Commenda: "China macht so ziemlich alles richtig"

INTERVIEW: GENERALSTABSCHEF OTHMAR COMMENDA
INTERVIEW: GENERALSTABSCHEF OTHMAR COMMENDAAPA/HELMUT FOHRINGER
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Was hat der Hunger in Afrika mit der Sicherheit in Österreich zu tun? Unser Heer beschäftigt auch Ökonomen. Sie haben eine eigene Sicht der Dinge.

Donnerstagvormittag im Wiener Arsenal. Im stillgelegten Militärkomplex sinnieren einige der bekanntesten Wirtschaftsforscher des Landes öffentlich darüber, ob Österreichs Wirtschaftsleistung heuer um 1,5 oder doch um 1,6 Prozent wachsen könnte. Ein paar Kilometer weiter nördlich denken Ökonomen lieber an übermorgen. In der Rossauer Kaserne beschäftigen sich die Forscher im Auftrag des Bundesheeres mit Fragen wie: Was bedeutet Wirtschaft für die Sicherheit Österreichs? Wie lang wird das Land noch ausreichend Ressourcen haben? Wie lang kann Europas Industrie mit der Konkurrenz aus Asien Schritt halten? Wo auf der Welt verschlechtern sich die Lebensbedingungen gerade so drastisch, dass auch wir die Auswirkungen spüren werden?

„Niemand beginnt einen Krieg, nur weil er Krieg spielen will“, sagt Generalstabschef Othmar Commenda zur „Presse am Sonntag“. „Es gibt immer andere, sehr oft wirtschaftliche Gründe dahinter.“ Diese frühzeitig aufzuspüren und so möglichen Schaden vom Land abzuwenden, dafür leistet sich das Bundesheer seit Jahrzehnten eigene Ökonomen, Attachés und Soldaten im Auslandseinsatz. Das Sensorium funktioniert gut, sagt der General. Dennoch werden Österreich und Europa immer wieder am falschen Fuß erwischt.

Gut sichtbar wird das anhand der Menschen, die im Moment nach Europa fliehen. „Hunger ist die größte Triebkraft“, sagt Österreichs oberster Militär. Und der Hunger sei nicht so weit von den Grenzen Österreichs entfernt. In Südosteuropa, dem Nahen Osten und Nordafrika lebe ein großer Teil der Bevölkerung weit unter der Armutsgrenze. Aber nicht nur hier, rund um den Globus setzten sich die Menschenmassen in den vergangenen Jahren in Bewegung. Australien steht vor ähnlichen Problemen wie Europa, die USA schotten sich gegen den Süden ab, in Russland leben zigtausend Menschen aus angrenzenden Staaten illegal im Land. „Dass sich die Dinge ändern, wissen wir schon seit über einem Jahrzehnt“, sagt Commenda. Das Internet und die Smartphones haben die Bilder aus dem reichen Westen in jedes Dorf der Welt gebracht und die Sehnsucht nach einem besseren Leben geweckt.

Die Flüchtlinge jetzt stoppen zu wollen, sei wenig erfolgversprechend. Mit den Worten des Generals: „Wenn Menschen sich in Bewegung gesetzt haben, sind sie wie Wasser und finden immer einen Weg.“


Wohlstand in Gefahr. Aber die Ökonomenkompanie beim Bundesheer (sie heißt nicht wirklich so, Anm.) blickt nicht nur auf die Konfliktzonen dieser Welt. Auch Europas Wohlstand will genau beobachtet werden, damit er nicht plötzlich schwindet. Denn das Militär weiß, dass Europa im Ernstfall auch ausreichend Kapital brauchen wird. „Kriege sind eine Orgie von Geld nicht minder als eine Orgie von Blut“, sagte der US-Industrielle Henry Ford schon in den 1930er-Jahren. Und damit diese Orgie im Fall der Fälle auch bezahlt werden kann, ist die Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents etwa von entscheidender Bedeutung.

