Feindbild Spekulant

In Entwicklungsländern geben die Menschen zumindest 50 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus.
In Entwicklungsländern geben die Menschen zumindest 50 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus. Annie Owen / robertharding / pic
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Vor einigen Jahren stiegen die Preise für Agrarrohstoffe in astronomische Höhen. Die Schuldigen waren schnell ausgemacht: die Finanzspekulanten. Heute sind die Preise im Keller. Aber gibt es deshalb weniger Hunger?

Mit Essen spielt man nicht.. Das war in den vergangenen Jahren sehr oft zu hören. Nichtregierungsorganisationen posaunten den Slogan lauthals heraus. Sie machten Banken und sogenannte Finanzspekulanten für die hohen Preise auf den Rohstoffmärkten in den Jahren 2007/2008 und 2010/2011 verantwortlich. Für manche Politiker war die Entwicklung ein gefundenes Fressen, für Globalisierungskritiker wie Jean Ziegler auch. Der 81-Jährige sagte Sätze wie diese: „Börsenspekulation auf Nahrungsmittel tötet Menschen.“

Doch seit den Preisspitzen von damals ist es weitgehend ruhig um das Thema geworden. Für die Organisationen steht nun anderes auf der Agenda. Glyphosat, TTIP und Co. Möglicherweise hat der veränderte Fokus aber auch mit einer anderen Entwicklung zu tun. Den Börsen. Denn dort rauschten agrarische Rohstoffe völlig unbemerkt in den Keller. Erst im Jänner fielen die Lebensmittelpreise im Index der Vereinten Nationen auf den tiefsten Stand seit fast sieben Jahren.

Was das bedeutet? Ein Scheffel Weizen kostete zuletzt rund 462 US-Cent. 2007 waren es mit 939 US-Cent noch mehr als doppelt so viel. Im Schnitt der 1990er-Jahre lag der Preis noch weiter darunter. Bei Soja zeigt sich in etwa das gleiche Bild.

Die Spekulanten an den Rohstoffbörsen sorgen also diesmal für niedrige Preise. Retten sie damit jetzt Menschenleben? Genauso wie sie einst „getötet“ haben sollen? Es gibt „keinen einfachen, linearen Zusammenhang zwischen hohen Preisen und dem Anstieg des Hungers, zumindest nicht auf globaler Ebene“, sagt Josef Schmidhuber von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, FAO. Hohe Preise seien bloß ein Faktor, aber nicht der einzige, gibt Schmidhuber zu bedenken. Ihre Auswirkungen auf Hunger und Ernährung müssten stets im länderspezifischen Kontext betrachtet werden.

Weniger Hunger in China. Hunger habe nämlich auch etwas mit dem Einkommen von Menschen zu tun, sagt Thomas Glauben, Direktor des Leibniz-Institut für Agrarentwicklung. „Wir haben große Erfolge in der Hungerbekämpfung, vor allem in China.“ Das sei das Resultat wirtschaftlicher Entwicklung. Denn wer einen Arbeitsplatz findet, könne das Elend umgehen und „das ist eng mit Hunger verknüpft“. Ein zentrales Problem der Entwicklungsländer sei häufig ihre klein strukturierte Landwirtschaft. „Was sich zunächst romantisch anhört, ist nichts anderes als eine Armutsfalle.“

Kleinstbetriebe erwirtschaften kaum Einkommen und haben deshalb kein Geld für Investitionen. Ihre Anbaufläche reicht in der Regel nicht aus, um neue Technologien sinnvoll einzusetzen. Doch nur dies würde ihre Chance auf bessere Erträge erhöhen. „Man muss also andere Strukturen schaffen.“


Ernte oder Missernte. Rückblick: „Die Banken müssen jetzt handeln und auf die Rohstoffgeschäfte vorsorglich verzichten – denn die Anhaltspunkte, dass diese Finanzgeschäfte zu Hungerkrisen beitragen, sind erdrückend“, schrieb die Organisation Foodwatch vor einigen Jahren. Und was sagen die selbsternannten „Essensretter“ heute? „Der Hunger ist nach wie vor nicht bewältigt, auch wenn die Preise nicht so hoch sind wie früher“, heißt es auf Anfrage der „Presse am Sonntag“. Der Preisverfall auf den Agrarmärkten sei genauso ein Fluch wie hohe Preise, heißt es.

