Fifa: Gemein und nützlich

FILES-FBL-GER-FIFA-CORRUPTION-BLATTER
FILES-FBL-GER-FIFA-CORRUPTION-BLATTERAPA/AFP/FABRICE COFFRINI
  • Drucken

An Haupt und Gliedern verändert, tritt der Fußballweltverband Fifa in neue Zeiten ein. Das Durchschnittsalter ihrer Hauptakteure ist zwar gesenkt, doch wo viel Geld zu machen ist, sitzen die größten Verbrecher.

Bei der Wahl des Fifa-Präsidenten fiel die Originalität der Namen auf. Wenn der neue Schweizer Präsident schon Infantino heißt, macht es Laune, dass ein anderer Kandidat mit Jérôme und Champagne für das kulinarische Element sorgte. Dass dann noch ein Prinz und ein Scheich ins Rennen gingen, die rein vom Rollennamen durchaus bei Karl May vorkommen könnten, macht das Ganze noch runder. Schade nur, dass ein gewisser Tokyo Sexwale gar nicht erst antrat. Sprechende Namen sind also nicht nur bei Nestroys Possen von entscheidender Bedeutung.

Nun sind aber Namen bekanntlich Schall und Rauch, denn der Weltfußballverband Fifa ist ja als gemeinnütziger Verein eingetragen. Mag sein, dass sie immer wieder das Gemeine über das Nützliche stellten, aber vieles wurde da sicher unnötig aufgebauscht. Vereine stehen ja nicht immer im Ruf, über einen großen Horizont zu verfügen, selbst wenn sie globale Player sind. Zudem gelten für sie in fiskaler Hinsicht zumeist Sonderregelungen. Sepp Blatter, der ehemalige Präsident, etwa war ja nur nebenberuflich bei der Fifa. Hauptberuflich arbeitete der Schweizer für ein zentrales Projekt der Pharmaindustrie – und entwickelte sich so zu einem Hoffnungsträger für alle Heiseren. Quasi: Wenn du deine Stimme verloren hast, kannst du dir eine neue kaufen. Und: Er ist sicher kein Betrüger oder gar ein Lügner.

Noch im Oktober räumte der Funktionär ein, dass die Vergabe von Fußballweltmeisterschaften schon immer offen für geheime Absprachen und betrügerische Deals war. Will heißen, auch Märchen sind käuflich, besonders wenn sie Sommermärchen heißen. Eine kleine Schadenfreude sei hier erlaubt, zumal die Verantwortlichen des deutschen Fußballs ihre WM immer als die einzig saubere darzustellen versuchten. Diese Schadenfreude ist vielleicht verfrüht. Denn mit erstaunlicher Beharrlichkeit wird davon ausgegangen, dass die Vergabe der EM 2008 an Österreich und die Schweiz komplett mit rechten Dingen zuging.


Hurra, alles ist doch supersauber! Manche meinen ja, Mitleid wäre der wahre Grund dafür gewesen. Andererseits ist ein kleines Geschenk an die Eidgenossen prinzipiell immer von Vorteil, zumal dort eine vollkommene Weltoffenheit gegenüber Steuervermeidungen aller Art besteht. Aber warum Österreich? Also, keine Frage, bei uns war alles sauber. Supersauber, wie einmal ein ehemaliger Finanzminister zu sagen pflegte. Die ganzen Irritationen rund um das Sommermärchen haben komplett andere Gründe. Allzumenschliches etwa, wie eine kleine Leseschwäche.

Franz Beckenbauer etwa sagte zu seiner Entschuldigung, er hätte all die Dokumente nur getragen, aber nicht gelesen. Ja, in dieser Branche macht halt jeder, was er so kann. Doch das alles ist Geschichte.

An Haupt und Gliedern verändert, tritt nun die Fifa in neue Zeiten ein. Zwar nicht so wahnsinnig mutig, aber immerhin. Zumindest das Durchschnittsalter ihrer Hauptakteure ist deutlich gesenkt. Hatte man bis vor Kurzem noch den Eindruck, an den Obersten Sowjet erinnert zu werden, scheinen nun doch auch Gesichter diesseits der Lebensmitte auf. Die Wahlversprechen Infantinos klingen für uns zum Teil auch gut, das muss man sagen. Eine Aufstockung auf 40 Länder bei der Weltmeisterschaft erhöhen die Chancen dabei zu sein. Lasst andere von Verwässerung sprechen, wir finden das in Ordnung. Interessant ist aber nicht die quantitative Aufstockung allein. Der ewig gleiche Streitpunkt ist die europäische Quote. In anderen Sportarten, in denen Weltmeisterschaften gleichbedeutend sind mit dem Kräftemessen der Besten, ist das eine unvorstellbare Situation. Im Fußball bedeuten diese Turniere eher den Spiegel der am besten Kooperativen, der am besten Nützlichen. Aber jetzt wird alles gut.


Spray, Video und viel Bauchweh. Vergessen wir, dass bei der Vergabe an Katar Frankreich und Deutschland eine ambivalente Rolle spielten. Vergessen wir, dass Menschenrechtsverletzungen und Zwangsarbeit diese WM eigentlich erst ermöglichen. Jetzt wird alles anders. Die Torkamera kommt und man hofft, dass sie effizienter ist als der vierte Schiedsrichter. Auch das ist ein Rätsel. Was die so alles nicht sehen! Wahrscheinlich stehen sie zu knapp dran.

