Rekordjagd: Höher, weiter und schneller – nur wohin?

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Menschen sind unterschiedlich ob ihrer Genetik, das ist die Chance für eine neue Rekordjagd in den konventionellen Sportarten. Es gibt aber eine Grenze, die für alle gilt: die naturwissenschaftlichen Gesetze.

Die Menschen neigen dazu, dass sie immer mehr wollen, höher hinaus klettern oder fliegen, weiter hüpfen oder springen; und das Ganze immer schneller. Damit stellen sich viele Fragen. Warum wollen wir besser werden? Da kann man es sich leicht machen – wir wollen es besser haben als unsere Vorgängergeneration.

Allein wenn ich mir mein Handy betrachte, und an die Zeit von vor über 20 Jahren denke, als wir im Studentenheim auf einem Stock für über zwanzig Studenten ein Telefon am Gang hatten, dann muss ich sagen, es wurde besser. Man muss zwar lernen, dass man nicht immer und überall erreichbar sein muss, aber man kann – das finde ich toll –, und sei es, wenn man einen Notruf tätigen muss.


Gravitation und Technik. Im Sport haben wir als Grenze die naturwissenschaftlichen Gesetze. Diese lassen sich nicht brechen – dies ist bis heute noch keinem Menschen gelungen. Aber man kann mit den Gesetzen sinnvoll beziehungsweise kreativ umgehen. Betrachten wir den Hochsprung aus der Leichtathletik. Eine vier Meter lange Latte, gelagert auf zwei Ständern, muss übersprungen werden. Zu Beginn der modernen Olympischen Spiele wurde der Hochsprung als Standhochsprung durchgeführt – heute läuft man an. Es hat sich die Technik verändert, die Gravitation kann nicht verändert werden. Die älteste Technik, um eine Latte zu überspringen, ist die Frontalhocke. Nach einem Anlauf werden die Arme und das eine Bein, mit dem man nach oben springt, nach oben gezogen. Danach werden die Beine – sie sind immer noch in der Hocke – zum Körper angezogen und wenn man alles richtig gemacht hat, dann landet man auf den Beinen auf der anderen Seite der Latte. Das Problem ist der Körperschwerpunkt. Man erreicht nicht besonders große Höhen, weil der Körperschwerpunkt über die Latte gebracht werden muss. Das Problem ist, dass der Schwerpunkt gemeinsam mit dem Körper über die Latte gewuchtet werden muss. Das ist aber zugleich auch die Chance.

In der Physik betrachten wir Körper gern als Punkte, die sich nach den Gesetzen der Physik bewegen. Beim menschlichen Körper ist es nicht anders, aber da gibt es mehrere Bereiche: Arme, Beine, Rumpf – und alles ist miteinander verbunden. Der Massenmittelpunkt liegt knapp unter dem Nabel. Würden wir nur diesen Bereich über die Latte bringen müssen, wäre es eine einfache Gleichung, die man lösen müsste. Tatsächlich haben wir aber auch noch die anderen Körperteile. Damit stellt sich die Frage, welche Körperteile zuerst über die Latte müssen beziehungsweise können.


Und die Koordination? Es ist nicht nur eine Frage der Physik, es ist auch eine Frage der möglichen Technik. Betrachten wir das Kugelstoßen: Dabei muss eine Kugel möglichst weit geworfen werden. Um viel Schwung aufzunehmen, sollte der Radius groß sein, das ist ja der Vorteil des Hammerwerfens. Den Radius könnte man damit vergrößern, dass man die Kugel in der Hand hält und der Arm den Stiel – wie beim Hammerwerfen – darstellt. Leider hält die Hand das nur schwer aus. Aber daran kann man arbeiten.