Im Grunde entstehen die Preise für Agrarrohstoffe heute genauso wie anno dazumal, nur auf globaler Ebene. Gute Ernte, schlechter Preis. Missernte, hohe Preise. Und vor allem in den vergangenen drei Jahren erzielten die Bauern weltweit regelrechte Rekordernten. Die Lager sind randvoll, die Preise fielen rasant. Noch vor fünf Jahren waren agrarische Güter sehr teuer. Schuld daran waren aber nicht nur Ernteausfälle. Zins- und Wechselkurseffekte, Veränderungen beim Ölpreis, die Förderung von Biokraftstoffen, Exportverbote wichtiger Nahrungsmittelproduzenten und staatliche Ankaufprogramme für Agrarrohstoffe trugen das Ihre dazu bei. All das gepaart mit niedrigen Lagerbeständen sorgte für historische Höchstpreise.

„Vor allem in Krisenzeiten sucht man gern nach einem Schuldigen“, sagt Schmidhuber. „Dass die Finanzindustrie auch in Manipulationen involviert ist, hat sich spätestens bei der Krise des Interbankensatzes Libor manifestiert.“ Für den Bereich der Rohstoffmärkte seien solche Manipulationsmöglichkeiten allerdings weniger offensichtlich und in der Tat weniger wahrscheinlich, meint er.


Indexfonds als Übel? An den Rohstoffbörsen gibt es zwei Märkte. Der eine stellt die aktuellen Preise dar. Der andere dient der Absicherung von Preisrisken, es ist der sogenannte Terminmarkt. Auf diesem tummeln sich auch Indexfonds. Diese wurden von Globalisierungskritikern explizit für die steigenden Preise mitverantwortlich gemacht. Mittlerweile zeigen zahlreiche Erhebungen, dass Indexfonds eher preisstabilisierend wirken. Thomas Glauben sagt: „Indexfonds haben nicht einmal eine theoretische Möglichkeit, Einfluss auf Preise zu nehmen.“

Für David Hachfeld von der Nonprofitorganisation Oxfam sind vor allem die extremen Preisschwankungen ein großes Problem. „Das schafft einfach keine Planungssicherheit.“ Werden die Preise unberechenbar, könnten sich die Menschen nicht darauf einstellen. „Es ist ja nicht so, dass sich die Leute bei hohen Preisen nicht ernähren.“ Dennoch wäre es besser, wenn sie rechtzeitig darauf reagieren könnten.

„Preisschwankungen sind in der Tat ein Problem“, sagt FAO-Experte Schmidhuber. Denn sie führen dazu, dass Landwirte weniger investieren. Die Bauern fürchten dann, ihre Investitionen könnten sich nicht lohnen, weil die Preise bis zur nächsten Ernte wieder stark gefallen sein könnten. Die Landwirte verlieren also Geld und scheuen das Risiko. Sie investieren weniger. Das wiederum reduziert die Produktion, zumindest langfristig.

Preissprünge kann der Experte derzeit aber ohnehin keine erkennen, sehr niedrige Preise hingegen schon. „Unter dem Strich ist die Zahl der Hungernden in den vergangenen Jahren sogar leicht zurückgegangen – volatile Preise hin oder her“, sagt Josef Schmidhuber.

795 Millionen Menschen litten laut der Vereinten Nationen zuletzt an Hunger. Das sind um 795 Millionen zu viel. Aber es sind auch um 216 Millionen weniger als vor 25 Jahren.

Auf einen Blick

Wetterkapriolen, gute oder schlechte Ernten, Lagerbestände sowie die Nachfrage der Konsumenten bestimmten unter anderem den Preis für Agrarrohstoffe. 2007/2008 und 2010/2011 kamen jedoch mehrere ungünstige Faktoren zusammen, was die Preise auf historische Höchststände trieb.

Zahlen

2011erreichte der Nahrungsmittelpreisindex der FAO ein Rekordhoch.

2016fielen die Preise auf ein Mehrjahrestief.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2016)

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