Dafür haben wir den Freistoßspray. Dieser Rasierschaum sorgte doch immerhin für ein paar heitere Momente. Noch ein paar solcher Utensilien, und die Referees werden bald einen Rucksack brauchen.

Was uns zur viel diskutierten Frage der Frauen-Referees führt. Es gehört zum Erstaunlichsten, dass gerade der Fußball, der größte Breitensport der Welt, rückschrittlicher ist als der erzkonservativste englische Golfklub. Während im Eishockey oder auch im Rugby der Videobeweis bereits längst bewährter Usus ist, war im Fußball jeder Lattenpendler bisher eine Bauchwehgeschichte.

Und dann noch diese Tugendkeule. Ein Sport, der zumindest bei Großereignissen vom Nationalismus profitiert, gab sich sauberer als ein Mädchenpensionat. Alle gegen Rassismus, okay, aber warum gibt es in den wichtigsten Gremien nach wie vor kaum Frauen? Oder: Gelbe Karte beim Lüften des Trikots, das konnte nur Neid sein. Jetzt, da die Kicker unter der Wäsche attraktiver sind als darüber. Zu Zeiten Buffy Ettmayers oder Ernst Baumeisters wäre niemand ernsthaft auf die Idee gekommen, beim Torjubel seinen Oberkörper zu entblößen.


Odeur des Abenteuers. Wirklich vorn war man eigentlich nur in der Vermarktung. Und das wird auch so bleiben. Dadurch wurde der Fußball zumindest in den Oberhäusern zu einer mittelmäßig spannenden Aufführung auf den Rängen. Hohe Eintrittskartenpreise bannten zwar weitgehend die Hooligans, aber im Endeffekt auch die Stimmung. Romantiker sehnen sich mittlerweile sogar nach den lauten Zeiten zurück, als ein Platzbesuch auch das kleine Odeur eines Abenteuers hatte. Diese Träumer fängt man heute nach wie vor, wie man in Wien sagt, „mit'm Kappl“. Das Zauberwort dafür heißt Panini-Pickerl. Aber das ist wenigstens amüsant. Wenn rund um Großereignisse in großer Zahl erwachsene Männer infantilisieren und mit fiebrigen Augen ihre Listen führen, tauschen und Packerln aufreißen.

Klar, wo viel Geld zu machen ist, sitzen auch die größten Verbrecher. Das ist eine alte Tatsache, man denke nur an die Pharma- oder Nahrungsmittelindustrie. Und: Angesagte Revolutionen finden selten statt. Daher sollten wir uns auch nicht allzu viel von den neuen Gesichtern in der Fifa erwarten. Vielleicht werden sie dem Sport etwas nützlicher sein als bisher, aber die Gemeinheiten werden deshalb nicht verschwinden. Kein Defätismus, einfach nur eine realistische Sichtweise.

GASTAUTOR Alfred Dorfer

Der Wiener, 54, ist einer der erfolgreichsten Kabarettisten des Landes, Schauspieler und zudem leidenschaftlicher Austria-Fan.

Der Preisträger des Schweizer Kabarettpreises Cornichon 2016 ist auch Lehrbeauftragter für Germanistik der Unis Graz und Klagenfurt zur Theater- und Satiregeschichte.

Ferrigato Roland/Verlagsgruppe News/picturedesk.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Marcel Koller
Fußball-National

Fußball-EM 2016: Der steile Weg zum großen Glück

Der Schweizer Marcel Koller hat als Teamchef der österreichischen Fußballnationalmannschaft Historisches vollbracht. Er lehrte seine Spieler Taktik und Disziplin.
FBL-EUR-C1-REALMADRID-TRAINING
Fußball-International

Der beste Fußballer aller Zeiten

Die Suche nach dem Besten gleicht einer Inszenierung, wie sie Ausnahmekönner und Stars auf dem Spielfeld selbst vorzeigen. Es geht um Gefühl, Geschmack, Kunst – aber sind Rankings nicht sinnlos?
 Im vergangenen Sommer feierte Viktoria Schnaderbeck mit Bayern Münchens Frauenteam den Meistertitel.
Fußball-National

Mit neuer Siegermentalität auf Erfolgskurs

Die ÖFB-Frauen sind fast zwei Jahre ungeschlagen und greifen nach der ersten EM-Qualifikation. Kapitänin Viktoria Schnaderbeck über Höhenflug, Fortschritte und Probleme im Frauenfußball.
IAAF Diamond League 2015 - Sainsbury's Anniversary Games
Mehr Sport

Rekordjagd: Höher, weiter und schneller – nur wohin?

Menschen sind unterschiedlich ob ihrer Genetik, das ist die Chance für eine neue Rekordjagd in den konventionellen Sportarten. Es gibt aber eine Grenze, die für alle gilt: die naturwissenschaftlichen Gesetze.
FBL-ESP-LIGA-BARCELONA-STADIUM-RENOVATION
Mehr Sport

Gigantismus: Langsam wird die Luft zu dünn!

Gigantismus, obszöne Gagen und zig andere Auswucherungen plagen den Spitzensport – es mutet wie die Suche nach der finalen Schmerzgrenze an.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.