Es gäbe die Möglichkeit, dass man über ein Rad, also mit den Händen am Boden und die Beine in Rotation, die Kugel stärker beschleunigt. Man würde eine andere Drehung vollführen, nicht entlang der Wirbelsäule, sondern um den Nabel. Damit würde man den Radius während der Beschleunigung entscheidend vergrößern. Das Problem besteht nun in der Körperkoordination. Springen sie ein Rad mit einer schweren Kugel? Diese Technik wäre zwar vielversprechend, ist aber leider nicht wettkampftauglich – schade.


Zurück zum Hochsprung. Beim Rollsprung macht man es sich schon leichter. Man versucht, einzelne Körperteile einzeln über die Latte zu wuchten. Zuerst wird ein Bein über die Latte geworfen, während der restliche Körper nachkommt. Auf dem höchsten Punkt ist ein Bein schon längst über der Latte, während der Bauch der Latte am nächsten ist.

Dabei kam es öfter dazu, dass Athleten nicht immer auf den Beinen landeten. Deshalb wurden Matten aufgestellt wurde und nun wurde auch eine andere Sprungtechnik möglich: der Fosbury-Flop. Man läuft an, knapp vor der Latte springt man nach oben, dreht sich auf den Rücken und wuchtet seinen Körper mit den Armen und dem Kopf zuerst über die Latte. Dann kommt der Rumpf und zum Schluss kommen die Beine. Damit gelangen, wie beim Rollsprung, zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Körperteile über die Latte.

Worin liegt der Vorteil? Man kann damit den Schwerpunkt des Körpers scheinbar verändern. Stehe ich, ist der Schwerpunkt meines Körpers im Bereich des Nabels, mache ich aber eine Brücke – eine Figur aus der Meditation – dann sind Beine und Arme unter dem Nabel. Damit verschiebt sich der Schwerpunkt nach unten. Ich kann nun mit derselben Absprunggeschwindigkeit eine größere Höhe erreichen, denn der Schwerpunkt muss nicht so hoch gebracht werden.

Theoretisch müsste der Schwerpunkt nicht über die Latte gebracht werden – aber den menschlichen Körper kann man nicht so extrem verbiegen. Praktisch kommt man mit dem Schwerpunkt ziemlich genau auf Höhe der Latte. Interessanterweise entspricht es der Technik des Rollsprungs. Die hat sich aber nicht durchgesetzt. Die Gründe dafür dürften in der Technik des Absprungs verborgen sein.

Ein interessantes Detail zum Fosbury-Flop: Eigentlich sollte es Pingl-Flop heißen. Fritz Pingl stellte diesen Sprung 1958 als Erster bei der österreichischen Meisterschaft vor. Da er aber nicht an internationalen Wettbewerben teilnahm, wurde seine Technik nicht bekannt – ein typisch österreichisches Schicksal.


Die Physik des Hochsprungs. Heute gibt es Physiker, die Athleten unterstützen. Tatsächlich kann man zeigen, dass mit mehr Wissen bessere Leistungen im Sport möglich sind. Trotzdem ist der Mensch der limitierende Faktor. Er kann nur eine maximale/minimale Größe haben, seine Muskeln können nur eine bestimmte Kraft erreichen, und das Nervensystem im Bereich der Koordination nur eine bestimmte Verarbeitungsgeschwindigkeit aufweisen. Dennoch ist noch viel Luft nach oben. Menschen sind unterschiedlich ob ihrer Genetik, das ist die Chance für Rekorde in konventionellen Sportarten.

Eines dürfen wir nicht vergessen: Nur wer Zeit hat, sich anstrengt, kann Höchstleistungen erzielen. Die meisten Menschen, die extreme Leistungen hätten erzielen können, hatten nie Zeit für Sport – schade.

GASTAUTOR WERNER GRUBER

Der Physiker, Autor, Kabarettist und Planetarium-Direktor, 45, lebt in Wien und gilt als Koryphäe der Experimentalphysik.

„Unglaublich einfach, einfach unglaublich“, „Das Universum ist eine Scheißgegend“ oder „Wer nichts weiß, muss alles glauben“ sind Klassiker der Populärliteratur.

Starpix/picturedesk.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2016)

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