Über die Erkenntnisse seiner Ökonomen zur Lage Europas spricht der 61-jährige General nicht gern in der Öffentlichkeit. Nur so viel: Ermunternd sind sie nicht. Auch hier sei der Durchschnittsbürger schon lang nicht mehr im Mittelstand anzusiedeln. Die Schere zwischen Arm und Reich gehe auf, während (und weil) die Wettbewerbskraft schwindet. Amerika, vor allem aber China, setzten zum Überholen an.

Europa selbst habe immer weniger zu bieten. „Das beste Produkt, das Europa besitzt, ist sein Wissen“, sagt Othmar Commenda. Das große Problem dabei: Die klugen Köpfe sind sehr mobil und mit Geld leicht in andere Staaten zu locken. Lasse Europa das zu, bleibe nur wenig übrig.


Europas viele Fehler. Anders als andere Erdteile verfügt Europa kaum über nennenswerte natürliche Rohstoffressourcen. Die Sicherheit der Energieversorgung steht daher naturgemäß auch ganz oben auf der Watchlist der Heeresökonomen. Sie registrieren, welche Gasleitungen von Russland nach Europa gebaut werden und welche nicht. Welche Transportrouten und welche Öl- und Gasquellen gefährdet sein könnten.

Die Vogelperspektive verlassen sie dabei aber nie. „Ob die OMV irgendwo eine Leitung legt, oder ob die Gazprom bei der Raffinerie Schwechat einsteigt, ist für uns irrelevant“, betont Commenda. Entscheidend sei für die Landesverteidiger einzig die Frage nach der Versorgungssicherheit. Und hier könne es sich Europa nicht leisten, sonderlich wählerisch zu sein, sagt er mit Blick auf den in Brüssel so ungeliebten Hauptlieferanten Russland. „Es ist in jedem Fall ein Fehler, sich eine Tür zuzumachen.“ So wie Europa in seinen Augen historisch überhaupt viele Fehler gemacht hat. Der Kontinent ernte heute die Probleme dessen, was er in der Kolonialzeit und nach dem Ersten Weltkrieg selbst gesät habe. Die willkürlichen Grenzziehungen in Afrika habe Konflikte in der Region ausgelöst. Europa und auch Amerika verstünden nicht, dass es manchmal besser sei, Entwicklungen zuzulassen, ohne sich einzumischen. „Es wird in manchen Teilen der Welt nie Demokratie geben. Weil das Leben dort anders funktioniert.“


China macht es besser. Peking gehe ganz anders mit seiner Macht um, lasse die meisten Staaten in seiner Umgebung in Ruhe und gewinne unterdessen anderswo Einfluss. Man denke nur an den massiven Landkauf der Chinesen in Afrika oder an ihre Investitionen in Osteuropa. „China macht aus meiner Sicht so ziemlich alles richtig“, sagt Commenda. „Und China hat vor allem einen Vorteil: Zeit.“ Die Fünfjahrespläne hält der Militär für Folklore. China denke eher in 50- oder 100-Jahres-Zyklen. Sollte das Reich zerbrechen, dann nur, wenn es die Fehler der „falschen Industrialisierung“ nicht zeitgerecht korrigiert und die sozialen Probleme im Land nicht lösen kann.

All das hat das Bundesheer dank seiner Wirtschaftsforscher längst auf der Rechnung. Garantie dafür, dass Europa auf Chinas Aufstieg rechtzeitig (und richtig) reagiert, ist das aber nicht. Denn eine Schwäche teilen die Militärökonomen mit ihren Kollegen in Zivil: Auch sie können nur rechnen, bewerten und warnen. Handeln müssen andere.

Zur Person

Othmar Commenda wurde 1954 in Wels geboren. Nach seinen militärischen Anfängen im Panzerbataillon stieg der Vater zweier Kinder bald zum Karriere-Offizier auf.

Der parteifreie Oberösterreicher war Kabinettchef von Herbert Scheibner, dem blau-orangen Verteidigungsminister der Nullerjahre. Dessen Nachfolger, Günther Plater (ÖVP), betraute ihn mit der Umsetzung der Bundesheerreform. SPÖ-Minister Gerald Klug ernannte ihn schließlich zum Generalstabchef, dem höchsten Offizier beim Bundesheer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2016)

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