Can Dündar: „Europa ist bereit, Ideale über Bord zu werfen“

Dundar, the editor-in-chief of secularist opposition newspaper Cumhuriyet attends a news conference in Istanbul
Dundar, the editor-in-chief of secularist opposition newspaper Cumhuriyet attends a news conference in Istanbul(c) REUTERS (OSMAN ORSAL)
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Der Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“ berichtet, was er vom EU-Deal mit Ankara hält und warum Erdoğan ihn ins Gefängnis werfen will.

Die Presse: Sie haben in der Zeitung „Cumhuriyet“ über Waffenlieferungen der Türkei an Rebellen in Syrien berichtet und waren deshalb drei Monate in Haft. Nächste Woche beginnt der Prozess wegen angeblicher Spionage. Wie bereiten Sie sich vor?

Can Dündar: Wir sammeln gerade neue Beweise für die Verteidigung. Viele Anwälte und Zuschauer wollen uns im Gerichtssaal unterstützen. Es ist ein symbolischer Prozess, in dem es um Presse- und Informationsfreiheit geht. Medien, die der Regierung nahestehen, drängen auf unsere Verurteilung. Und Präsident Erdoğan mag es nicht zu verlieren. Die Entscheidung des Höchstgerichts, meinen Kollegen und mich vorerst aus dem Gefängnis zu entlassen, war eine Niederlage für ihn. Er wird versuchen, die Entscheidung zu „korrigieren“.


Sind Sie in Sorge darüber, wieder zurück ins Gefängnis geschickt zu werden?

Ich bin nicht besorgt. Heutzutage ist es in der Türkei im Gefängnis sicherer als draußen, wenn Sie an all die Anschläge denken . . . Aber natürlich wäre es ein großer Rückschlag für die türkische Demokratie, Justiz und Pressefreiheit. Waffen nach Syrien zu schicken ist eine kriminelle Aktion, die Regierung wollte damit nicht in Zusammenhang gebracht werden. Und Erdoğans Zorn hat sich nicht gelegt. Er will eine neue Inhaftierung. Ich hoffe daher auf die Solidarität der Menschen.


Wie ist es mittlerweile um die Pressefreiheit in der Türkei bestellt?

Es geht nicht mehr nur um Zeitungen wie „Zaman“, „Cumhuriyet“ oder um Medienfreiheit im Allgemeinen. Es geht darum, ob die Türkei eine Demokratie oder ein faschistischer Staat sein will. Die Pressefreiheit ist nur ein Teil dieser Frage. Wir sind gerade dabei, über die Zukunft dieses Landes zu entscheiden. Ein Mann will Sultan sein und unterdrückt jede Art von Opposition und Kritik. Als Journalisten kämpfen wir natürlich für die Pressefreiheit. Aber darüber hinaus müssen wir für Demokratie kämpfen, für Menschenrechte und die Verfassung.


Zuletzt geriet die Zeitung „Zaman“ ins Visier der Behörden. „Zaman“ gilt als Flaggschiff der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, mit dem Erdoğan erst verbündet war und jetzt verfeindet ist. Früher wurden Sie von „Zaman“ angegriffen. Ist es eine Genugtuung für Sie, dass die Zeitung nun Erdoğans Kampf gegen Medien selbst zu spüren bekommt?

Als „Zaman“ mit Erdoğan verbündet war, wurden wir lange Zeit von der Zeitung hart attackiert. Jetzt ist aber nicht der Zeitpunkt, um an Rache zu denken. Wir müssen uns solidarisieren. Wir haben sie besucht, sie angerufen, und sie sind zu uns ins Gefängnis gekommen. Aber wir waren ja nicht die einzigen Journalisten im Gefängnis, es sind noch rund 30 in Haft. Wir müssen nun für ihre Rechte und ihre Freilassung kämpfen.


Was erwarten Sie von der EU?

Im Gefängnis habe ich den führenden Politikern in der EU Briefe geschrieben und klargestellt, dass wir den EU-Beitritt der Türkei voll unterstützen. Aber die Politiker in der EU sind derzeit mehr mit den Flüchtlingen beschäftigt. Sie sind dafür bereit, ihre Ideale über Bord zu werfen. Ich habe geschrieben: Tut das nicht! Wir kämpfen in der Türkei gerade für westliche Prinzipien! Ich habe zwar keine Antwort erhalten, später aber erfahren, dass meine Briefe angekommen sind. Der türkische Premier Davutoğlu wurde auf meine Briefe angesprochen. Und US-Vizepräsident Joe Biden hat während seines Türkei-Besuchs öffentlich meine Frau und meinen Sohn empfangen. Das war eine starke Geste.


Haben sich die EU-Staaten Erdoğan in der Flüchtlingsfrage ausgeliefert?

Erdoğan kann wegen der Flüchtlingskrise zufrieden sein. Die EU sieht über seinen autoritären Regierungsstil hinweg. Dafür will sie gleichsam Raum für die Flüchtlinge auf türkischem Boden mieten. Es ist ein Win-win-Deal. Jeder ist glücklich, bis auf uns – die Demokraten in der Türkei.


Im Osten der Türkei wird gekämpft. Es gibt Attentate, Menschen fliehen. Könnte sich die Zone der Instabilität von Syrien auf die Türkei ausweiten?

Das ist leider bereits passiert. Als die Türkei Waffen nach Syrien geliefert hat, haben wir gesagt, dass wir damit mitten in den syrischen Bürgerkrieg geraten. Und genau so war es. Natürlich sind wir besorgt.


Warum gibt es dann in der Türkei nicht mehr Kritik an der Regierung? Warum wird nicht gefragt: Hat die Regierung die richtigen Entscheidungen getroffen, um diese Situation zu verhindern?

Die Attentate helfen Erdoğan dabei, ein noch autoritäreres Regime aufzubauen. Die Menschen haben Angst. Und er sagt: Ich kann euch vor solchen Bombenanschlägen beschützen. Alle autoritären Führer werden durch Instabilität gestärkt. Das ist gefährlich.


Aber die schwierige Lage schwächt die Wirtschaft, die Türkei verliert dadurch Geld. Gibt es deshalb Kritik an Erdoğans Politik innerhalb der regierenden AKP?

Innerhalb der Partei ist Erdoğan sehr mächtig. Niemand hat den Mut, etwas gegen ihn zu sagen. Erdoğan fühlt sich mächtig genug, um die Verfassung zu ändern und sein Präsidentenamt zu stärken.


Wird ihm das gelingen?

Ich gehe davon aus, denn die momentane Lage spielt ihm in die Hände. Erdoğan hat bei Wahlen 50 Prozent der Stimmen bekommen. Die eine Hälfte der Menschen steht hinter ihm, die andere Hälfte hasst ihn. Die 50 Prozent, die Erdoğan hassen, sind aber nicht gut organisiert. Einige von ihnen sind Kurden, andere Nationalisten. Sie finden nicht zu einem gemeinsamen Block zusammen. Das ist sehr bequem für Erdoğan.

ZUR PERSON

Can Dündar ist Chefredakteur der linksliberalen türkischen Zeitung „Cumhuriyet“. Im November 2015 wurden er und sein Kollege Erdem Gül verhaftet. Grund dafür war ein Bericht in „Cumhuriyet“ über Waffenlieferungen der Türkei an extremistische Rebellen in Syrien. Präsident Erdoğan forderte, dass die Journalisten deshalb „einen hohen Preis“ zahlen müssten. Nach einer Entscheidung des Höchstgerichts wurden beide am 26. Februar vorerst freigelassen. Der Prozess beginnt kommende Woche.

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