zu ernsthaften Verhandlungen kommen wird, muss sich erst herausstellen. Das Regime möchte nicht mit „Terroristen“ verhandeln, und die Opposition hat nicht minder große Vorbehalte gegenüber „Folterern und Mördern“ in Damaskus. Rojavas Bevölkerungsgruppen, die in Genf nicht eingeladen sind, stellen nun selbst die Weichen und senden eine deutliche Botschaft: Ohne uns kann es weder eine Lösung des Konflikts noch einen Fahrplan für die Zukunft geben.

Erfolgreich gegen den IS

In Genf wurde das föderale System rundum abgelehnt. „Zum Scheitern verurteilt und gegen die territoriale Integrität Syriens“, meinte Bashar al-Jaafari, der Verhandlungsführer des Regimes. „Das führt zur Spaltung des Landes und ist nicht zu tolerieren“, hatte Riad Hijab, der Sprecher des Hohen Verhandlungsrats (HNC) der Rebellen, schon im Vorfeld der Genf-Konferenz die Autonomie Rojavas kommentiert. Aber ganz so einfach abzukanzeln dürfte es nicht sein.

Die Armee Rojavas, die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), sind die erfolgreichste Truppe im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) – und obendrein auch gegen alle anderen radikalen Islamistengruppen. Die SDF, in denen Kurden, Christen und Araber kämpfen, wird von Amerika unterstützt, das in Rojava zwei Flughäfen ausgebaut hat. Zwischen Pentagon und SDF funktioniert eine enge militärische Zusammenarbeit.

Alle Offensiven gegen den IS werden gemeinsam geplant. Ohne die Luftunterstützung von US-Kampfjets wären die kontinuierlichen Siege über den IS nicht möglich gewesen. Die SDF haben von den Extremisten insgesamt über 20.000 Quadratkilometer zurückerobert. In Vorbereitung ist die Befreiung der IS-Hochburg Raqqa, von der sie nur noch 30 Kilometer entfernt sind. Zudem kam der Schritt von Rojava nicht überraschend. Seit Jänner 2014 existieren dort drei Kantone, die jeder für sich eine eigene Selbstverwaltung aufgebaut haben. Demokratischer Konföderalismus wird das genannt. Im Vergleich zum restlichen Syrien, in dem nur Gewalt und Willkür herrschen, muss man dieses politische System als Erfolg bezeichnen. Alle ethnischen und religiösen Gruppen sind in den Regierungen „gleichberechtigt“ vertreten.

Die kurdische Partei der PYD versucht zwar, als Vertreter der Bevölkerungsmehrheit und der größten Miliz zu dominieren. „Das ist natürlich nicht gut“, gibt ein christliches Regierungsmitglied zu. Aber trotzdem, zu den von Rebellen kontrollierten Gebieten, in denen die Scharia ausgeübt werde, sei es ein Unterschied wie Tag und Nacht. Zum Glück könne man sich gegen die islamistischen Rebellen schützen. Der weitaus größere Gegenspieler der neuen Föderation in Nordsyrien ist die Türkei. Für sie sind die kurdische PYD und ihr militärischer Arm, der YPG, eine „Bande von Terroristen“ – gelten sie doch als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei in der Türkei. Die PKK hat unter der Führung von Abdullah Öcalan gegen Ankara über drei Jahrzehnte lang Krieg geführt. Die Türkei beschießt regelmäßig Stellungen der YPG-Miliz in Syrien und ist der Hauptverantwortliche, dass kurdische Vertreter nicht an den Gesprächen in Genf teilnehmen dürfen. Dabei wären sie, wie auch Delegierte der Christen und anderer Bevölkerungsgruppen, eminent wichtig für eine profunde, friedliche Lösung des Konflikts.

Bündnis wenig repräsentativ

Der syrisch-oppositionelle HNC verhandelt in Genf über die Zukunft ganz Syriens. Dabei ist dieses Bündnis von etwa hundert bewaffneten Rebellengruppen im Grunde genommen nicht repräsentativ genug. Zudem überwiegt eine deutlich islamistische Ausrichtung.
Das Modell Rojava, mit einem säkularen politischen System, sollte für die Interessen des Westens wesentlich aparter sein. Aber noch muss auf die dominierenden, Krieg führenden Parteien und ihre Sponsoren aus der Türkei, Saudiarabien und anderen Golfstaaten Rücksicht genommen werden. Vielleicht kommt es danach endlich zu einer Verhandlung mit Vertretern, die eine demokratische Wende für die gesamte Zivilgesellschaft Syriens im Auge haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2016)

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